Wer im Glashaus sitzt
Mag sein, dass es in ihrer Heimat wenige Glashäuser gibt. Sonst wäre Hirsi Ali wohl etwas vorsichtiger mit den Steinen umgegangen, mit denen sie in den letzten Jahren um sich warf. Nicht in ihrem Geburtsland im östlichen Afrika, sondern in ihrer Wahlheimat, den Niederlanden. "Wahl"-Heimat, weil sie – wie sich inzwischen herausgestellt hat – nicht als wirklicher Flüchtling dorthin kam und über die Hintergründe nicht ganz ehrlich gewesen war.
Hierfür zahlt sie nun den Preis, obwohl sie es in den Niederlanden zu etwas gebracht und weltweites Ansehen erworben hatte: Hirsi Ali verlässt die Niederlande und geht in die USA, vielleicht muss sie gar ihren Pass zurückgeben, obwohl sie es doch bis ins niederländische Parlament geschafft hatte.
Aber das ist eben einer der Aspekte der "Affäre" um Hirsi Ali: Die junge Frau gehörte zu jenen "Liberalen" im Parlament, die in der Frage von Einwanderung und Integration alles andere als liberal sind. Und sie vertrat dabei eben auch die harte und konsequente Linie: Wer ein Flüchtlingsschicksal nur vorgeflunkert hat, muss wieder gehen. Selbst wenn das Jahre zurückliegt und die Person inzwischen voll integriert ist. Wie Hirsi Ali. Eben: In gewissen Situationen wirft man nicht mit Steinen.
Aber da ist auch der andere Aspekt, der die attraktive Frau weltweit bekannt gemacht hatte: Sie gehört zu den resoluten Kritikerinnen des Islam, wenn es um die Rolle der Frau in dieser Religion geht. Der Religion, in die hineingeboren wurde, von der sie ich aber immer mehr losgesagt hat.
In beiden Rollen war Hirsi Ali willkommene und gefeierte Kronzeugin der politischen Kreise, die gar nicht oft genug zur Beerdigung des Multikulturalismus antreten können und die den Islam ganz besonders für eine gefährliche und unmenschliche Religion halten.
Die "political correctness" mag diese Leute daran hindern, solche Behauptungen selbst aufzustellen, deswegen waren sie doch umso zufriedener, mit Hirsi Ali eine Muslimin gefunden zu haben, der man natürlich nicht widersprechen würde, wenn SIE solche Dinge sagt.
Schade: Denn im Kern ist die Kritik Hirsi Alis natürlich oft berechtigt. Nur hat sie – wie im Fall des Films mit dem daraufhin ermordeten Filmemacher Theo van Gogh oft über das Ziel hinausgeschossen und auch moderate Kreise von Muslimen provoziert. Auch hat sie sich damit selbst zum willfährigen Werkzeug gerade der politischen Kreise und Ideologen gemacht, denen sie als „Tanzaffe“ gut genug war, als vollwertiger Mitbürger aber wohl kaum.
Und es wird wohl gerade deren Häme und Spott sein, den Hirsi Ali nun zu hören bekommen wird. In den USA wird das für sie kaum besser werden: Sie ist Gast eines regierungsnahen Instituts und wieder dient sie politischen Kräften, denen sie politisch nützt, sonst aber wohl reichlich gleichgültig ist.
Ein Emigrantenschicksal. Bei dem sich persönliche mit politischen Fehlern vermengen. Wenigsten die politischen Fehler hätte man in den Niederlanden – in Europa – selbst lösen sollen. So aber sind wir in diesem Fall alle gescheitert.
Peter Philipp
© DEUTSCHE WELLE 2006
Qantara.de
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