Palästinensische Autonomiegebiete annektiert
Im Osloer Friedensabkommen hatten sich beide Parteien auf die Vermeidung von gegenseitiger Volksverhetzung geeinigt, später kontrolliert wurde indes so gut wie nur die palästinensische Seite. Dem von Stereotypen und Vorurteilen geprägten Araberbild in israelischen Schulbüchern wurde hingegen kaum Aufmerksamkeit geschenkt.
Vor allem das deutsche Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung leistet hier, fern aller Politisierungsversuche, einen wichtigen Beitrag, indem es die wissenschaftliche Auswertung der Lehrpläne beider Seiten fördert.
Die jüngste Untersuchung des israelischen Unterrichtsstoffs, im Auftrag dieses Instituts von der israelischen Pädagogikprofessorin Ruth Firer durchgeführt, förderte Beunruhigendes zutage. Der derzeitige Erziehungskurs in Israel ist Firer zufolge geradezu reaktionär:
Palästinensische Sicht wird ausgeblendet
Werte wie Vaterlandsliebe stehen über einer kaum beachteten Friedenspädagogik, an israelischen Schulen wird nur äußerst selten der Versuch unternommen, die palästinensische Sicht der Dinge nachzuvollziehen.
Diesen Trend beklagt nun auch die Jerusalemer Pädagogikprofessorin Nurit Peled-Elhanan. In einigen neuen Geographie- und Geschichtsbüchern, die derzeit an israelischen Schulen im Einsatz sind, fand sie Alarmierendes: In mehreren der untersuchten Bücher ist die alte so genannte grüne Grenzlinie zur Westbank verschwunden.
Die inmitten der Palästinensergebiete gelegenen israelischen Siedlungsblöcke werden hier als israelisches Territorium präsentiert, wobei häufig die biblischen Begriffe "Judäa und Samaria" an die Stelle der korrekten Bezeichnung "Palästinensische Autonomie" tritt – für Peled-Elhanan ein deutliches Zeichen dafür, dass sich die schleichende Annexion von Teilen der Palästinensergebiete bereits tief ins israelische Bewusstsein eingegraben hat.
Schulkinder haben negative Stereotype verinnerlicht
Auch die Befindlichkeiten israelischer Schulkinder sind in den letzten Jahren kaum untersucht worden. In Israel erregt derzeit die Studie des Sozialpsychologen Assaf Sharabi Aufsehen, der an der angesehenen "London School of Economics" über das Araberbild israelischer Schulkinder promoviert.
Sharabi hatte 2003 über hundert israelische Sechstklässler an verschiedenen Schulen gebeten, sich in die palästinensischen Kinder hineinzuversetzen und ihre Vorstellungen dann schriftlich und auch in Bildern zu fixieren.
Das Ergebnis: Die israelischen Kinder haben die negativen Stereotype, die unter Israels Juden hinsichtlich der Araber herrschen, stark verinnerlicht. Eine Mischung aus Hass, Angst, Entfremdung und Verzweiflung prägen ihr Verhältnis zu den Palästinensern – wobei allerdings berücksichtigt werden sollte, dass zum Zeitpunkt der Befragung Selbstmordattentate im israelischen Kernland grausame Routine waren.
"Auf Widersehen im Grab"
In erschreckender Weise stellte sich etwa ein zwölfjähriger israelischer Junge die Gedanken eines palästinensischen Altersgenossen vor:
"Wenn ich groß bin, will ich Juden in die Luft sprengen. Mein Vorbild ist Hitler. Die Juden sind eine schmutzige Rasse. Im Unterricht hat man mir beigebracht, wie man Bomben entschärft. Im Malunterricht habe ich einen aufgehängten Juden gemalt. Im Sportunterricht haben wir gelernt, wie man ein Minenfeld durchquert. Der Konflikt mit den Israelis ist gut für uns, weil es uns nichts ausmacht, wenn ein Araber stirbt, denn wenn das passiert, finden gleichzeitig auch fünf oder sechs Juden den Tod. Auch zu Hause hat man mir nahe gelegt, Juden zu töten. Auf Wiedersehen im Grab!"
Nicht weniger schockierend die Vorstellung eines anderen Schülers, der den Traum eines palästinensischen Kindes beschrieb: "In meinem Traum dringe ich nach Israel ein und töte Juden. Das ist gut, weil es bei uns außer den Selbstmordattentätern, die ich verehre, kaum Opfer gibt, während die Juden viele Tote und Verletzte beklagen müssen."
In der Figur des Selbstmordattentäters, so zeigt die Studie, kristallisiert sich ein Stereotyp, für dessen Motive die israelischen Kinder – wie übrigens die Erwachsenen auch – einfache Erklärungsmuster anführen.
"Ich will Märtyrer werden", schrieb ein Kind, "weil ich im Himmel zweiundsiebzig Jungfrauen und jeden Tag große Freude haben werde".
Zerrissen zwischen widersprüchlichen Gefühlen
Assaf Sharabi hat das stereotype Denken der israelischen Kinder kaum überrascht. Er misst dem Befund weit mehr Bedeutung zu, dass die israelischen Kinder auch Verständnis für die Lebenssituation der Palästinenser zeigen.
Sie haben Schuldgefühle wegen des Verhaltens ihrer Landsleute in den Palästinensergebieten, betrachten aber gleichzeitig die israelischen Vergeltungsaktionen als eine Notwendigkeit; sie sehnen sich nach Ruhe und Frieden, zweifeln aber gleichzeitig daran, dass dies wirklich realisierbar sei; sie disqualifizieren die Palästinenser als gewalttätig, haben aber zugleich Mitleid mit ihnen, weil sie von den Israelis unterdrückt werden.
Dass die israelischen Kinder die Verletzung der Grundrechte der Palästinenser als eine der Hauptursachen für die palästinensische Gewalt sehen, gibt immerhin Grund zur Hoffnung, zumal Sharabis Studie inzwischen auch in der palästinensischen Presse auf großes Interesse gestoßen ist.
Joseph Croitoru
© Qantara.de 2005