Wir brauchen den Dialog
Als Auslandssender Deutschlands steht die Deutsche Welle dafür, Menschen weltweit unabhängig und verlässlich zu informieren und Dialog und Verständigung zu ermöglichen. Wir treten ein für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Auch die Förderung von Medienfreiheit gehört zu unserer DNA – ganz gleich, in welcher unserer 32 Angebotssprachen, ganz gleich, ob im journalistischen Programm oder in der Arbeit unserer DW Akademie.
Es geht um die Würde des Menschen – weltweit. Sie ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 1 verankert und der Maßstab für unser Handeln und Urteilen. Die Wahrung universeller Menschenrechte, der Primat der Demokratie, die Stärkung des Völkerrechts – dafür treten wir ein. Überall und zu jedem Zeitpunkt.
Dies alles ist derzeit kein leichtes Geschäft. Verstehen wir die Welt noch? Ist diese Welt noch zu verstehen? Und verstehen wir uns gegenseitig? Die Weltgemeinschaft sollte durch moderne, schnelle Kommunikation zu einem gemeinsamen Dorf mit einem medialen Marktplatz werden – so hatten wir lange gehofft. Stattdessen geht der Weltgemeinschaft das Miteinander verloren. Immer öfter zeigt sich nationalistisches, ja imperialistisches Denken. Statt Multilateralismus und Kooperation entwickeln sich zunehmend Tendenzen zur Abschottung.
Dialog als Auftrag
Als Deutsche Welle suchen wir den Dialog – und wollen ihn verstärken, nicht nur im Mittleren und Nahen Osten. Das schließt auch das Gespräch mit unseren Distributoren und Kooperationspartnern ein.
Abschottung und schwindende Dialogfähigkeit weltweit treffen uns alle. Als transnationaler Akteur mit globaler Perspektive und Verantwortung hat die Deutsche Welle seit Jahren massiv mit den Folgen der politischen Umbrüche und sogar einer regelrechten Dialogverweigerung zu tun. Die Informationsfreiheit ist in vielen Ländern erheblich beschnitten; der Begriff „Einschränkungen“ reicht dafür nicht mehr: Nach der Machtübernahme der Taliban, nach dem Verbot der Deutschen Welle in Russland, nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine galt unsere Sorge jeweils der Sicherheit, ja dem schieren Überleben unserer Mitarbeitenden vor Ort.
Der Krieg in der Ukraine und die Flucht von Millionen Menschen aus dem Land haben auch eine Debatte entfacht, ob Europa anders auf die Geflüchteten und Vertriebenen blickt als 2015/2016 auf jene aus Syrien. Der Vorwurf lautet: Der Westen habe mehr Empathie für die Ukrainerinnen und Ukrainer als für die Syrerinnen und Syrer. Begründet wird das mit einer latenten Islamophobie. Das mag für Einzelne zutreffen. Auf die Flüchtlingspolitik in Deutschland bezogen stimmt es nicht. Zum einen hat Deutschland 2015/16 über eine Million Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern aufgenommen. Zum anderen ist eine unterschiedliche Wahrnehmung von Konflikten je nach Region völlig normal.
Zum ersten Mal seit rund 60 Jahren – seit der Kubakrise – haben die Menschen in Europa durch den völkerrechtswidrigen russischen Angriff auf die Ukraine wieder konkret Angst, selbst und unmittelbar in einen Krieg verwickelt zu werden. Entsprechend groß ist auch die Aufmerksamkeit für das Schicksal von Betroffenen. Ähnlich verhielt es sich nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs bei unmittelbaren Nachbarn, wie Libanon, Türkei und Jordanien. Auch dort zeigten die Menschen und Regierungen eine beispielhafte Hilfsbereitschaft.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist ein Gift unserer Zeit
Ein weiteres Beispiel für eine regional sehr unterschiedliche Wahrnehmung von Konflikten zeigt sich auch in der Konfrontation zwischen Israelis und Palästinensern.
Wir sehen in Deutschland das Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser – aber wir verstehen auch die Angst der Israelis vor Terror und Raketenangriffen. Für uns in Deutschland gehört ein entschiedenes Vorgehen gegen Antisemitismus zu unserer bleibenden, unaufhebbaren Verantwortung. Das Menschheitsverbrechen der Shoa, des millionenfachen Mordes an Europas Juden, wurde von Deutschen verantwortet, geplant und begangen. Es bleibt Mahnung für die Welt. Für die Deutsche Welle gehören das Nein zur Leugnung und Verharmlosung des Holocaust und das Einstehen für das Existenzrecht Israels zum Kern unseres Selbstverständnisses.
Deshalb treten wir entschieden gegen Antisemitismus, gegen Judenhass ein. Menschen dürfen nicht, nur weil sie jüdischen Glaubens sind, in Haftung genommen oder angegriffen werden. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist ein Gift unserer Zeit. Der Antisemitismus spricht dem Menschen sein Recht auf ein Leben in Würde ab. Für ihn gilt, was auch für Rassismus und strukturelle Diskriminierung gilt: Er gefährdet jede freie Gesellschaft – in heutigen Zeiten auch die Weltgesellschaft.
Unsere Entschiedenheit bedeutet im Übrigen nicht, dass die Deutsche Welle in ihrer journalistischen Arbeit israelische Politik nicht auch kritisch begleitet. So war das Vorgehen israelischer Sicherheitskräfte während des Trauermarschs mit dem Sarg der erschossenen Journalistin Shireen Abu Akleh in keiner Weise zu rechtfertigen. Der verstörende Vorgang löste auch in Deutschland deutliche Kritik aus. Er muss ebenso aufgeklärt werden wie die Umstände ihres Todes.
Eine kritische Begleitung des politischen Geschehens – in Deutschland, weltweit und eben auch in Israel – zeichnet seriösen, überparteiischen und kompetenten Journalismus aus. Klar ist: Nicht jede Kritik an der israelischen Regierung ist Antisemitismus. Das vermitteln wir als Deutsche Welle unseren Distributions- und Kooperationspartnern.
Gleiche Maßstäbe für alle
Israel muss sich kritische mediale Begleitung seiner gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ebenso gefallen lassen wie jedes andere Land. Umgekehrt gilt dieser Satz aber auch: Israel und israelische Politik haben Anspruch auf den gleichen fairen medialen Umgang wie jedes andere Land. Die Maßstäbe sind dieselben. Hier darf kein Platz für irrationale Mutmaßungen sein.
Aus dieser kritischen Haltung heraus setzen wir uns bei der Deutschen Welle mit jedem Vorwurf des Antisemitismus und des Israelhasses selbstkritisch und verantwortungsbewusst auseinander. Leider hatten wir Ende 2021 Anlass dazu. In einem externen Prüfungsbericht haben unabhängige Gutachter auf punktuelle Fehler und Schwachstellen bei der Deutschen Welle hingewiesen. Das nehmen wir ernst und wir arbeiten das auf. Wir haben den Bericht veröffentlicht und offen darüber kommuniziert. Wir werben bewusst für einen offenen Austausch zu diesem Thema.
Bei der Deutsche Welle gilt, dass wir uns glasklar gegen Hatespeech in jeglicher Form aussprechen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich ganz besonders daran messen lassen. Dabei ist es unerheblich, gegen wen sich der Hass richtet. Wir tolerieren keinen Hass gegen Religionen, Staaten oder Menschengruppen. Das gilt für alle gleichermaßen. Wir haben nach den Vorwürfen gegen die Deutsche Welle unser Wertesystem präziser gefasst und die ethischen und journalistischen Standards für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konkretisiert. Für unsere internationalen Partner haben wir eigens eine Verständigung auf der Grundlage universeller Werte erarbeitet. Über diese „DW Declaration of Values“ werden wir mit ihnen in den Dialog treten. Das wird uns gemeinsam weiterbringen.
Der Mittlere und Nahe Osten ist und bleibt für Europa eine Schlüsselregion. Wir haben mit Respekt und Bewunderung auf die Menschen geblickt, die vor gut zehn Jahren im sogenannten Arabischen Frühling für menschenwürdiges Leben und demokratische Reformen auf die Straßen gingen und ihr Leben riskierten. Wir haben damals unser Augenmerk und unsere Berichterstattung massiv ausgeweitet und die arabischen Demokratiebewegungen begleitet. Das arabische Fernsehprogramm wurde zu einem Kernstück unseres Angebots. Unseren Online- und Social-Media-Auftritt in arabischer Sprache haben wir stark ausgebaut. Die DW Akademie ist in zahlreichen Ländern der Region präsent und stärkt neue, junge mediale Formate.
Einsatz für Toleranz, Weltoffenheit und Völkerverständigung
Viele unserer Distributoren und Kooperationspartner setzen sich wie die Deutsche Welle für Toleranz, Weltoffenheit und Verständigung ein. Das verbindet uns. Wir wissen, dass einige unserer Partner bisweilen in Schwierigkeiten geraten, nur weil sie mit uns geschäftliche Beziehungen unterhalten. Sie sind deswegen mitunter Verunglimpfungen, Ressentiments und auch Repressionen ausgesetzt. Ihren Einsatz für unsere geteilten Werte – wie die Rechte von Frauen, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung sowie Glaubens- und Meinungsfreiheit – wissen wir hochzuschätzen. Wenn es jemals so wirkte, als sei diese Verbundenheit nicht mehr gegeben, so ist dieser Eindruck falsch und wir bedauern es. Wir bedauern auch, dass im Zuge der Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Deutsche Welle Ende 2021 einige Distributoren und Partner der DW Akademie zu Unrecht Verdächtigungen ausgesetzt waren und erheblich unter Druck geraten sind. Gerade mit ihnen werden wir uns in nächster Zeit um eine Intensivierung des Dialogs bemühen.
Angesichts der wachsenden Brüche und Ungleichzeitigkeiten braucht journalistisches Miteinander mehr Austausch, mehr Pluralität, mehr offene Diskurse und mehr Verständigung. Demokratien sind auf kritische Öffentlichkeit und dialogische Kommunikation angewiesen.
Welche Auswüchse drohen, wenn Dialog verweigert wird, zeigen die Verwerfungen während der Amtszeit des früheren US-Präsidenten Donald Trump und die totalitäre Gleichschaltung im Russland Wladimir Putins.
Wir werden den Dialog deshalb intensivieren. Und wir laden konkret dazu ein: Bei realen und digitalen Begegnungen und auch bei den vielen Möglichkeiten des Global Media Forums, das die Deutsche Welle am 20./21. Juni in Bonn ausrichtet.
Die Zusammenarbeit mit unseren Partnern in der arabischen Welt hat die Deutsche Welle besser gemacht. Wir sind sicher: Ohne diese Zusammenarbeit würden wir die Menschen in dieser so bedeutsamen Weltregion nicht so gut verstehen. Wir wollen, dass unser gegenseitiges Verständnis weiterwächst.
Peter Limbourg
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Peter Limbourg ist Intendant der Deutschen Welle.