Die Hoffnung stirbt zuletzt
Im Gemeinschaftsraum der Asylunterkunft will der elegant gekleidete Mazhar Zümrüt nicht mit uns reden. Er traut seinen Mitbewohnern nicht. "Die könnten mich bespitzeln", flüstert er uns zu. Er ist misstrauisch, fühlt sich selbst im vermeintlich sicheren Deutschland immer noch verfolgt und bespitzelt.
Doch hier auf dem Lande, am Rand von Nordrhein-Westfalen, geht es ihm besser. Er hat sich in Deutschland, in seinem kleinen, grell angestrichenen Zimmer, vorläufig eingerichtet. Er hatte keine andere Wahl, sagt er.
Kampf um politisches Asyl: Mazhar Zümrüt
Mazhar Zümrüt hat eine Odyssee hinter sich. Über Syrien und den Irak ist er im Mai nach Deutschland geflohen. Am 20.Mai bittet er offiziell um politisches Asyl. Er hatte Angst um sein Leben in einem Land, in dem unter Staatspräsident Erdoğan Unterdrückung und Willkür immer weiter um sich greifen: "Die Türkei, die ich verlassen habe, ist wie Deutschland nach dem Jahr 1933", sagt Zümrüt. Seine ganze Hoffnung heißt nun: Deutschland. "Hier wird das Recht noch respektiert."
Unrecht, das habe er als Kurde aus Diyarbakır fast täglich erlebt. Er wurde beschimpft als Volksverräter und Terrorist. Als im vergangenen Sommer ein Trupp Polizisten sein Haus aufgebrochen habe, wusste er: Es wird Zeit zu gehen. Seit diesem Tag wird Mazhar Zümrüt mit einem Haftbefehl gesucht und taucht unter, getrennt von seiner Frau. Der Vorwurf: Zümrüt habe sich für die verbotene, militante PKK engagiert.
Das bestreitet der 64-jährige ehemalige Beamte des Arbeitsministeriums. Er sei lediglich Mitglied der kurdischen BDP, dem kommunalen Ableger der im Parlament vertretenen prokurdischen Partei HDP, deren Abgeordnete vor einem Monat festgenommen wurden. So hat er das alles auch in der Befragung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge angegeben.
Rekordzahl bei türkischen Asylbewerbern
Dort registriert man in den letzten Monaten eine enorm ansteigende Nachfrage von türkischen Personen nach politischem Asyl in Deutschland. Vor allem nach dem Putschversuch vom 15. Juli und der anschließenden "Säuberungswelle" durch die Regierung Erdoğan stiegen die Zahlen.
Dem Bundesamt zufolge wurden allein zwischen Januar und Oktober 2016 insgesamt 4.437 Asylanträge gestellt; mittlerweile dürften es wohl um die 5.000 sein. Die meisten Antragsteller geben an, kurdischer Volkszugehörigkeit zu sein. 2015 waren es lediglich insgesamt 1.767 Asylanträge.
Die Bundesregierung, das Auswärtige Amt zeigen sich solidarisch mit verfolgten Türken. Erst kürzlich hatte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, in einem Interview erklärt: "Alle kritischen Geister in der Türkei sollen wissen, dass die Bundesregierung ihnen solidarisch beisteht. Politisch Verfolgten steht es im Grundsatz offen, Asyl zu beantragen."
Letzte Hoffnung: Deutschland
Für Zümrüt sind solche Erklärungen eine große Erleichterung, und sie machen ihm Hoffnung: "Deutschland ist ein Rechtsstaat. Ich glaube nicht, dass man mich an die Faschisten in der Türkei ausliefert."
Mazhar Zümrüt macht sich aber nicht nur Sorgen um sein eigenes Schicksal. Er zeigt uns Fotos aus glücklichen Tagen in Ostanatolien, in Diyarbakır. Zusammen mit seiner Frau, die Künstlerin ist, strahlt er breit lächelnd in die Kamera. "Ich vermisse sie und will, dass sie auch nach Deutschland kommt. Aber meine Frau musste auch untertauchen."
Kontakt zu ihr zu halten, ist schwierig. Zümrüt hat Angst davor, dass seineTelefonate von türkischer Seite abgehört werden.
Das Warten zehrt an den Nerven. Ein bisschen Ablenkung bietet der Deutschkurs, den er fast täglich besucht. Dass er nach Deutschland gekommen ist, hat auch damit zu tun, dass er schon in der Schule Deutschunterricht hatte und später an der Uni. "Aber das ist alles schon 40 Jahre her. Es ist schwierig."
Zümrüt lässt sich dennoch nicht unterkriegen, immer wieder meldet er sich fleißig in der Deutschstunde.
Nagende Ungewissheit
Doch dann kommen die sentimentalen Momente. Die Frau: zurückgelassen. Die Perspektive: unklar. Der Weg zurück: versperrt. "Solange die Rechte der Kurden nicht endlich in der Verfassung festgeschrieben sind, kann ich nicht in die Türkei zurück", resümiert Zümrüt.
Über seinen Antrag auf politisches Asyl soll bald entschieden werden. Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es. Aber die Zahlen sind ernüchternd für Zümrüt. In diesem Jahr wurden nur rund sieben Prozent der Asylanträge von Menschen aus der Türkei positiv beschieden.
Dann, so glaubt der elegante Mann aus Diyarbakır, bliebe ihm nur unterzutauchen. Jeden Morgen geht er zum Briefkasten und hofft auf einen positiven Bescheid vom zuständigen Bundesamt; der Meldung: Ihrem Antrag auf Asyl wird stattgegeben.
Volker Witting
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