Der unbekannte Revolutionsführer

Katajun Amirpurs neue Biografie von Ayatollah Khomeini ist ein vielschichtiges und kenntnisreiches Portrait des iranischen Revolutionsführers – und bietet Überraschendes. Marian Brehmer hat das Buch für Qantara.de gelesen.

Von Marian Brehmer

Verglichen mit anderen Revolutionsführern, um die sich Kontroversen ranken und die in ihrer Heimat, manchmal auch darüber hinaus, Kultstatus erlangt haben — Figuren wie Lenin, Mao, Fidel Castro oder Che Guevara — ist über das Leben von Ruhollah Khomeini bislang wenig bekannt. Dies gilt besonders für den deutschsprachigen Raum. Die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur schließt mit ihrer neuen Khomeini-Biografie somit eine Lücke. 

Bereits im Vorwort zeigt Amirpur Khomeinis höchst ambivalente Persönlichkeit auf: Er erweckte in Millionen Iranern große Emotionen, soll selbst jedoch emotionslos gewesen sein — als ein Reporter ihn fragte, was er nach fünfzehn Jahren Exil bei der Rückkehr in sein Heimatland empfand, antwortete er schlichtweg “nichts”.

Khomeini riss die Macht an sich, nutzte sie jedoch nie zur eigenen Bereicherung und führte ein betont asketisches Leben. Khomeini konnte in seiner Verfolgung von politischen Oppositionellen gnadenlos auftreten, fühlte sich aber gleichzeitig in der islamischen Mystik zuhause und dichtete Liebespoesie im Stil von Jalaluddin Rumi.

Obschon Khomeini selbst nie über seine Kindheit gesprochen hat, schafft es Amirpur, anhand von iranischen Quellen wie den Memoiren des älteren Bruders Morteza ein recht detailliertes Bild von Khomeinis ersten Jahren zu zeichnen. Interessant sind auch die Einzelheiten zur Familiengeschichte der Khomeinis, etwa dass die Familie im 18. Jahrhundert nach Indien auswanderte, wobei sie sich in der von Schiiten regierten Region Lucknow niederließ, wo Khomeinis Großvater Seyyed Ahmad Musavi Hindi auf die Welt kam.

Schiitische Rechtslehre und politisches Schiitentum

Aufschlussreich sind auch die Details zu Khomeinis Werdegang: Amirpur zeigt zu Beginn des Buches die Entstehungsgeschichte des Schiismus auf und beschreibt, wie stark Khomeinis Sozialisation vom Zeremoniell religiöser Feiertage wie den alljährlichen Kerbala-Prozessionen in der iranischen Provinz geprägt wurde. Zudem widmet die Autorin einen guten Teil des Buches den Hintergründen von schiitischer Rechtslehre und politischem Schiitentum, und führt die Leser dabei in ein Feld ein, das den meisten verschlossen sein dürfte, jedoch für ein Verständnis von Gemüt und Gesinnung Khomeinis und des Verlaufs der Islamischen Revolution unabdingbar ist.

Buchcover: "Khomeini. Der Revolutionär des Islam. Eine Biographie", von Katajun Amirpur. (Foto: C.H. Beck Verlag)
Wer war Irans Revolutionsführer Ayatollah Khomeini? Die renommierte Islamwissenschaftlerin und Iranistin Katajun Amirpur erzählt anschaulich und im Kontext der iranischen Geschichte das Leben Khomeinis von der Kindheit in einer Provinzstadt bis zum Tod in Teheran. Sie beschreibt seine frühe Prägung durch den schiitischen Islam, stellt seine wichtigsten Lehrer, Weggefährten und Werke vor und erklärt, wie er eine traditionell unpolitische Glaubenswelt in wenigen Jahren umpolte.

Es dürfte wohl keine bessere Expertin für diese Materie geben — Amirpur promovierte im Jahr 2000 über die schiitische Koranexegese mit einer Doktorarbeit zum Denken des iranischen Philosophen Abdolkarim Sorush, der zwar zu den Wegbereitern der Revolution gehörte, jedoch mit seiner reformistischen Islamauslegung bald aneckte und heute im Exil lebt.

Ein interessantes Detail ist auch, dass Khomeini trotz aller späterer Ablehnung westlicher Kultur eine Schulbildung genoss, die ein Curriculum nach europäischem Vorbild enthielt, vollzog sich doch zu seiner Jugendzeit eine Umwälzung des iranischen Schulsystems als Folge der sog. Konstitutionellen Revolution (1905-1911).

Nach dem Tod seiner Mutter während einer Choleraepidemie jedoch widmete sich der junge Khomeini voll und ganz dem Studium der schiitischen Rechtswissenschaft, um dann langsam die Karriereleiter im schiitischen Klerus zu erklimmen.

Als junger Lehrer in der Ausbildung unterrichtete Khomeini hierbei auch Texte der Sufis, etwa die Werke des großen schiitischen Mystikers Molla Sadra, der im 17. Jahrhundert von einer Wechselbeziehung zwischen mystischer Erfahrung und logischem Denken sprach. Schüler und spätere Revolutionäre lobten Khomeinis Unterricht und seine feinfühlige Ausdrucksweise in höchsten Tönen.

Der Rest des Buches handelt von Khomeinis zunehmender Politisierung, vom Verfassen seines ersten politischen Traktats im Jahr 1943 bis hin zur Umsetzung der Regierungsdoktrin von der “Herrschaft des Rechtsgelehrten”, welche die Politik der Islamischen Republik bis heute prägt. Dies ist komplexe Materie, gibt es im Schiismus doch verschiedene, sich widerstrebende Strömungen, die sich in ihrer Haltung zur Politik unterscheiden.

Einig nur in der Ablehnung des Schahs

Einig waren sich alle religiösen und nichtreligiösen Strömungen Irans nur in ihrer Ablehnung des Schahs. Für Khomeini war die Tatsache, dass der Iran von einer Erbdynastie regiert wurde, eine Schande: “Der Islam erklärt Monarchie und Erbfolge für falsch und ungültig”, schrieb Khomeini. “Monarchie und Erbfolge stellen dasselbe finstere, böse Regierungssystem dar, das den Herrn der Märtyrer (Hussain bin Ali - Friede sei mit ihm) dazu veranlasste, sich in einer Revolte zu erheben und den Märtyrertod zu suchen, um dessen Errichtung zu verhindern.”

Auch die letzten Seiten der Khomeini-Biographie enthalten noch einmal Überraschendes: Hier thematisiert Amirpur die poetische Ader Khomeinis, die auf den ersten Blick in keiner Weise mit dem Autoritarismus und der politischen Härte des Ayatollah gegenüber seinen Gegnern zusammen zu passen scheint. Letztendlich lassen sich die Verse, die oft von Trunkenheit und Weinbechern sprechen, nur vor dem Hintergrund der persisch-sufischen Gedichttradition verstehen.

Schließlich stellt Amirpur im Epilog die Khomeini-Enkelin Zahra Eschraqi vor, die für Feminismus und Menschenrechte eintritt und dabei die frauenfeindliche Politik der heutigen Islamischen Republik kritisierte. Daraufhin machte ihr der mächtige Wächterrat den Vorwurf, sie bekenne sich nicht zu den Grundlagen des Islam. Das Frauenbild Khomeinis ist ebenfalls umstritten: Zwar soll er seine eigene Frau respektvoll behandelt haben, doch die Rechte von Frauen in der Gesellschaft schränkte er erheblich ein.

“Die republikanische Komponente der Islamischen Republik lobpreist Geschlechtergerechtigkeit, ihre islamische dagegen etabliert Geschlechterungerechtigkeit. Artikel 20 der Verfassung postuliert gleichen Schutz von Mann und Frau vor dem Gesetz und ihre gleichen politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte. Aber diese werden durch islamische Prinzipien eingeschränkt”, schreibt Amirpur im Kapitel zu Khomeinis Frauenbild.

Am Ende des Buches resümiert sie die Ernüchterung vieler Iraner mit ihrem Regierungssystem so: "Über die Islamische Republik Iran wird schon seit Jahren mit den Füßen abgestimmt. 200 000 Iraner verlassen jährlich das Land. Mehr würden gehen, wenn sie könnten.”

Marian Brehmer

© Qantara.de 2021

Katajun Amirpur, Khomeini. Der Revolutionär des Islam. Eine Biografie, C.H.Beck 2021