Kämpfen für Frankreich
Sechzig Jahre nach der Befreiung Frankreichs vom Nationalsozialismus ehrte Jacques Chirac auch Veteranen aus afrikanischen Ländern, die in der französischen Armee gekämpft hatten. Goetz Nordbruch erinnert an die Soldaten, die noch immer um ihre Anerkennung ringen.
Zwei Jahre verbrachte der senegalesische Lehrer Léopold Senghor im deutschen Front-Stalag 230 in Amiens. Als Angehöriger der französischen Kolonialarmee geriet er im Juni 1940 in Charité-sur-Loire in Gefangenschaft.
"Europa hat mich zermalmt - wie einen Krieger, geplättet unter den Elefantenfüßen eines Panzers" schrieb Senghor in einem Gedicht, das er in deutscher Kriegsgefangenschaft verfasste.
In den Texten Senghors, der zwanzig Jahre später zum ersten Präsidenten Senegals gewählt wurde, spielt die Erinnerung an die afrikanischen Soldaten im Ersten, vor allem aber auch im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle.
Faszination für Frankreich und die französische Kultur und Kritik am Kolonialismus und am Rassismus der französischen Gesellschaft prägen die Gedichte, die Senghor den "Tirailleurs Sénégalais", den afrikanischen Infanteristen der französischen Kolonialarmee, widmete.
Neuer Gedenktag
Mit der "Pflicht der Erinnerung" begründet Abdoulaye Wade, der amtierende Präsident des Senegals, die Einführung eines Gedenktages am 23. August für die afrikanischen Soldaten. "Damit sich die neuen Generationen daran erinnern: In den Stunden des Kampfes für die Freiheit war Afrika zur Stelle", erklärte Wade auf einer Pressekonferenz in Dakar, auf der er die Einführung eines nationalen Gedenktages ankündigte, der in diesem Jahr erstmalig begangen wurde.
Die Wahl des 23. August als Jahrestag der Befreiung der südfranzösischen Stadt Toulon 1944 steht dabei, so Wade, als "Symbol für die Beteiligung der Tirailleurs Sénégalais an der Befreiung Frankreichs und am Kampf der Alliierten gegen den Nationalsozialismus."
Afrikanische Soldaten gehörten zu den Befreiern
Während des Zweiten Weltkrieges dienten fast 500.000 Soldaten aus afrikanischen Ländern in der französischen Armee. Sie kamen aus dem Senegal, aus Mali, Benin, Burkina Faso, Kamerun, Kongo, der Elfenbeinküste, Gabun, Mauretanien, Niger, Tschad, Togo, aus Algerien, Marokko und Tunesien.
Fast 150.000 dieser Soldaten waren während der Landung in der Provence am 15. August 1944 in den Rängen der Alliierten beteiligt. Korsika, Elba, Toulon, aber auch Lörrach, Neustadt, Waldshut und Konstanz zählen zu jenen Orten, deren Befreiung von den Soldaten dieser Divisionen erkämpft wurde.
Auf den Fotos, welche die Feiern auf den Strassen Toulons, Marseilles und Lyons zeigen, paradierten französische neben algerischen, senegalesischen und amerikanischen Infanteristen.
"Am 23. August 1944 machten die Tiraileurs Sénégalais der deutschen Besatzung einer Stadt in Frankreich ein Ende. Es ist erst 60 Jahre her. Das war gestern. Es ist heute. Und das wird morgen sein", kommentierte Aboulaye Seye in der senegalesischen Zeitung Le Soleil.
Ehrung der Veteranen
Als "Retter von außerhalb" stießen die afrikanischen Veteranen bei den diesjährigen offiziellen Feierlichkeiten am 15. August erstmalig auf ein breiteres Interesse in der französischen Öffentlichkeit. Neben dem französischen Präsident Jacques Chirac verfolgten auch der algerische Präsident Bouteflika sowie 14 weitere afrikanische Staats- und Regierungschefs die Feiern vor der Küste Toulons.
Von den 21 ehemaligen Soldaten, die von Chirac mit einer staatlichen Auszeichnung gewürdigt wurden, kamen 18 aus afrikanischen Ländern, aus denen sich die französische Afrika-Armee rekrutierte. Eine Geste, die von Chirac gezielt auch als Zeichen einer Korrektur der bisherigen Erinnerungspolitik inszeniert wurde.
Diskriminierung bei Rentenansprüchen
Die "große Ungerechtigkeit" der Vergangenheit gegenüber den afrikanischen Soldaten, die nicht nur von Präsident Wade kritisiert wird, beschränkt sich allerdings nicht auf das Fehlen einer symbolischen Anerkennung in der französischen Öffentlichkeit.
Trotz der wohlwollenden Worte, die Wade bei den Feierlichkeiten über die Bemühungen Frankreichs äußerte, wurde gerade in den letzten Wochen von verschiedenen internationalen Organisationen auf die fortwährende rechtliche Diskriminierung der arabischen und afrikanischen Veteranen aufmerksam gemacht.
In einer Erklärung der Internationalen Menschenrechtsföderation (FIDH), die zwei Tage nach den offiziellen Feierlichkeiten in Toulon veröffentlicht wurde, wird auf die weiterhin bestehende Benachteiligung der nicht-französischen Soldaten hingewiesen.
In einem Gesetz von 1959 wurde die "Kristallisierung" der Rentenansprüche ausländischer Soldaten auf dem damaligen Niveau festgeschrieben. Nach einer Entscheidung des höchsten französischen Gerichtes im Jahr 2000, in der das unterschiedliche Niveau der Renten als "Diskriminierung auf der Grundlage der Nationalität" kritisiert wurde, beschloss die französische Regierung in diesem Jahr für die noch lebenden 80.000 ehemaligen Soldaten aus afrikanischen Ländern eine Erhöhung der Renten um 20%.
Auch zukünftig werden diese mit jährlich zwischen 60 Euro in Marokko und 210 Euro im Senegal aber weiterhin deutlich unter den 425 Euro liegen, die französischen Veteranen ausgezahlt wird.
Verleugnung der Vergangenheit
Schlimmer noch allerdings erscheint vielen der "Vergessenen", dass sich ihre Beteiligung an der Befreiung Frankreichs kaum in einer veränderten Wahrnehmung der ehemaligen Kolonien in der französischen Öffentlichkeit niederschlug.
Er erwarte sich nichts mehr von Frankreich, hatte der senegalesische Veteran Issa Cissé gegenüber der französischen Zeitung Libération erklärt. Aber es sei "traurig, dass unsere Kinder nicht das Recht haben, nach Frankreich zu fahren."
Die Entscheidung Charles de Gaulles, die afrikanischen Soldaten bereits wenige Wochen nach den entscheidenden Schlachten in der Provence zu demobilisieren und durch französische Widerstandskämpfer zu ersetzen, wird hier als frühes Zeichen einer Politik der Verleugnung gegenüber dem Einsatz der Tirailleurs gedeutet.
Die senegalesische Zeitung Le Soleil wies stellvertretend für andere Zeitungen darauf hin, dass dieser Versuch des "Blanchieren" der Truppen des "kämpfenden Frankreichs" allein darauf abzielte, das Bild eines "europäischen Frankreichs" zu bekräftigen.
Ungleiche Behandlung
Der senegalesische Filmregisseur Ousmane Sembene hat mit seinem 1988 veröffentlichten Film Camp Thiaroye einen anderen Stein im Puzzle der französischen Erinnerungspolitik bekannt gemacht.
Mit seiner Verfilmung des Aufstandes ehemaliger Tirailleurs und dessen blutiger Niederschlagung durch das französische Militär in einem senegalesischen Camp im Dezember 1944 zeichnete er das Fortwirken der französischen Kolonialpolitik nach.
Angesichts der ungleichen Behandlung gegenüber ehemaligen französischen Soldaten protestierten die Tirailleurs, die zum Teil erst kurz vor dem Aufstand aus deutscher Kriegsgefangenschaft entlassen wurden, gegen die Politik der französischen Verantwortlichen. Dutzende starben bei der Bestrafungsaktion, der Bombardierung des Lagers durch das Militär.
Sembene, der wie Léopold Senghor während des Zweiten Weltkrieges in der französischen Armee diente, hat in seinen Filmen wiederholt seine Sympathien für Frankreich zum Ausdruck gebracht. Ebenso wie Senghor, der in einem Gedicht für die afrikanischen Gefallenen den deutschen Ausdruck "die schwarze Schande" benutzte, um die Wahrnehmung der Angehörigen der Afrika-Armee im Frankreich der 30er Jahre zu beschreiben, sind auch Sembenes Filme von einer scharfen Kritik der Erinnerungspolitik geprägt.
Diese Ambivalenz der Erinnerung stand auch im Mittelpunkt von Veranstaltungen mit afrikanischen und französischen Historikern, die dieses Jahr erstmalig in Dakar am nationalen Gedenktag für die Tirailleurs organisiert wurden.
Zukünftig, so kündigte Präsident Wade an, soll auch der Friedhof der Opfer des Aufstandes im Camp Thiaroye angemessen an die Beteiligung der afrikanischen Veteranen an der Befreiung Frankreichs erinnern.
Goetz Nordbruch
© Qantara.de 2004