Mangel statt Fortschritt

Die arabischen Länder leiden unter politischen und wirtschaftlichen Konflikten, gravierenden Bildungsdefiziten und einer hohen Jugendarbeitslosigkeit - so das ernüchternde Fazit des neuen Arabischen Entwicklungsberichtes des UNDP. Rainer Sollich kommentiert.

Logo Arab Human Development Report 2009
Der neue Arabische Entwicklungsbericht des UNDP kritisiert den Mangel an Demokratie, "Good Governance"</wbr> und humaner Sicherheit als Haupthindernis für Fortschritte in der Region.

​​ Man muss lange blättern, um in dem neuen Arabischen Entwicklungsbericht des UNDP Positives zu entdecken. Aber man wird fündig: Der Grad der Luftverschmutzung in den arabischen Ländern - immerhin - ist einer der niedrigsten weltweit.

Wer hieraus allerdings auf eine vorbildliche Umweltpolitik oder auf ein erhöhtes Aufkommen abgasreduzierter Autos in stickigen arabischen Mega-Cities schließt, liegt falsch. Die Luft in der arabischen Welt ist im statistischen Durchschnitt zwar überraschend gut.

Es könnte aber durchaus schlimmer kommen: Laut UNO sind die guten Luftwerte bloß Ausdruck eines derzeit immer noch herrschenden Mangels an Industrialisierung.

Und das ist zugleich einer der Kernbegriffe des neuen Entwicklungsberichts: Mangel. Den arabischen Ländern mangelt es nämlich an vielem - nicht nur an Industrialisierung, an funktionierenden Gesundheitssystemen und an sauberem Trinkwasser - es mangelt ihnen vor allem an Demokratie und "Good Governance", an Menschenrechten und an Respekt gegenüber den eigenen Bürgern.

Autoritäre Regentschaft und Schein-Demokratien

Es gehört zu den traurigen Charakteristika der arabischen Welt, dass es dort trotz einiger ermutigender Reformschübe in den vergangenen Jahren bis heute kaum ein Land gibt, dessen Regierung nicht zumindest das Prädikat "autoritär" verdient.

Syriens Präsident Assad (links) und Libyens Staatschef Gaddafi auf dem Gipfel der Arabischen Liga in Damaskus; Foto: AP
Syriens Präsident Assad und Libyens Revolutionsführer Gaddafi regieren ihre Länder uneingeschränkt - ohne demokratische oder rechtsstaatliche Kontrolle.

​​ Dazu gehören Diktaturen wie Libyen und Syrien und die Monarchien in den Golfstaaten, ebenso wie Länder, die man trotz einer gewissen Öffnung getrost als Schein-Demokratien bezeichnen kann, wie beispielsweise Ägypten: einer der treuesten Partner des Westens in der Region, einer der stabilsten Pfeiler für eine arabische Aussöhnung mit Israel - aber auch ein Staat, der Folter auf Polizeistationen zumindest duldet und in der Politik keine wirkliche Mitsprache seiner Bürger wünscht.

Die heutigen Probleme der arabischen Welt sind zwar nicht mit westlicher Interessenpolitik zu erklären. Allerdings spielt westliche Politik auch nicht immer eine konstruktive Rolle.

Sie zielt oftmals viel zu deutlich darauf ab, in Nahost und Nordafrika den Status Quo zu sichern und verspielt damit Symphatien. Gerade zivilgesellschaftliche Aktivisten in arabischen Ländern müssen immer wieder feststellen, dass Stabilität und wirtschaftliche Interessen für den Westen im Ernstfall Vorrang genießen.

Mit zweierlei Maß

Über Menschenrechtsverletzungen wird oft hinweggesehen, Demokratieförderung erschöpft sich in verbalen Bekenntnissen: Spätestens wenn islamistische Kräfte das Rennen machen, erlahmt der westliche Enthusiasmus für arabische Demokratie-Experimente und es wird wieder auf die vermeintlich stabilisierende Wirkung sogenannter "pro-westlicher" Autokraten gesetzt.

Klar ist jedoch: Der Kern der arabischen Entwicklungsprobleme kann nur vor Ort gelöst werden. Dafür sind Visionen notwenig, neue Ideen und neue Initiativen - vor allem im Bereich Bildung, denn hier sind die Defizite besonders eklatant und verhindern einen sustanziellen gesellschaftlichen Fortschritt.

Von den meisten bestehenden Regimen und Regierungen ist hier freilich kaum mehr als Mangelverwaltung zu erwarten - sie sind vor allem an ihrem eigenen Machterhalt interessiert. Der Westen muss zwar mit diesen Regierungen kooperieren.

Aber er sollte parallel dazu noch viel stärker auf zivilgesellschaftliche Kräfte setzen und diese aktiv fördern - auch im eigenen Interesse.

Wenn die arabische Welt nicht durch eigene Kraft aus ihren Konflikten herausfindet, wenn das Bevölkerungswachstum in vielen Ländern dort ebenso kontinuierlich steigt wie Jugendarbeitslosigkeit und Auswanderungsdruck, wenn wegen fehlender Perspektiven eine weitere Radikalisierung künftiger Generationen droht - dann kann dies vor allem der EU nicht egal sein.

Es ist ein ernstzunehmendes Gefahrenpotenzial - direkt in ihrer Nachbarschaft.

Rainer Sollich

© Deutsche Welle 2009

Qantara.de

Demokratische Reformen in der arabischen Welt
Illusion und Realität
Der jüngste Arabische Bericht über die menschliche Entwicklung (AHDR) wirft ein Schlaglicht auf die tiefen sozialen Probleme in der arabischen Welt und stärkt das Bewusstsein unter den Arabern dafür, einen wie weiten Weg sie noch vor sich haben hin zu demokratischen Freiheiten, meint Fred Halliday

Arabischer Bericht über die Menschliche Entwicklung
Reformbestrebungen unter die Lupe genommen
Anfang April erschien - mit halbjähriger Verspätung - der dritte "Arabische Bericht über die Menschliche Entwicklung" der UNDP. Die USA hatten scharfe Kritik geübt. Ein Kommentar von Sonja Hegazy

www

Arabischer Entwicklungsbericht (AHDR) als pdf