Düstere Aussichten für Millionen von Wanderarbeitern
Hassan stammt aus Bangladesch. Als Wanderarbeiter lebt er derzeit in Riad, Saudi-Arabien. Er teilt eine Einzimmerwohnung mit elf Personen, die alle unter Quarantäne stehen, nachdem ein Mitbewohner Symptome aufwies und positiv auf COVID-19 getestet wurde.
Abends sei die Polizei gekommen und habe das gesamte Gebäude unter Quarantäne gestellt, erzählt Hassan. Zwei Tage später kam ein Arzt, der alle Bewohner testete. Drei Tage später erfuhren Hassan und vier weitere Mitbewohner, dass sie sich ebenfalls infiziert hatten.
"Ich spüre keine größeren Symptome. Manchmal habe ich nachts Halsschmerzen, doch dann denke ich, mein Gehirn spielt mir einen Streich", sagt er in einem Telefongespräch, eine Woche nachdem er positiv getestet wurde. "Was mir mehr Sorgen bereitet, ist das Geld."
Anhaltende Ungewissheit
Solange er sich in Quarantäne befindet, erhält er Lebensmittel von der Regierung. Wie es weitergeht, sobald er wieder genesen ist und in seine eigene Wohnung zurückkehren kann, weiß er nicht. Seine Firma sagt auch nichts dazu, wann es mit der Arbeit weitergeht oder ob er für die Zeit in der Quarantäne Lohn erhält.
Hassan steht damit nicht allein: Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass die Millionen von Wanderarbeitern am Golf unverhältnismäßig stark unter den wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen zu leiden haben, die die Gastländer zur Eindämmung der Corona-Pandemie in der Region ergreifen.
Insgesamt sind in den Golfstaaten rund 20.000 Menschen an COVID-19 erkrankt, mindestens 150 sind gestorben. Die Länder verbieten weiterhin die meisten Passagierflüge und verlängern Massenquarantäne und Ausgangssperren zur Eindämmung der wachsenden Fallzahlen.
"Diese Pandemie verdeutlicht die jahrzehntelange systematische ethnische Diskriminierung und verstärkt das Leiden der Wanderarbeiter, die unter den verschiedenen Kafala-Systemen der Golfstaaten seit jeher ausgebeutet und missbraucht werden", sagt Hiba Zayadi, bei Human Rights Watch Expertin für die Golfregion.
Die Zahl der Fälle hat in den Golfstaaten exponentiell zugenommen. Die Behörden geben nur wenige Informationen darüber heraus, inwieweit Wanderarbeiter betroffen sind. Allerdings wurden viele Einrichtungen unter Quarantäne gestellt, in denen Migranten überall in der ganzen Region untergebracht sind – so beispielsweise das größte Arbeiterlager in Qatar. Viele Unternehmen, deren Belegschaft zur Hauptsache aus Wanderarbeitern besteht, haben ihre Mitarbeiter ebenfalls unter Quarantäne gestellt, nachdem einige positiv getestet worden waren.
Warten auf das Ende der Quarantäne
Bilal arbeitet für eine private Supermarktkette im saudischen Mekka. Gemeinsam mit fast 50 weiteren Angestellten seines Unternehmens musste er sich in Quarantäne begeben, nachdem ein Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Alle Arbeiter wurden in Einzelzimmern eines Hotels untergebracht, das - wie viele Hotels der Stadt - normalerweise von Tausenden religiöser Pilger gebucht wird. Bilal und seine Kollegen erhalten drei Mahlzeiten täglich, bis die Quarantäne vorüber ist.
"Wir werden gut behandelt. Bald soll ein Arzt kommen und uns erneut testen, damit wir Bescheid wissen, bevor die zwei Wochen vorbei sind", sagt er. "Aber es hängt vollkommen davon ab, für welche Firma man arbeitet. Ich kenne Leute, die in ihren beengten Zimmern eingeschlossen sind, die sie sich mit drei bis vier weiteren Männern teilen. Jeder erlebt die Lage ganz unterschiedlich, da viele Unternehmen die Regierung belügen."
Mehrere Golfstaaten haben politische Maßnahmen zur Abfederung der finanziellen Folgen der Pandemie für Wanderarbeiter angekündigt. So wollen beispielsweise die VAE, dass alle Unternehmen entlassenen Arbeitnehmern so lange eine Unterkunft zur Verfügung stellen, bis sie das Land verlassen können oder einen anderen Arbeitsplatz gefunden haben. Qatar will die Lohnfortzahlung für alle unter Quarantäne gestellten Wanderarbeiter übernehmen.
Lohnfortzahlungen nicht immer sicher
"In der Vergangenheit haben die von der Regierung angekündigten Reformen uns und andere Gruppen meist nicht wie vorgesehen erreicht. Das ist vor allem auf das Kafala-System zurückzuführen, dem die Wanderarbeiter unterstellt sind", sagt Zayadi. "Ich wüsste nicht, warum wir ausgerechnet in dieser beispiellosen Krise darauf vertrauen sollen, dass die Regierungen die angekündigten Maßnahmen zum Schutz der Wanderarbeiter vor dem finanziellen Ruin wirksam um- und durchsetzen."
Die unsichere finanzielle Lage lastet auf den Wanderarbeitern in der gesamten Region.
"Mein Bruder fährt Taxi und ich arbeite auf dem Bau. Wir beide wissen nicht, ob wir unsere Familien zu Hause weiter unterstützen können", meint Faraz Khan, ein Pakistaner, der in Dubai arbeitet. "Das Unternehmen, für das ich arbeite, hat uns aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Unser Lohn wird wahrscheinlich nicht weitergezahlt. Niemand weiß etwas Genaues. Mein Bruder fährt immer noch Taxi, aber es gibt kaum Fahrgäste. Das ist fast so, als wäre er arbeitslos."
Faraz arbeitet auch als Hilfe für zwei Haushalte, die er an den Wochenenden für jeweils drei bis vier Stunden aufsucht. Er ist einer der vielen Wanderarbeiter in der Region, die unregelmäßige Teilzeittätigkeiten ausüben und normalerweise für Ausländer arbeiten, die sich eine Vollzeit-Haushaltshilfe nicht leisten können.
"Schon bevor die offizielle Quarantäne begann, bat man mich, nicht mehr zu kommen. Der erste Haushalt riegelte sich Mitte März ab, der zweite nur eine Woche später", sagt er. Beide Haushalte sagten ihm, er könne sich seinen Lohn abholen, sobald sich die Umstände normalisiert haben.
Immer weniger Hausangestellte Arbeit finden Arbeit
"Auch Menschen, die sich ein Leben ohne Haushaltshilfen nie vorstellen konnten, verzichten jetzt auf uns, weil sie wissen, dass wir dichtgedrängt in sehr beengten Verhältnissen mit einem entsprechend hohen Ansteckungsrisiko leben", sagt Faraz. "Das mag so sein. Ich weiß ja nicht, wie sich diese Krankheit ausbreitet, doch das spielt jetzt auch keine Rolle mehr, da die gesamte Bevölkerung aufgefordert wurde, auf Abstand zu gehen."
Faraz ist nicht allein – seit Auftreten der ersten Corona-Fälle finden in der gesamten Region immer weniger Hausangestellte Arbeit.
Wir haben bei zwei Reinigungsdiensten aus den VAE und einem aus Qatar nachgehakt. Alle erklärten, ihre Mitarbeiter erhielten trotz der geschäftlichen Folgen der Massenquarantäne pünktlich die vollen Löhne. Die Arbeitnehmer erzählen jedoch eine andere Geschichte.
Sneha, die für einen Reinigungsdienst in Sharjah arbeitet, hat nach eigenen Angaben noch keinen Lohn für März erhalten.
Sie wandte sich daraufhin an einige Haushalte, für die sie bislang regelmäßig gearbeitet hat, und bat um finanzielle Unterstützung wegen ihrer derzeit prekären Lage.
"Meine Firma sagte uns, man wolle uns bezahlen. Aber bislang haben wir noch kein Geld für März erhalten und der April ist praktisch vorbei. Einige pakistanische und indische Familien, für die ich regelmäßig gearbeitet habe, gaben mir etwas Geld. Das sichert mir momentan mein Überleben", so Sneha. "Wir arbeiten jetzt deutlich weniger, weil kaum jemand Reinigungsdienste anfordert."
[embed:render:embedded:node:20267]Wer von den Wanderarbeitern seinen Arbeitsplatz verloren hat oder ohne Bezahlung weiterarbeiten soll, will meist in sein Herkunftsland zurückzukehren. Doch dies ist wegen des Flugverbots nicht möglich.
Abschiebungen im großen Stil
Das pakistanische Konsulat in den Vereinigten Arabischen Emiraten erklärte gegenüber den Medien, es sei zwar in der Lage, Bedürftige mit Lebensmittelrationen zu versorgen, die Rückflüge in die Heimat seien gegenwärtig aber ausgesetzt. Auch die Flüge nach Indien sind seit März unterbrochen. Sie sollen zwar wieder aufgenommen werden, aber bislang wurden keine konkreten Daten genannt. Nepal hat für die meisten Bürger ein Rückkehrverbot verhängt, wodurch Tausende nepalesischer Arbeiter in den Golfstaaten festsitzen – oft sogar ohne ein Dach über dem Kopf.
Die Golfstaaten ihrerseits drängen auf die Rückführung ihrer Bürger, die im Ausland keine Arbeit mehr haben, und üben Druck auf die südasiatischen Länder aus, Rückführungsflüge zuzulassen.
Einige dieser Maßnahmen könnten den am Golf gestrandeten Migranten zugutekommen. Kuwait führt in Abstimmung mit den Herkunftsländern kostenlose Rückführungsflüge durch. Bahrain erlaubt ebenfalls Rückführungsflüge. Allerdings werden die Migranten für die Tickets zahlen müssen. Zudem stehen die Flüge nur den Migranten offen, die keine ausstehenden Schulden haben.
Doch die insgesamt unzureichende Zusammenarbeit zwischen den Aufnahmeländern am Golf und den Herkunftsländern versetzt die Migranten in eine prekäre Lage. Laut Amnesty International hat Qatar gegenüber "Hunderten von Wanderarbeitern" behauptet, sie würden einem COVID-19-Test unterzogen. Stattdessen habe man sie in ein Internierungslager gesteckt und in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt.
"Die Regierungen versuchen, Wanderarbeiter massenweise in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken, um sich der Verantwortung für diese Menschen zu entledigen. So drohen die VAE beispielsweise mit einer Überprüfung der Arbeitsbeziehungen zu den Herkunftsländern, die sich gegen eine Rückführung sperren. Dabei sind diese Menschen doch das Rückgrat der Wirtschaft in den Golfstaaten", sagt Zayadi.
Rabiya Jaffery
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Aus dem Englischen von Peter Lammers