Die Burka in unseren Köpfen
Staatliche Eingriffe in die Religionsfreiheit, wie sie das laizistische französische Recht ermöglicht, sind in Deutschland undenkbar. Unser Grundgesetz organisiert das Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften als kooperative Distanz. Deshalb gibt es bei uns den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, die Kirchensteuer, Militär-, Hochschul- und Krankenhausseelsorge und anderes mehr.
Man muss das im Einzelnen nicht alles gutheißen, vor allem nicht, dass in der Praxis die christlichen Kirchen weit mehr von Privilegien profitieren als andere - deshalb drängen die Muslime zu Recht zunehmend auf Gleichbehandlung. Aber im Grundsatz hat sich das deutsche Modell bewährt. Denn es schafft ein vielfältiges Nebeneinander. Anders gesagt: Es bewerkstelligt die Inklusion unterschiedlicher Weltanschauungen. Beispielsweise mit dem Religionsunterricht an staatlichen Schulen, der endlich auch für Muslime geöffnet wird. Niemand zweifelt mehr ernsthaft an, dass damit - im Vergleich zur abgeschotteten Existenz der Hinterhofmoscheen - ein integrationspolitischer Quantensprung verbunden ist, dessen Segnungen sich in den nächsten Jahren deutlicher zeigen werden. Ein anderes Beispiel sind Moscheebauten, die immer öfter ohne große Anfeindungen gebaut werden können.
Wer das versteht, der weiß: Ein so weitreichendes Burkaverbot, wie Frankreich es seit 2010 kennt, wird es in Deutschland nicht geben. Das ist auch deshalb gut, weil schon unsere NS-Vergangenheit es verbietet, einzelne religiöse Gruppen staatlicherseits dermaßen zu stigmatisieren.
Gerichtsurteil gleich Werturteil
Bezeichnenderweise fordert hierzulande auch keine demokratische Gruppierung ernsthaft ein vollständiges Burkaverbot, das tun hier nur Populisten und Extremisten am rechten Rand. Und selbst wenn es käme, hätte es wohl vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand. Daran ändert auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nichts: Er hat ja nicht generell das Tragen der Burka verboten, sondern nur dem französischen Staat das Recht gegeben, das zu tun - und damit seinen republikanisch-laizistischen Prinzipien zu folgen.
Unberührt lassen kann uns der Straßburger Spruch trotzdem nicht, denn er wird Kreise ziehen. Vor allem, da das Gericht indirekt durchaus ein negatives Werturteil über Burkas gefällt hat. Durch die Gesichtsverschleierung werde eine Barriere errichtet, die dem Ziel des Zusammenlebens in der Gesellschaft schade, so die Argumentation. Sie kommt, das ist sicher, interessierten rechtslastigen Kreisen hierzulande gerade recht, um Ressentiments gegen Muslime allgemein zu schüren.
Dass das außer ihnen niemand will, ist klar. Dennoch: Wer es nun dabei belässt, die Richter anzuprangern, weil sie die Religionsfreiheit der Burkaträgerinnen verletzten und sich zu Ideengebern rechtspopulistischer Kampagnen machten, macht es sich zu leicht. Er verschweigt die irritierenden Fragen, die der Anblick einer vollverschleierten Frau nun mal auslösen kann: Trägt sie das gern? Wird es auch ihre Tochter tragen müssen? Und er ignoriert die spannungsgeladene Heterogenität vieler muslimischer Communities.
Ausgrenzung der Falschen
Der Mehrheit der Muslime hierzulande (auch der gläubigen) sind Ganzkörperverschleierungen nicht nur fremd, sie lehnen sie ab. Das hängt auch damit zusammen, dass sich innerhalb der muslimischen Gruppierungen teils erbitterte Kontroversen um den rechten Glaubensweg abspielen. Nicht nur liberale, auch gemäßigt-konservative Muslime sind gelegentlich heftigen Attacken und Einschüchterungsversuchen fundamentalistischer und salafistischer Kreise ausgesetzt. Diese sind es ja häufig, die den Gesichtsschleier bevorzugen. Hier finden innerislamisch Kämpfe um Macht und Deutungshoheit statt, die die Mehrheitsgesellschaft nicht sieht. Dabei hätten die gemäßigt-konservativen muslimischen Kräfte dringend Unterstützung nötig. Das Gegenteil ist aber leider der Fall.
Unter denen nämlich, die niemals einen Niqab oder eine Burka überstreifen würden, sind sehr viele Kopftuchträgerinnen. Sie wollen sich mit ihrem Glauben gerade nicht abschotten. Gerade sie aber werden durch die bestehenden Kopftuchverbote vieler Bundesländer von Staats wegen ausgegrenzt. Der Lehrerberuf und andere Jobs im öffentlichen Dienst sind ihnen verwehrt.
Längst strahlt das Stigma auf die Privatwirtschaft aus: Wer als Muslima ein Kopftuch trägt, geht bei Bewerbungen öfter leer aus als andere. Das beklagen auch unparteiische Quellen wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zunehmend. Damit werden gerade die an den Rand gedrängt, die eine Brücke bilden könnten zwischen der säkularen Gesellschaft und frommen, teils sehr mit sich selbst beschäftigten Muslimen. Was für ein fataler Irrweg, welche Chancenvergeudung! Eine Schwimmlehrerin im Burkini zum Beispiel könnte muslimische Eltern sicher besser überzeugen, dass Schwimmen ihrer Tochter guttut, als das bisher gelingt.
Rechtsstaatliche Gesinnung aller muss das Ziel sein. Die kann man aber über Bekleidungsvorschriften nicht erzwingen. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die Menschen für unsere Wertvorstellungen zu gewinnen - dazu braucht es die Chance auf Bildung, Aufklärung, Jugend- und Familienarbeit. Ein Burkaverbot braucht es dazu nicht - und Kopftuchverbote darf es erst recht nicht länger geben.
Ursula Rüssmann
© Qantara.de 2014
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de