Die Stadt, der Bus und der Tod
Es kommt auf den Verkehr an, wie lange man von den glitzernden Fassaden des nördlichen Küstenstreifens nach Haret Hreik braucht, dem dicht besiedelten Stadtteil im Süden der Stadt, in dem überwiegend Schiiten wohnen.
Schiebt sich der Verkehr, was selten der Fall ist, einmal nicht in dichten Kolonnen durch die Stadt, hat man das Haret Hreik in wenigen Minuten erreicht. Anders als in den nördlichen Stadtgebieten, wo millionenschwere Immobilienprojekte den Aufbruch in eine neue Zeit signalisieren, zeigen sich in Haret Hreik noch die Spuren der Vergangenheit.
Dennoch kann man die tiefen Krater, die die israelischen Bomben im Libanonkrieg 2006 schlugen und die ganze Straßenzüge in Schutt und Asche legten, noch sehen. Doch inzwischen sind die Viertel wieder aufgebaut, ragen neue, in freundlich hellen Farben gehaltene Häuser zehn bis 15 Stockwerke in die Höhe.
Kultur der Gewalt
In Haret Hreik liegt auch "The Hangar", eine der ambitioniertesten Galerien der Stadt. Ursprünglich eine große Werkshalle, die Catering-Dienste für den nahe gelegenen internationalen Flughafen leistete, beherbergt der Hangar heute die Galerie gleichen Namens.
"The Hangar" wurde von "UMAM Documentation and Research" gegründet, einer lokalen Nichtregierungsorganisation, die sich der Erforschung der libanesischen Geschichte widmet – einer über weite Strecken gewaltgeprägten Geschichte, die im libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 ihren Höhepunkt fand.
Angesichts der politischen Morde, deren bekanntestes Opfer 2005 der ehemalige Ministerpräsident Rafiq al Hariri wurde, kann sie noch immer nicht als abgeschlossen gelten. Auch sonst hat der Krieg viele Veränderung gebracht – und zwar auch in Haret Hreit selbst, erläutert Monika Borgmann. Die Deutsche, eine der Leiterinnen von UMAM, lebt seit zehn Jahren in Beirut.
Vor dem Bürgerkrieg, erklärt sie, lebten in dem Stadtteil vor allem rund 70 Prozent Christen. Die übrigen Anwohner waren größtenteils Schiiten. Nach dem Krieg aber hatten sich die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrt.
Vergangenheit im Spiegel der Kunst
Der dramatisch bewegten Vergangenheit nähert sich "The Hangar" – mit künstlerischen ebenso wie wissenschaftlichen Mitteln. Über die Jahre ist ein großes Archiv zusammengekommen, auf dessen Grundlage neue Arbeiten entstehen – zum Beispiel Dokumentarfilme.
"Wenn wir einen Dokumentarfilm über ein Massaker planen, das sich im Bürgerkrieg ereignete, dann ist es völlig klar, dass dies die Libanesen sehr berührt. Sie kommen nicht, um einen beliebigen Film zu sehen", erklärt Amanda Abi Khalil, die künstlerische Direktorin von "The Hangar".
Die Menschen kämen, um Informationen zu erhalten und die historische Wahrheit zu erfahren – ein kleiner Seitenhieb auf das libanesische Amnestiegesetz von 1991, das das Land zu befrieden half, aber auch dafür sorgte, das Krieg und Kriegsverbrechen kaum angemessen aufgearbeitet wurden. Vieles blieb ungesagt, vieles auch ungesühnt. Einer Gesellschaft, die sich ganz neu bilden, deren Bürger einander wieder zu vertrauen lernen mussten, war das nicht nur förderlich.
Die Aufarbeitung nachzuholen, sie zumindest zu ergänzen, dazu dient im Hangar auch die Kunst. Ausgestellt werden ausschließlich Künstler, deren Arbeiten einen Bezug zum Libanon haben. Wie haben die Menschen den Bürgerkrieg erlebt? Wie haben sie die Verluste verkraftet, wie den Weg zurück in die Gegenwart gefunden und vor allem: Was ließe sich aus der Vergangenheit lernen, wie lässt sich die Gewalt in Zukunft verhindern?
Das sind die Fragen, die sich die Künstler in ihren Arbeiten stellen. Zugleich und fast wie nebenbei leistet der "Hangar" noch etwas anderes: Er führt die überwiegend konservativ denkenden Bewohner des Stadtteils, religiöse Muslime, geprägt auch von der distanzierten Haltung des Islams zu Bildern, an neue, zeitgenössische Formen der Darstellung heran.
Viele gewinnen hier erstmals einen Eindruck von zeitgenössischer säkularer Kunst, nehmen zur Kenntnis, welche Dienste diese einer modernen Gesellschaft leisten kann, lernen hier, die Dinge der Welt mit Hilfe der ausgestellten Werke auch einmal aus einer anderen als der gewohnten Perspektive wahrzunehmen. Intellektuelle Dehnübungen, die einer modernen, zumal so multikulturellen Gesellschaft wie der libanesischen, nur gut tun können.
Zweierlei Busse, ein Krieg
Im Frühjahr zeigte der Künstler Houssam Boukeili seine Werke. "A Bus and it's replicas" heißt die Ausstellung. Sie zeigt Bilder, auf denen der 1966 geborene Boukeili Busse dargestellt – Schulbusse, in denen auch er selbst in seiner Kindheit zur Schule gefahren ist.
Damals rollten sie durch die Straßen Beiruts, brachten Kinder morgens vom Elternhaus zur Schule und mittags wieder zurück. Ein geordnetes Leben, in dem die Stundenpläne den Bussen den Rhythmus diktierten. Eine ganze Zeit ging das so, morgens hin zur Schule und mittags wieder zurück.
Aber am 13. April 1975 war Schluss damit – für Houssam Boukeili, für seine Schulkameraden, auch für die anderen Schüler in Beirut wie überhaupt für alle Bürger der Stadt wie sehr bald auch des ganzen Libanons. An jenem Tag fuhr ein weiterer Bus durch die Straßen der libanesischen Hauptstadt. Darin waren aber keine Schüler, sondern Mitglieder der damals in Beirut stark präsenten Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO).
Die Organisation hatte an jenem Tag ein Attentat gegen einen Führer der rivalisierenden christlichen Falangisten eröffnet. Aus Rache eröffneten die das Feuer auf den Bus – 27 Palästinenser starben. An jenem Tag brach der libanesische Bürgerkrieg aus. Eben diesen Bus hat Houssam Boukeili ausfindig gemacht und im Hangar ausgestellt.
Den Verlust, den der 13. April 1975 einleitete, hat er so am Beispiel der Schulbusse dargestellt – den alltäglichen Transportwegen, die dann ein abruptes Ende fanden. Angesichts dieser Busse, desjenigen der Freischärler wie auch derer, die die Schüler damals Tag für Tag zum Unterricht transportierten, hat Boukeili die Verluste jener Zeit in einem Symbol konzentriert.
Und die Ausstellungsbesucher verstehen, dass der Krieg Verluste nicht nur für ihre jeweilige Gruppe brachte, sondern für alle Libanesen. Ein kollektives, darum auch verbindendes Trauma, das die Menschen zum Dialog drängt. Genau das will man im Hangar – diskret und unauffällig, eben mit den Mitteln der Kunst.
Kersten Knipp
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de