Ein Papiertiger zur Abwehr von Flüchtlingen
Nun sollen es also Zuckerbrot und Peitsche richten, oder, wie es die EU-Kommission kürzlich etwas eleganter formulierte, ein "kluger Mix" aus "positiven und negativen Anreizen". Für die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini war der in Straßburg vorgestellte Migrationspakt gar eine "kopernikanische Wende" in der EU-Flüchtlingspolitik. Nun gut, Kopernikus' revolutionäre Ideen wurden auch erst 200 Jahre nach seinem Tod von Anderen begriffen.
Fakt ist: Was als Masterplan daherkommt, ist das Eingeständnis, dass die bisherige Flüchtlingspolitik der EU vor allem gegenüber Afrika gründlich gescheitert ist. Denn es mangelt ja nicht an Projekten und Plänen mit so illustren Namen wie Khartoum-Prozess oder Valetta-Erkärung, die dem Migrantenstrom einen Riegel vorschieben sollen. Leider funktionieren sie nicht einmal im Ansatz.
Das "Engagement" mit Libyen soll "intensiviert" werden? Hatte nicht der libysche Außenminister gerade erst erklärt, auf keinen Fall Flüchtlinge zurücknehmen zu wollen? Und von welchem der vielen kleinen Libyens im "failed state" der Post-Gaddafi-Ära ist eigentlich die Rede? Nein, die Peitsche schwingen nicht die Europäer, sondern die Potentaten in Afrika, die inzwischen Flüchtlingsströme ungeniert als Verhandlungsmasse nutzen.
Afrika lässt die Migranten gerne ziehen
Nach wie vor ist in Brüssel nicht verstanden worden, dass die vermeintlichen "Partner" in Afrika überhaupt kein Interesse daran haben, die mehrheitlich jungen männlichen Migranten aufzuhalten - im Gegenteil: In Eritrea verdienen laut seriösen Quellen hochrangige Militärs gutes Geld am Menschenschmuggel aus dem eigenen Land. Viele Somalis und die hochkorrupte Politiker-Kaste dort überleben nur dank der Rücküberweisungen aus der Diaspora. Und auch anderswo sagen afrikanische Machthaber jungen Arbeitslosen und potenziellen Unruhestiftern nur allzu gern "Adieu".
Die jüngst ersonnene, angeblich kopernikanische Idee der Migrationstechnokraten, in den Heimat- und Transitländern der Migranten die Wirtschaftsentwicklung zu stärken und den Menschen damit vor Ort Perspektiven zu geben, ist so alt wie die Entwicklungshilfe in Afrika - und die ist krachend gescheitert. Und geradezu grotesk wird es, wenn die EU nicht kooperationsbereiten Staaten nun mit Handelseinbußen droht. Ist doch die in hohem Maße unlautere EU-Handelspolitik ein Grund, warum sich Hunderttausende afrikanischer Bauern und Fischer auf den Weg Richtung Europa machen.
Den Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen
Dabei liegen brauchbare Vorschläge auf dem Tisch: EU-Asylzentren in Nordafrika und im Sahel, um den Schleppern die Geschäftsgrundlage zu entziehen und die todbringende Flucht übers Meer zu stoppen. Oder - wenngleich eingeschränkt, weil den Aderlass in Afrika fördernd - die sogenannte "Blue Card"-Initiative zur Anwerbung von Fachkräften.
Die bittere Wahrheit aber ist, ganz ohne Gutmenschentum: Europas Flüchtlingspolitik ist eine Flüchtlingsabwehrpolitik. Eine unselige und unwürdige Flickschusterei, die die tiefen Gräben innerhalb des Staatenbundes schonungslos offenlegt.
Also wird mit Geld auf das Problem geworfen - und selbst das fließt nicht wie verabredet: In den Ende 2015 vereinbarten Nothilfefonds in Höhe von 1,8 Milliarden Euro haben die 28 Regierungen gerade einmal 80 Millionen Euro eingezahlt. Woher die nun ausgerufenen acht Milliarden Euro bis 2020 kommen sollen, weiß die Kommission allein. Der große Kopf Kopernikus, so viel ist sicher, dreht sich im Grab um angesichts der verzweifelten Symbolpolitik der EU, für die Federica Mogherini auch noch seinen Namen missbraucht.
Ludger Schadomsky
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Ludger Schadomsky ist Leiter der Amharischen Redaktion der Deutschen Welle.