Quo vadis Libanon?

Ein Jahr nach dem Abzug der syrischen Armee aus dem Libanon scheint der Reformprozess im Land zu stocken. Die Euphorie des letzten Jahres scheint längst verflogen. Wohin entwickelt sich der multireligiöse Staat? Von Peter Philipp

Ein Jahr nach dem Abzug der syrischen Armee aus dem Libanon scheint der Reformprozess im Land zu stocken: Der Syrien-treue Staatschef Emile Lahoud ist noch immer im Amt und noch immer sind Politiker und Journalisten Ziel von Anschlägen. Die Euphorie der März- und Apriltage des vergangenen Jahres scheint verflogen. Wohin entwickelt sich der multireligiöse Staat Libanon? Informationen von Peter Philipp

In Beirut erinnern libanesische Demonstranten auf Plakaten im Februar 2006 an die politischen Morde gegen antisyrische Politiker und Journalisten; Foto: AP
Nach der Ermordung Hariris wird der Führung in Damaskus vorgeworfen, auch bei einer Reihe anderer Anschläge gegen Syrien-kritische Politiker und Journalisten die Hand im Spiel gehabt zu haben

​​Der orthodoxe Erzbischof von Beirut, Elias Aoude, wurde mehr als deutlich: Statt am (orthodoxen) Ostersonntags-Gottesdienst nur von Tod und Auferstehung zu predigen, nahm er sich die Politiker des Landes vor.

Diese Politiker hielten das Volk doch zum Narren: Sie tauschten Beleidigungen aus und versöhnten sich dann wieder, als hätten sie dies bereut. In Wirklichkeit aber seien dies doch alles nur "leere Worte" - weit entfernt von der Wahrheit:

"Mich erschreckt, dass politische Erklärungen selten auf Wahrheit und auf wahrer Liebe zum Land basieren" kritisierte der Erzbischof. Und beeilte sich hinzuzufügen, er gebe nur die Gefühle der Bürger wieder, die ihren Glauben an die Politik verloren haben.

Zäsur für einen politischen Wandel

Vor einem Jahr hätte man solch eine resignierende Bilanz nicht für möglich gehalten: Nach dem Mord am ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri schienen nicht nur die Libanesen, sondern auch ihre Politiker entschlossen, einen Neubeginn zu wagen, der den Libanon weg führen würde von dem ständigen Gerangel zwischen den Patriarchen der verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen des Landes.

​​Beflügelt wurden diese Hoffnungen dadurch, dass man einen Sündenbock ausgemacht zu haben glaubte: Syrien. Damaskus wurde als Grund allen Übels verurteilt, als Strippenzieher der libanesischen Politik und als Auftraggeber, wenn nicht gar Vollstrecker des Mordes an Rafiq Hariri.

Die Gelegenheit schien günstig, nun auch den syrischen Abzug aus dem Libanon zu fordern. Und tatsächlich. Unter massivem Druck des Auslandes und der Vereinten Nationen war Damaskus einverstanden, seiner militärischen Präsenz im Libanon ein Ende zu setzen.

Am 25. April 2005 verließ der syrische Geheimdienstchef im Libanon, General Rustum Ghazala, das Land und einen Tag später "verabschiedeten" sich die letzten syrischen Truppen, indem sie ihre Stellungen offiziell der libanesischen Armee übergaben und die Grenze in Richtung Osten überquerten.

Der "lange Arm" Syriens

Syrien gehorchte der politischen Einsicht, dass ein Verbleiben im Libanon den internationalen Druck nur unnötig steigern würde. Washington unterstellte den Syrern bereits offene Zusammenarbeit mit den Aufständischen im Irak, Israel warf ihm die fortgesetzte Unterstützung für radikale palästinensische Gruppen vor und Frankreich machte sich stark für seinen historischen Protegé in der Region - den Libanon.

Völlig hat Syrien sich dieses Drucks nicht entledigen können, weil immer mehr Hinweise gefunden wurden, dass Damaskus massiv in die Ermordung Hariris verstrickt war. Auch, weil sich nach dem Rückzug immer wieder erwies, dass das syrische Regime die Dinge im Libanon auch ohne direkte und offene Präsenz von Truppen beeinflussen und fernsteuern kann.

So sollen die Syrer bei einer Reihe von Morden an Syrien-kritischen Politikern und Journalisten die Hand im Spiel gehabt haben. Eine Kette von Attentaten, die gar dazu führte, dass die wichtigsten libanesischen Politiker sich teilweise für Monate in Paris niederließen, um dem "langen Arm" Syriens oder dessen libanesischen Helfershelfer zu entgehen.

Dem christlichen Journalisten und Abgeordneten Gebran Tueni nützte solche Vorsicht nichts: Nur Stunden nach seiner Rückkehr aus Paris fiel er im Dezember 2005 in Beirut einem Anschlag zum Opfer, der auch den Syrern angelastet wird.

Die Rückkehr levantinischer Macht- und Ränkespiele

Wenn schon Damaskus weiterhin mitmischt im Libanon, dann tun die Libanesen nicht viel anderes: Da gibt es - bis hin zu Staatspräsident Lahoud - die einen, die politisch von der syrischen Anwesenheit profitiert hatten und es gibt jene, die nach dem syrischen Abzug ihre guten Vorsätze über Bord warfen und wieder in das alte levantinische Macht- und Ränkespiel zurück fielen.

Alte Rivalitäten machten die breite Koalition aus der Zeit nach dem Hariri-Anschlag rissig, persönliche Ambitionen - wie etwa die des aus dem Exil zurückgekehrten ehemaligen Interim-Präsidenten Michel Aoun - führten bei den Parlamentswahlen zu merkwürdigen Allianzen und verhindern bis heute eine echte und gründliche Neuordnung des Libanon.

Zwar wird ein "Nationaler Dialog" der verschiedenen politischen Kräfte abgehalten, bei diesen Gesprächen ist bisher aber auch nicht ein einziges wichtiges Thema geregelt worden: Weder die Frage der Auflösung oder Entwaffnung der schiitischen "Hisbollah" oder ihre Integration in die Armee, noch die Definition der künftigen Grenze mit dem südlichen Nachbarn Israel. Der Status der Palästinenser im Land ist weiterhin ungeklärt, erst recht die Frage einer Ablösung von Präsident Lahoud.

Die libanesische Politik scheint mit anderen Problemen beschäftigt zu sein. Für viele Libanesen ist das ein Grund zur Politikverdrossenheit, für Erzbischof Aoude Anlass zum Zynismus: "Heute wird viel mit leeren Worten gezankt, weil man damit so leicht umgehen kann."

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE 2006

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