"Der Nahe Osten braucht eine sexuelle Revolution!"
Die Freiheit der Frau kann als Gradmesser dafür gelten, wie weit der Begriff der Freiheit in einer Gesellschaft verwirklicht ist: Freiheit meint immer Freiheit für alle – egal ob Mann oder Frau. Es war insofern ermutigend, als im Rahmen der Arabellion auch vermehrt Frauen Flagge zeigten. Und es war ebenso entmutigend, wie schnell die Rechte der Frauen in eben den Ländern, in denen endlich der lang unterdrückte Ruf nach Freiheit ertönte, wieder beschnitten wurden und noch immer beschnitten sind.
Dass die politische Revolution mit einer gesellschaftlichen – was letztlich meint: sexuellen Revolution einher gehen müsste, betonte im vergangenen Jahr schon die ägyptische Journalistin Shereen El Feki in ihrem Band "Sex und die Zitadelle". Die ebenfalls aus Ägypten stammende Journalistin Mona Eltahawy legt mit ihrer nun ins Deutsche übersetzen Streitschrift "Warum hasst Ihr uns?" noch nach und behauptet kühn: Der Nahe Osten brauche eine sexuelle Revolution – denn nur die sexuelle Revolution ermögliche jene Freiheit der Frauen, die wiederum diesen Ländern selbst die ersehnte Freiheit garantiere.
Grundlegende Misogynie
Der Band ist starker Tobak, vom ersten Satz an: "Grundsätzlich gibt es nichts zu beschönigen", so beginnt Mona Eltahawy ihre Ausführungen über die in ihren Augen grundlegende Misogynie der arabischen Welt. "Wir arabischen Frauen leben in einer Kultur, die uns grundsätzlich feindlich gegenüber steht und die geprägt ist von der Verachtung der Männer. Sie hassen uns nicht etwa wegen unserer Freiheiten, wie es das abgedroschene amerikanische Klischee nach 9/11 gerne hätte. Wir haben keine Freiheiten, weil sie uns hassen".
Mona Eltahawy spricht dabei über Erfahrungen aus erster Hand: Sie selbst kommt in Ägypten zu Welt; als sie sieben Jahre alt ist, zieht ihre Familie allerdings nach Saudi-Arabien: "Es war, als wären wir auf einen anderen Planeten gezogen, dessen Bewohner sich inbrünstig wünschten, es gäbe keine Frauen".
Beide Länder stehen daher im Mittelpunkt ihrer kritischen Bestandsaufnahme – auch, wenn sie immer wieder Zahlen und Fakten aus anderen arabischen bzw. muslimischen Ländern einflicht, so etwa dem Jemen und dem Libanon, aus Syrien oder dem Sudan.
Keuschheitswahn und Hypersexualisierung
Diese Zahlen und Fakten sind erdrückend und bedrückend zugleich – manchmal wünscht man sich, man könnte ein 'ja, aber' entgegen setzen. Doch eben solch ein 'Ja, aber' lässt die Autorin nicht gelten: Weder entlässt sie – die selbst lange aus Überzeugung den Hidschab getragen hat – ihre Religion aus der Verantwortung für die patriarchale Unterdrückung, noch will sie 'kulturelle Eigenheiten' gelten lassen.
Wo von diesen die Rede ist, stütze man nur die Hardliner und Fundamentalisten, die den weiblichen Körper, so Eltahawy, zu "kulturellen Vektoren" machen, in deren Körper die männlichen Vorstellungen von Kultur eingeschrieben werden. Frauen werden somit allein auf das Hymen und das Kopftuch reduziert – Keuschheit und Reinheit sind der Altar, auf dem gegebenenfalls ihr Leben geopfert wird, allein um des guten Rufes willen: Ehrenmorde, Kinderheirat, Polygamie, Genitalverstümmelung in Ägypten, häusliche Gewalt, das Zusammenwirken von häuslicher und staatlicher Gewalt – siehe etwa die Vergewaltigungen auf dem Tahrir-Platz und die sogenannten Jungfräulichkeitstests, die in Ägypten durchgeführt werden.
Allumfassende Kontrolle
Mona Eltahawy macht dabei unmissverständlich klar: Es geht nicht um die propagierte Keuschheit – selbst in Mekka wurde sie nämlich als Jugendliche bei der Umrundung der Kaaba trotz züchtiger Kleidung sexuell belästigt. Darüber reden durfte sie nicht. Es geht vielmehr um Kontrolle – auch um die der weiblichen Mobilität.
Die sogenannten Personenstandsgesetze in Saudi-Arabien nennt sie eine Politik der Geschlechterapartheid: Erwachsene Frauen, die einen Vormund – und sei es der eigene minderjährige Sohn – benötigen, um beispielsweise erneut heiraten zu können? Dafür hat sie nur ätzende Worte übrig: "Religiöse Hardliner machen Saudi-Arabien lächerlich. Ein Land, das innerhalb von sechs Jahrzehnten mehrspurige Autobahnen durch die Wüste zog und im Datenstrom bestens vernetzt ist, sperrt seine Frauen in eine mittelalterliche Sphäre, und die Welt schweigt dazu".
Die Welt – dazu gehört sowohl der Westen, aber auch der schweigende muslimische Rest. An diesen richtet sich ihr Buch vornehmlich; auch wenn sie auf die zynische westliche Doppelmoral hinweist, dass ausgerechnet das frauenfeindliche Saudi-Arabien – nicht aber der Iran – sich in ein Gremium wie "UN Women" einkaufen durfte, das verspricht, den weiblichen Sport zu fördern.
Die Wut der Frauen wird die islamische Welt verändern
Dennoch ist ihr Ziel nicht die 'Rettung durch den Westen'. Sie wünscht sich vielmehr, dass der Westen all jenen Frauen mehr Gehör und Stimme verleihen würde, die in der muslimischen Welt teils ihr Leben aufs Spiel setzen, um für das eigene Geschlecht zu erlangen, was den Männern selbstverständlich scheint: die Freiheit, sich zu bewegen und zu leben, wie man will.
Fallbeispiele mutiger Frauen – so etwa der Korso jener Frauen, die in Saudi-Arabien gegen das Fahrverbot protestierten und dafür im Gefängnis landeten und den Pass entzogen bekamen – wechseln sich daher mit den eigenen Erfahrungen der Autorin ab; das verleiht dem Buch seine so persönliche wie lebendige Note. Für sich zu sprechen, ist die Botschaft, die sie an die Frauen hat.
Die Männer lässt sie dennoch nicht außen vor: Sie weiß, dass auch viele von ihnen unter der von ihrer Kultur und Religion auferlegten bigotten Doppelmoral leiden. Eine sexuelle Aufklärung tut, so Mona Eltahawy, daher dringend Not – und zwar (entgegen des anders lautenden deutschen Titels) für beide Geschlechter! Bis es soweit ist, wird aber vor allem die Wut der Frauen wachsen und wachsen. Sie ist – schenkt man der Autorin Glauben – schon jetzt unermesslich groß und wird die islamischen Länder über kurz oder lang grundlegend verändern.
© Qantara.de 2015
Mona Eltahawy: "Warum hasst ihr uns so? Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt", aus dem Amerikanischen von Ursula Held, Piper Verlag 2015, 203 Seiten.