Ein verstecktes literarisches Juwel
Auf den ersten Blick erscheint "Beauty is a wound" ("Schönheit ist eine Wunde") wie eine merkwürdige Mischung aus "Hundert Jahre Einsamkeit" von Gabriel Garcia Marquez and "City of God" (2002) von Fernando Meirelles und Katia Lund. Der größte Teil des 384 Seiten umfassenden Romans handelt von Gangstern, Prostituierten, Mördern, Soldaten und verrückten Liebhabern. Sie dokumentieren mehr als fünfzig Jahre der jüngsten Geschichte Indonesiens – angefangen beim niederländischen Kolonialismus bis hin zur brutalen japanischen Invasion und dem grausamen indonesischen Völkermord von1965/66. Vielleicht waren diese Gräueltaten letztlich auch der Grund dafür, weshalb sich Kurniawan für die literarische Form des sogenannten "Magischen Realismus" entschied.
"Beauty is a wound" beginnt mit einer fantastischen Geschichte: Dewi Ayu, die berühmteste Prostituierte von Halimundu, einer fiktionalen indonesischen Stadt, die vielleicht an das Macondo von Marquez angelehnt ist, entschließt sich, nachdem sie zwanzig Jahre tot war, aus ihrem Grab wiederaufzuerstehen.
Dann erfahren die Leser, dass sich Dewi Ayu während des Krieges für die Japaner prostituiert und mit hundertzweiundsiebzig Männern geschlafen hat. "Der älteste war neunzig Jahre alt, und der jüngste nur zwölf, nur eine Woche nach seiner Beschneidung." Dewi Ayu ist die Tochter niederländischer Kolonialisten. Ihr Großvater hatte eine indonesische Frau namens Ma Iyang vergewaltigt und sie sechzehn Jahre lang von ihrem Liebhaber Ma Gedick getrennt. Um das Verhalten ihres Großvaters wiedergutzumachen, heiratet Dewi Ayu schließlich den Liebhaber ihrer Großmutter, der jetzt ein seniler alter Mann ist und sich wiederum von ihr abwendet.
Schwarzer Humor, Erotik und fantastische Sagen
"Beauty is a wound" steckt voller schwarzem Humor, fantastischen alten Sagen, Gewalt und erotischen Begegnungen. Die durchgängige Gewalttätigkeit in Kurniawans Roman wird durch seinen "Fabulismus" und seine Bezugnahme auf Parodien, Fabeln und Mythen abgemildert. Ebenso wie die Sprache ein entscheidendes literarisches Werkzeug zur Linderung der Wahrnehmung von Gewalt sein kann, so wie es beispielsweise in "Clockwork Orange" von Anthony Burgess durch die Erfindung einer Comic-Sprache der Fall ist, kann dies auch durch das Erzählen von Geschichten funktionieren.
Als Kurniawan gefragt wurde, warum er sich in seinem ersten Roman für den "Magischen Realismus" entschieden habe, antwortete er, die indonesische Geschichte könne auf viele Arten erzählt werden. "Meine Methode habe ich gewählt, um die Geschichte Indonesiens aus unterschiedlichen Sichtweisen und vielfältigen Perspektiven zu zeigen und damit die Menschen einzuladen, ihre Bedeutung neu zu überdenken. So konnte ich auch viele literarische, insbesondere einheimische Traditionen dazu nutzen, der vorherrschenden Deutung der Geschichte des Landes etwas entgegenzusetzen."
In einer Szene, in der gefangene indonesische Frauen auf die sexuelle Versklavung durch japanische Soldaten warten und die fatalistische Dewi Ayu ihr Leiden mit der stoischen Aussage "Gegen das Unvermeidliche zu kämpfen, ist schmerzhafter als alles andere" erträgt, geht es Kurniawan weniger um die Beschreibung schockierender Gewaltdetails. Stattdessen behält er seinen linearen Erzählstrang in Form einer Rückblende bei, welche die durch eine eigenständige Vergangenheit begrenzten historischen Ereignisse zu relativieren scheint – was die Frage aufwirft, ob die Rechenschaftspflicht für diese Ereignisse verjähren kann.
Schatten der Vergangenheit
Aber die Wiederauferstehung der vielen Geister, von denen Halimundu insbesondere nach dem Massenmord an kommunistischen Parteimitgliedern heimgesucht wird, lässt darauf schließen, dass die Vergangenheit erst dann vorbei ist, wenn die Schuldigen zur Verantwortung gezogen sind.
Im Jahr 1965 wurde ein angeblicher Putsch der Kommunistischen Partei Indonesiens durch Generalmajor Suharto, den Nachfolger Sukarnos, des ersten Präsidenten des Landes, niedergeschlagen. Suharto, der anschließend einunddreißig Jahre lang an der Spitze des Staates stand, beabsichtigte, die gesamte Kommunistische Partei auszulöschen.
Den brutalen Massakern fielen fast eine Million Indonesier zum Opfer. Jedoch wurde bislang kein einziger indonesischer Beamter oder Politiker für diese Morde verurteilt, obwohl Kurniawan darauf hinweist, dass sich viele Indonesier weiterhin dafür einsetzen, "das Massaker von einst lückenlos aufzuklären, für die Gerechtigkeit der Opfer zu kämpfen und sich gleichzeitig der Tyrannei zu widersetzen, die hinter all diesen Ereignissen steckt."
Sowohl aus der Sicht der Täter als auch der Opfer analysiert Joshua Oppenheimer in seinen Dokumentarfilmen "The Act of Killing" (2012) und "The Look of Silence" (2014) auf brilliante Weise den fortwährenden Effekt dieser Taten auf die indonesische Öffentlichkeit.In "Beauty is a wound" spuken die Geister der Opfer weiterhin durch die Gesellschaft und suchen insbesondere Shodancho heim, den Anführer der Armeetruppen in Halimundu, die für die Massaker verantwortlich waren.
"Noch Jahre nach dem Massaker litt er unter schrecklicher Schlaflosigkeit, und dann, als er endlich schlafen konnte, wurde er zum Schlafwandler. Die kommunistischen Geister waren ständig da, um ihn zu holen."
Der indonesische Konflikt zwischen den Kommunisten und der Armee und ihren Schergen wird dadurch versinnbildlicht, dass der Soldat Shodancho, der gut aussehende Kommunist Kamerad Kliwon und der furchterregende Scherge Maman Gendeng schließlich Dewi Ayus Töchter heiraten. Konsequenterweise führen ihre Nachfahren die Konflikte ihrer Eltern weiter fort. Am Ende kommt es zur Katastrophe.
Zwischen Schundliteratur und Horrorgeschichten
Kurniawan, der in einem abgelegenen Dorf in Westjava im Haus seiner Großeltern aufwuchs, wurde zu gleichen Teilen durch die hinduistische und die islamische Tradition beeinflusst. Sein Vater arbeitete als Englischlehrer in einer Privatschule, predigte in der Moschee und schrieb Artikel für islamische Veröffentlichungen. Obwohl der junge Kurniawan kaum Zugang zu Büchern hatte, entdeckte er bald zwei Bibliotheken mit Horrorgeschichten, Comics und indonesischer Schundliteratur, die er sehr zu schätzen lernte.
"Obwohl solche Romane voll mit Übertreibungen und Dramatisierungen sind", meint Kurniawan dazu, "sind sie doch enger an der wirklichen Situation der Menschen dran. In Horrorgeschichten können wir unseren Aberglauben widergespiegelt sehen, und in Romanen über Kampfkunst unsere Hoffnungen auf das Auftauchen echter Krieger, die gegen die Beliebigkeit der modernen Gesellschaft kämpfen. Ich glaube, dies ist eine gute Darstellung der Psychologie der Menschen. Während ich meinen Roman schrieb, fand ich es sehr hilfreich, Indonesien auf diese Weise zu betrachten."
Und tatsächlich ist Mayan Dengs, ein Gangster, der Dewi Ayus zweite Tochter heiratet und zu Halimundus berüchtigtstem und gefürchtetsten Schergen wird, ein typischer "Schundroman"-Charakter, der gleichzeitig ein wichtiges Segment der indonesischen Geschichte aufdeckt: die Art, wie die Regierung, um ihre Gegner zu bekämpfen, mit kriminellen Gruppen und Banden gemeinsame Sache machte.
"Beauty is a wound" zeichnet sich durch hochinteressante und unerwartete Wendungen aus. Kurniawan hält den Spannungsbogen des Romans geschickt aufrecht und enthüllt ein mysteriöses Mordverbrechen, das Dewi Ayus Enkel ins Verderben reißt.
Obwohl das Buch in indonesischen Literaturkreisen zunächst kaum Anklang fand, wurde es nach der Veröffentlichung der englischen Übersetzung im Jahr 2015 als eines der besten Bücher gefeiert – was die Bedeutung von Übersetzern bei der Enthüllung solcher literarischer Perlen einmal mehr verdeutlicht.
Trotz seiner komischen und bisweilen satirischen Obertöne sollte "Beauty is a wound" nicht als leichte Kost verstanden werden. Denn Satire kann durchaus eine Gesellschaft dazu motivieren, ihre eigene Geschichte neu zu bewerten und die Rechenschaftspflicht der Öffentlichkeit einzufordern – etwas, das im modernen Indonesien dringend benötigt wird.
Sherif Abdel Samad
© Qantara.de 2016
Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff