"Wenn ich Leute verärgere, habe ich einen guten Job gemacht"
Anas Bukhash lächelt in die Laptop-Kamera. Er sitzt im Wohnzimmer seines erst kürzlich fertiggestellten Hauses. Im Hintergrund sind ein paar Auszeichnungen und ein Fußball auf einem sonst eher minimalistisch dekorierten Regal zu sehen. 4977 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Deutschland und Dubai. "Hätte das Interview in Dubai stattgefunden, hätten wir uns abends auf einen Tee am Strand von Jumeirah getroffen", sagt er. Dort kann er abschalten. Dort kann er sich auf lange Gespräche einlassen.
Fast 90 Minuten nimmt sich der Unternehmer und Moderator der beliebten Internet-Talkshow "ABtalks" Zeit, um Fragen zu beantworten: zu seinem Leben, seinem Job, zu Themen, die ihn berühren, ihn ausmachen, aber auch zu solchen, die er nicht mag.
Die Sache ist nämlich die: Anas Bukhash ist zwar über die Grenzen der Vereinigten Arabischen Emirate hinaus eine gefragte und bekannte Internet-Persönlichkeit, aber es ist dennoch nicht viel über ihn bekannt. In seinen Live-Sessions auf Instagram oder TikTok muss er regelmäßig Fragen zu seinem Alter und seinem Familienstand beantworten: 39, zwei Söhne, geschieden. "Ich bin selektiver geworden, suche mir lieber genauer aus, mit wem ich spreche."
Damit meint er nicht nur die Journalisten, die ihn interviewen wollen, sondern auch seine Talkshow-Gäste. Die wählt er selber aus, es sei denn, es besteht eine Kooperation mit Sponsoren. Dann schlagen diese Gäste vor.
Seine Show will die menschliche Seite zeigen
Seit zwei Jahren gibt es die Sendung "ABtalks". War sie anfänglich eine monatliche Show, hat sie sich in den vergangenen Monaten aufgrund ihrer Beliebtheit zu einer wöchentlichen Sendung entwickelt. Bei YouTube hat er mittlerweile gut 170.000 Abonnenten, bei Instagram folgen ihm auf seinem Privataccount fast 250.000 Follower. Geworben wird auf Instagram, komplett gestreamt auf YouTube.
Jeden Dienstagabend gibt es knapp eine Stunde lang tiefgehende Gespräche über gesellschaftskritische Themen. Auf dem Stuhl gegenüber: Prominente und auch Influencer aus dem Netz. Oft sind es Menschen aus den Emiraten, aber eben nicht immer. "Die Menschen interessieren sich für diese Personen, aber sie sehen immer nur ihre öffentliche Seite. Ich will meinen Zuschauern die verletzliche Seite der Person zeigen, ihre menschliche Seite."
In seinen Interviews geht es daher nie vorrangig um die Jobs, die diese Persönlichkeiten ausüben. Geht es ihm um authentische Inhalte in einer Welt voller Schein? "Ja, das Wort authentisch trifft es ziemlich gut."
Die Tabuthemen der Emirate
Seine Fragen sind roh und direkt, aber nie unhöflich. Das Wort "interessant" nutzt er oft - und dennoch klingt es nicht abgedroschen, weil er wirklich interessiert ist. Er will wissen, wie die Kindheit war, was ihnen Liebe bedeutet, welche harten Zeiten sie durchlebt haben. Aber es geht auch um Sex, Partnerschaft, Depression oder Mobbing: Themen, die Anas Bukhash anspricht, werden in den Emiraten selten bis gar nicht offen diskutiert. Und in manchen arabischen Ländern könnte ihm diese Art von Talkshow auch Probleme bereiten. "Wenn ich Leute verärgere, weiß ich, dass ich einen guten Job mache", sagt er.
Manchmal lädt er in sogenannten Specials auch mehrere Gäste zu einem Thema ein, dann geht es zum Beispiel um Maskulinität oder die Ehe. "Soziale Themen sind mächtig. Wenn Menschen etwas sozial nicht mehr akzeptieren, muss die Politik folgen." Eine politische Talkshow wäre aber dennoch nichts für ihn.
Wer seine Sendung schaut, könnte den Eindruck gewinnen, Anas Bukhash sei unnahbar. Doch davon kann in dem Gespräch keine Rede sein, es ist fast so, als säßen wir in einem Raum. Naja fast. Mit einem Treffen am Strand ist ein Online-Interview wohl nicht zu vergleichen. Vieles von dem, was Anas Bukhash im Gespräch sagt, könnte Anlass für weitere Interviews bieten.
Aus dem Konzept bringen lässt er sich nicht. "Ich habe ein gutes Zeitmanagement und bin sehr organisiert", sagt er. Sonst wäre sein Arbeitspensum wohl nicht zu schaffen.
Seit 2014 führt er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Harith Bukhash die PR- und Online-Marketingfirma Bukhash Brothers, das Fashion Label "I am Buka" und einen Friseursalon, der den Namen "Chalk" trägt. "Geld hat mich nie angetrieben. Natürlich ist es schön, Geld zu verdienen. Aber ginge es mir darum, hätte ich viele Projekte besser gar nicht erst gestartet."
Anas Bukhash legt Wert auf Kleidung, er liebt Musik - ein Bild von Rapper Tupac Shakur hängt in seiner Wohnung -, interessiert sich für Sport, auch, weil er selber eine Zeit lang semi-professionell Fußball gespielt hat. Dafür ist er mehrfach ausgezeichnet worden. Mittlerweile kaufen ihn manchmal auch Marken als Magnet für ihre Werbung ein.
Von Dubai nach Boston und wieder zurück
Früher habe er öfter gehört, dass er kühl wirke. "Meine Mutter sagt, das Vatersein habe mich weicher gemacht." Seine Mutter erwähnt er mehrmals während des Gesprächs. "Ich lege Wert auf ihre Meinung", sagt er. Seine Mutter, Hala Kazim, ist in Dubai ebenfalls bekannt. Als Künstlerin und ehemalige TV-Moderatorin, die mittlerweile im sozialen Unternehmertum tätig ist, hat sie sich einen Namen gemacht.
Anas Bukhash wurde in Dubai geboren. Er ist der älteste von fünf Söhnen. Mit 18 ging er nach Boston und studierte Ingenieurwesen. Als er im Alter von 22, 23 Jahren zurückkam, waren seine Eltern geschieden. Er begann einen Job in einer Ölfirma, arbeitete gleichzeitig an seiner Unabhängigkeit, indem er parallel eine Indoor-Fußballhalle mit Kunstrasen eröffnete. "Ahdaaf" heißt sie, arabisch für "Ziele". Und Ziele hat Anas Bukhash viele.
Star der Jungen - Unbehagen bei Älteren
2014 folgte schließlich die Gründung der Online-Marketingfirma Bukhash Brothers. Er sei lieber sein eigener Chef, sagt er. Das Konzept zur Sendung "ABtalks" habe er schon lange gehabt, am Beginn stand sogar mal die Idee, die Sendung fürs Fernsehen zu machen. Aber da würden alle mitreden wollen, die Gäste aussuchen, die Palette der Fragen einschränken. Daher wurde es eine YouTube-Talkshow, in der er auch über vermeintliche Tabuthemen reden kann, Fragen stellen kann, die er für wichtig hält. Ob er wusste, worauf er sich einließ, als er seine Arbeit in die sozialen Netzwerke verlagerte? "Ja!"
Natürlich gebe es auch Kritik, aber damit könne er umgehen. Und wie ist das Feedback in den Vereinigten Arabischen Emiraten? "Unsere Gesellschaft ist zurückhaltend. Niemand würde mir negative Kritik ins Gesicht sagen. Wenn Probleme im Raum stehen, werden sie oft auch nicht angesprochen", sagt er. "Aber auch das würde ich gerne durchbrechen. Lasst uns über Dinge reden."
Anas Bukhash ist zum Beispiel dafür kritisiert worden, dass er manchmal auch in nicht- traditioneller Kleidung in die Moschee geht. Schließlich habe er das Thema in seiner Sendung aufgegriffen. "Ich bin sicher, dass es Leute gibt, die meinen Content nicht mögen. Das ist in Ordnung so. Und ich nehme an, dass ich bei der jüngeren Generation der Emiratis beliebter bin, weil sie in mir einen modernen Mann sehen. Ich könnte mir vorstellen, dass die älteren, konservativeren Generationen nicht so gut finden, was ich mache." Er begegne auch im Ausland immer wieder Vorurteilen, die seine Herkunft betreffen. Er weiß, dass er privilegiert ist. Könnte eine Frau solche direkten Fragen stellen? Den Konservativen würde das sicher nicht gefallen, sagt er. "Männer können sich weltweit in sämtlichen Hinsichten mehr erlauben, das ist traurig, aber wahr."
Anas Bukhash hat sich viel Zeit genommen und bemerkenswert aufgeschlossen erzählt. Das Wort Liebe nutzt er nur, wenn er es so meint. Seine Talkshow ist seine größte Leidenschaft. "Ich möchte als einer der besten Interviewer gesehen werden." Er wirkt echt, authentisch - auf seinem Profil bei Instagram, wie auch im Gespräch. Er lebe im Jetzt, zumindest überwiegend. Aber natürlich hat Anas Bukhash auch Pläne für die Zeit nach Corona - wann auch immer das sein wird. Es ist die Natur, die ihn reizt.
Diana Hodali
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