Arabisches Satellitenfernsehen und der Krieg
Der Krieg auf den Fernsehbildschirmen
‘Jeder Journalist erhält in dem Maße Informationen, wie sein Land am Krieg beteiligt ist’ dieser Satz stammt nicht vom irakischen Informationsminister Muhammad Said as-Sahhaf sondern von amerikanischen und britischen Offizieren im Südirak, wie ein Korrespondent der ARD in Kuwait ihn übermittelt hat. Der Zugang zu Informationsquellen erfolgt also nach Gutdünken. Eine Information wird nicht präsentiert, damit die öffentliche Meinung sie erfährt und so über den Ablauf des Krieges informiert wird, sondern stellt in diesem Krieg ebenso wie Raketen und Panzer eine Waffe dar.
Es war von Anfang an klar, dass der dritte Golfkrieg ebenso auf den Bildschirmen wie auf dem Schlachtfeld ausgetragen werden würde. Colin Powell, der amerikanische Außenminister, warnte die Journalisten schon vor dem Krieg, in den Irak zu reisen und forderte die dort befindendlichen Journalisten auf, das Land zu verlassen. Das waren deutliche Anzeichen dafür, dass die USA keine Zeugen für ihren Krieg wollten und ein Monopol über Bilder und Informationen anstrebten, vor allem, wenn die Zahl der zivilen Opfer unter den Irakern ansteigen sollte. Die Herren aus Washington und London, die der ganzen Welt die kalte Schulter zeigten und den Krieg ohne internationale Rückendeckung und trotz einer nie erlebten weltweiten Opposition gegen ihn begannen, fürchteten die Medien. Denn der Widerstand gegen frühere Kriege, wie den Vietnam-Krieg und andere, erhob sich immer erst, wenn man vermehrt Informationen über Opfer und Zerstörung erhielt.
In diesem neuen Krieg gab es von Beginn an warnende Stimmen und Gegner, und das sogar unter den engsten Verbündeten der einzigen verbliebenen Großmacht auf der Welt. Der zivile Widerstand gegen diesen Krieg schlug trotz der Verachtung, die man der abscheulichen Diktatur Saddam Hussains entgegen brachte, seine höchsten Wellen im Westen. Deshalb reagierten die USA und Großbritannien so empfindlich auf die Medien.
Die arabischen Medien waren in diesem Krieg sehr viel stärker gegenwärtig durch Fernsehsender, die ein großes Maß an Freiheit und ein weniger großes Maß an Unabhängigkeit genießen. Betrachtet man ihre Professionalität, so stellen sie etwas Neues in der Geschichte der arabischen Medien dar. Wenn wir über die arabischen Fernsehsender sprechen, nehmen wir die offiziellen Regierungssender aus. Gemeint sind hier die ‚unabhängigen’ Nachrichtensender wie al-Jazeera, Abu Dhabi, al-Arabiyya und andere private Satellitensender. Sie nahmen bei der Kriegsberichterstattung eine Vorreiterposition ein in Bezug auf die Zerschlagung des westlichen Medienmonopols, vor allem des amerikanischen Nachrichtensenders CNN. Diese Lektion haben die arabischen Medien im zweiten Golfkrieg gelernt.
Die irakische Siegespropaganda und das Dilemma der arabischen Medien
Es ist nichts Neues in der arabischen Welt, dass ein Regime seine Niederlagen vermarktet und in rhetorische Siege verwandelt. Womöglich gilt dieses Phänomen für alle Kriege, die die Araber im vergangenen Jahrhundert führten, angefangen mit den Kämpfen in Palästina, dem israelischen Einmarsch in den Libanon 1982, dem zweiten Golfkrieg bis hin zur Mutter aller Entscheidungsschlachten, für die das irakische Regime seinen Sieg nun nicht mehr verkünden kann. Doch es führte seine Siegesgewissheit in den ersten zwei Wochen dieses Krieges in den Pressekonferenzen des irakischen Informationsministers Muhammad Said as-Sahhaf und anderer irakischer Verantwortlicher vor. Was dem Regime in den ersten Tagen des Krieges half, seine Siegesgewissheit gut zu verkaufen, war das nur langsame Fortkommen der Amerikaner und Briten in den Städten im Süden des Landes, vor allem in Umm Qasr und Basra. Die arabischen Medien trugen ihren Teil dazu bei, in der arabischen Öffentlichkeit Illusionen zu wecken, dass das irakische Regime mit seiner Armee dem amerikanischen Überfall auf seinem Boden Widerstand leisten könne. Hier nun sollen detaillierter einige Beispiele beleuchtet werden.
Nehmen wir zum Beispiel einmal den in der arabischen Welt populärsten Nachrichtensender al-Jazeera aus Qatar, der eine wichtige Rolle spielte und dessen Berichterstattung über die Ereignisse im Irak dem offiziellen Diskurs eines Widerstand leistenden arabischen Regimes ähnelte. Man hatte den Eindruck, der Sender habe im Voraus seine Zielvorgabe für die Berichterstattung festgelegt: Er wollte dem arabischen Zuschauer seinen sehnsüchtigen Wunsch erfüllen, zu beobachten, wie der Irak dem amerikanischen Überfall widersteht. Sogar mehr als das, die Iraker, die bei al-Jazeera erschienen, standen fest hinter ihrer Führung im Kampf gegen den Überfall.
Der Sender, der doch das Motto ‚Meinung und Gegenmeinung’ kreiert hatte, weiß genau, dass es im Irak eine Gegenmeinung gibt, die gegen die Führung in Bagdad ist, doch diese Opposition tauchte bei al-Jazeera nicht auf. Während der drei Kriegswochen lud man nicht einen irakischen Oppositionellen welcher politischen Couleur auch immer aus dem Irak selbst oder aus dem Ausland ein. Der Sender vergaß seine medienpolitische Funktion und stellte die Opposition als Verräter dar, die mit den Panzern der Invasoren ins Land gekommen seien. Al-Jazeera begnügte sich mit irakischen ‘Experten’ (aus dem Irak selbst), deren überwiegende Mehrheit Universitätsdozenten waren, die (freiwillig oder unfreiwillig) das Regime unterstützten. Einige von ihnen erschienen sogar in Uniform, die viele irakische Verantwortliche trugen, seitdem der Irak dem Iran Anfang der achtziger Jahre den Krieg erklärt hatte. Wo ist die Glaubwürdigkeit eines politischen Experten, der bis hin zu seiner Kleidung mit seinem Regime konform geht.
Die arabischen Experten, die al-Jazeera einlud, egal ob sie nun politische oder militärische Analysen lieferten, ignorierten die Realität und übernahmen die siegesgewisse Sprache des irakischen Informationsministers, der Schimpfwörter benutzte, die kein vernünftiger Mensch gebrauchen würde. Das gemäßigtste von ihnen war noch jenes mittelalterlich Wort ‘Uludsch’ für Ungläubige.In den ersten Tagen des Krieges lud al-Jazeera Abd al-Bari Atwan, den Chefredakteur der Zeitung al-Quds al-Arabi, als ständigen Gast ins Studio ein, um zu analysieren, was an den Fronten passierte. Atwan benutzte eine emotionale und aufwühlende Sprache, die sich nicht um Realitäten und Gegebenheiten oder den himmelweiten Unterschied der Schlagkraft der Amerikaner und der Iraker scherte. Stattdessen verfolgte er frei nach dem Motto ‘Araber, wie süß ist der Tod’ sein Ziel, in den Menschen Kampfeseifer zu wecken, ohne an die Folgen zu denken. Er dachte auch nicht daran, was diese Siegespropaganda bei den arabischen Massen an Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Niedergeschlagenheit nach sich ziehen würde ‘wenn erst einmal alles vorbei sein sollte’. Und das war es, was am neunten April passierte, als die amerikanischen Truppen sich mit zwei Panzern der irakischen Hauptstadt bemächtigten und die irakische Führung plötzlich wie vom Erdboden verschwand, nachdem sie noch Stunden zuvor den Amerikanern mit einem massiven Gegenschlag gedroht hatte.
Die Korrespondentin von al-Jazeera in Bagdad präsentierte einen Bericht über den irakischen Widerstand mit Bildern von kampfbereiten, bewaffneten Irakern in den Strassen Bagdads und von eifrigen irakischen Frauen, die sie durch Kochen und Ähnliches unterstützten, so als befänden wir uns bei einem Angriff in den frühen Tagen des Islam im sechsten Jahrhundert. Die Korrespondentin schreckte nicht davor zurück, diese Frauen die ‘Ruhmreichen’ zu nennen, sie mit dem gleichen Namen zu bezeichnen, den das irakische Regime den Frauen des Iraks zugedacht hatte. Doch danach stellte sich heraus, dass es nicht etwa die ‘Ruhmreichen’ Saddams gewesen waren, nicht seine Armee und auch nicht seine Spezialtruppen, die den Irakern über Jahrzehnte Furcht eingeflößt haben, sondern einige arabische Freiwillige.
Ein anderes Beispiel: Als der irakische Präsident in den Fernsehbildern im Viertel al-Mansur erschien, um damit zu beweisen, dass er noch am Leben sei, führte al-Jazeera Telefoninterviews mit Hamdain Sabahi und Imad Fausi Schuaibi, um diese Bilder zu analysieren. Was machten die beiden arabischen Experten? Sie überschütteten die Zuschauer mit einem siegesgewissen, nationalistischen Diskurs über das Scheitern der amerikanischen Strategie, dem irakischen Präsidenten etwas anzuhaben, da er sich nun mutig unter den schwierigsten Bedingungen seinem Volk zeige. Dabei wussten sie, dass sich der irakische Präsident schon unter normalen Umständen niemals an einem öffentlichen Ort zeigte, wenn dieser nicht vorher gründlich von den Sicherheitskräften durchsucht worden war. Wie sollte es da erst sein, wenn der Eindringling vor der Tür steht?
Warum muss der arabische Zuschauer und Rezipienten irregeführt werden? Hat die Siegesgeste Arafats in Beirut 1982 irgendetwas an der Tatsache der Niederlage des palästinensischen Widerstands geändert? Kann man dem amerikanischen Waffenaufgebot mit moralischer Selbstherrlichkeit, Beschimpfungen und mittelalterlicher Sprache widerstehen?
Die arabischen Medien sind trotz allem, was wir an Positivem über die Satellitensender gesagt haben, in die Falle der Siegespropaganda getappt. Das gilt nicht für unser anderes Beispiel, den Sender Abu Dhabi. Von Anfang an berichtete dieser Sender ausgewogener und weniger propagandistisch über die Kriegsereignisse und präsentierte ein realistischeres Bild von den Ereignissen als alle anderen arabischen Sender. Man hatte sogar von Anfang an einen Militärexperten hinzugezogen, einen pensionierten ägyptischen Offizier, der sich davor hütete, diese plakative Sprache zu benutzen und den Zuschauern genaue militärische Informationen über den Gang der Schlachten lieferte, auch wenn sie manchmal schockierend waren.
Gibt es neutrale Medien?
Hier eine Grenze zu ziehen, ist schwierig. Obwohl die westlichen Medien mit hoher Professionalität und mit Objektivität prahlen, haben doch die meisten Medieninstitutionen eine allseits bekannte politische Ausrichtung. In Deutschland zum Beispiel neigt die ARD eher der ‘linken Mitte’ oder der SPD zu, während das ZDF eher der rechten christlichen Opposition nahe steht. Doch die hohe Professionalität der dort Beschäftigten und die weitgehende Meinungsfreiheit in Deutschland beschränken eine mögliche Einseitigkeit, Voreingenommenheit und den allzu deutlichen Einfluss der Linie des Senders auf die Nachrichtenproduktion. Deshalb sind die Unterschiede zwischen beiden Sendern fast kaum wahrnehmbar. Das ist für die arabische Welt, in der die Medien stark reglementiert sind und sorgfältig geprüft und zensiert werden, ungewöhnlich. Doch der große Fortschritt der Medien in den letzten Jahren in der arabischen Welt, in der es nun Zonen freier Medien gibt und in der private oder halboffizielle Satellitenkanäle entstanden, hat den Boden bereitet für eine ebensolche Möglichkeit. Hier stellt sich jedoch die Frage, wie ein arabischer Journalist gegenüber einem Krieg gegen ein arabisches Land neutral bleiben soll.
Ein bekannter arabischer Journalist, Bilal Hassan, sprach über diesen Punkt und verteidigte die arabische Berichterstattung, denn seiner Ansicht nach hat ein arabischer Journalist eine Meinung in diesem Krieg und kann diese nicht unberücksichtigt lassen oder ignorieren. Deswegen muss sich seine Meinung in der Berichterstattung über ein Ereignis widerspiegeln. Doch es gibt einen großen Unterschied zwischen einer Meinung und der Entstellung der Tatsachen oder konkreter ausgedrückt der Verwandlung einer Niederlage in einen rhetorischen Sieg und der Vermarktung der Medien eines diktatorischen Regimes. Jeder weiß, dass es eine starke Opposition gegen den Herrscher Bagdads gab, dass mehr als vier Millionen Iraker aus dem Land geflohen sind und dass das Regime völlig isoliert war aufgrund dessen, was es seinem Volk angetan hat. Ist es also nicht Pflicht der arabischen Medien, diesen Aspekt herauszustellen, damit der uninformierte Zuschauer weiß, welcher Art das Regime ist, das sich dem amerikanischen Überfall ‘widersetzt’.
Trotz all dem Negativen, das wir erwähnt haben, muss man die Satellitenkanäle vom Golf wie al-Jazeera, Abu Dhabi und al-Arabiyya loben. Denn diese drei Sender hatten ihre Korrespondenten in den meisten irakischen Städten, waren immer nah am Ereignis, auch unter den schwierigsten Kriegsumständen, die Büros von zweien dieser Sender wurden von den Amerikanern bombardiert, einer von ihnen verlor sogar einen Mitarbeiter. Vielleicht drückt das Motto des Senders von Abu Dhabi ‘Vor Ort beim Ereignis’ genau das aus. Auf diese Weise haben sich die arabischen Medien emanzipiert von der Vorherrschaft der internationalen Fernsehsender, allen voran der amerikanischen, und haben es vermocht, über die Ereignisse so zu berichten, wie ihre Korrespondenten sie mit eigenen Augen gesehen haben. Doch die arabischen Medien, vor allem al-Jazeera, haben es nicht geschafft, einen rationalen Mediendiskurs zu präsentieren, der dem Rezipienten die Wahrheit zeigt, selbst wenn sie bitter ist.
Ahmad Hissou, © 2003 Fikrun wa Fann Nr. 77
Übersetzung aus dem Arabischen: Michaela Kleinhaus