Medien im Aufbruch
Trotz der politischen Morde an libanesischen Journalisten glauben viele Medienvertreter und politische Beobachter, dass sich die Pressefreiheit im Levantestaat positiv entwickelt hat. Grund: die Zerschlagung des syrisch-libanesischen Sicherheitsapparates. Bernhard Hillenkamp berichtet.
Am 13. Dezember 2005 zierte eine blutrote Träne das Wahrzeichen der wichtigsten Zeitung des Libanon. Das Symbol von "Al-Nahar", der blaue Hahn, weinte vor Trauer. Erst wurde der Kolumnist der Zeitung, Samir Kassir, Anfang Juni Opfer einer Autobombe. Am 12. Dezember 2005 ereilte den Herausgeber von "Al-Nahar", Gibran Tueni, das gleiche Schicksal. Bis zum heutigen Tag sind die Morde an den beiden Journalisten nicht aufgeklärt.
Beide Autoren waren ausgesprochene Kritiker Syriens und der syrischen Präsenz im Land der Zedern. Es waren vor allem diese Übergriffe - sowie der Anschlag auf die Fernsehmoderatorin May Chidiac -, die den Libanon im vierten Report der Organisation "Reporter ohne Grenzen" in ihrer Rangliste zur weltweiten Situation der Pressefreiheit im Jahr 2005 von Platz 87 auf Platz 108 fallen ließ.
Fortschritte trotz politischer Rückschläge
Dennoch ist ein kritischer Blick auf diese Analyse angebracht. Die Grundlage der jährlich erscheinenden Rangliste ist ein Katalog von 50 Fragen an Organisationen, die sich weltweit für die Pressefreiheit einsetzen. Ferner werden Korrespondenten, journalistische Netzwerke, Juristen und Menschenrechtler gefragt. Journalistenmorde, Angriffe und andere Übergriffe werden festgehalten und die Länder untereinander verglichen.
Dennoch glauben viele politische Beobachter und Journalisten, dass sich trotz der Morde und Anschläge die Lage der Pressfreiheit im Libanon vor allem seit dem Rückzug der syrischen Truppen Ende April eindeutig verbessert hat.
Die Medienlandschaft in der ehemaligen "Schweiz des Orients" ist komplex. In der Zeit vor dem Bürgerkrieg war Beirut ein Sammelbecken für arabische Intellektuelle. Die Buchproduktion und der Zeitungsmarkt waren dynamisch und vielfältig. Häufig waren auch auswärtige Geldgeber und Interessen im Spiel.
Medien im Wandel
1974 wurde "Al-Safir", heute eine der bedeutendsten Tageszeitungen im Libanon, mit libyschem Geld gegründet. Im Zuge der technologischen und medialen Evolution wurden während des libanesischen Bürgerkrieges Fernsehsender von unterschiedlichen Gruppen gegründet.
Im Krieg spielten die Medien eine wichtige, wenn auch kritische Rolle: So nahm die Aufklärung der Waffengeschäfte zwischen Iran und Israel, die so genannte "Iran-Gate"-Affäre, ihren Ausgang im libanesischen Journal "Al-Shiraa". Und viele Sender und Presseorgane führten einen "medialen Bürgerkrieg" im Nachkriegslibanon.
LBC, der derzeitig wichtigste Fernsehsender, war Teil des Apparats der "Force Libanaise". Der Hizbollah-Sender "Al-Manar" oder auch "Radio Nour" sind Produkte des institutionellen Netzwerkes dieser shiitischen Gruppe. Die Zeitung des ermordeten Premierministers Rafiq al-Hariri, "Al-Mustaqbal", wurde vor der Parlamentswahl 2000 gegründet, um die mediale Präsenz des Sunniten sicherzustellen.
Es ist diese Verquickung von politischer Meinung und Partei(-nahme), die den Libanon auszeichnet. Gibran Tueni wurde nach langjährigem, aktivem Journalismus gegen Syrien 2005 in das Parlament gewählt.
Aber auch Syrien war sich der medialen Macht des kleinen Nachbarstaates bewusst. Im Bruderschaftsabkommen von 1991 zwischen Syrien und Libanon waren explizit auch Aktivitäten der Medien, die syrischen Interessen schadeten, untersagt.
Trotzdem entwickelte sich die Zeitung "Al-Nahar" zu einem Sprachrohr der syrischen Opposition. Oppositionelle aus Syrien und im Exil schrieben vor allem in der Kulturbeilage.
Ein Opfer der politisierten Medien wurde 2003 "Murr TV". Der wohl expliziteste und oft in Polemiken ausgreifende Gegner der syrischen Präsenz musste noch im April 2003 schließen. Der offizielle Grund war das Senden von Wahlwerbung, was einen Verstoß gegen das Wahlgesetz darstellte.
Allmacht und Willkür der Sicherheitsdienste
Die Medienzensur obliegt der dem Innenministerium unterstellten "General Security". Jamil al-Sayyed, der wegen der Planung des Hariri-Attentats in Untersuchungshaft sitzt, stand dieser Behörde bis August 2005 vor. Sayyed gilt als das Symbol des syrisch-libanesischen Sicherheitsapparats.
In erster Linie zensierten die Behörden syrienkritische Medienprodukte: ein Musikvideo Najwa Karams, das auf die Studentenproteste gegen die syrische Präsenz im Libanon Bezug nahm, das Buch von Adonis Akra, einem Philosophie-Professor, der seine Erlebnisse in einem syrischen Gefängnis beschrieb, wurden zensiert.
Neben dieser direkten Zensur schüchterten die libanesischen Sicherheitsdienste Journalisten ein. Samir Kassir wurde aufgrund seiner kritischen Berichterstattung im Jahr 2000 der Pass von den Sicherheitsbehörden entzogen. Giesele Khoury, die Witwe Kassirs, berichtete von "Gänglungen und der Einmischung in das Privatleben der beiden Journalisten durch die Sicherheitsdienste."
Trotz dieser Eingriffe in die Pressefreiheit während der Vorherrschaft des syrisch-libanesischen Sicherheitsapparats stellte dies jedoch nicht die Vielfalt der libanesischen Medienlandschaft in Frage. Pro-syrische Medien, wie die Zeitung "Al-Diyar", nutzen die Freiheiten im Libanon, um sich mit polemischen Artikeln gegen die syrienkritischen - oder in einigen Fällen syrienfeindichen - Stimmen zu positionieren.
Meinungsjournalismus im Visier
Seit dem Attentat auf Hariri artikulierten Medien jeglicher Couleur häufig eher Meinungen, statt gesicherter Fakten. Solide Recherche wurden oft Opfer eines vorschnellen Meinungsjournalismus.
Wahrscheinlich ist es gerade dieser Kampf um die öffentliche Meinung, der die Übergriffe auf die Medienvertreter erklärt. Laut Medienberichten verbrachten einige anti-syrische Vertreter, wie der Talkshowmaster Marcel Ghanen, im letzten Januar aus Sicherheitsgründen einige Wochen in Paris.
Ähnlich wie Gibran Tueni sollen auf einer neuen Todesliste Namen von Politikern wie Walid Dschumblat, aber auch von Medienvertretern wie Fares Khashshan, dem Redakteur der Zeitung "Al-Mustaqbal", oder von Marcel Ghanem stehen.
Letztlich steht fest, dass sich mit der Zerschlagung des syrisch-libanesischen Sicherheitsapparates die Pressefreiheit positiv entwickeln konnte. Mechanismen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit und Einschüchterung der Medienverstreter sind verringert worden.
In dieser Übergangsphase war es zu brutalen Übergriffen gekommen, die aber nicht über die neuen Freiheiten hinwegtäuschen können. Die Kriterien für das Ranking von "Reporter ohne Grenzen" scheinen der komplexen und dynamischen Entwicklungen im Libanon nicht ausreichend Rechnung zu tragen.
Die Gefahren der gegenwärtigen Situation sollen aber auch nicht verharmlost werden: Als neue Entwicklung in der Medienlandschaft will die Hizbollah angeblich eine eigene Zeitung gründen: "Al-Akhbar" soll demnächst in der südlichen Vorstadt von Beirut produziert werden.
Bernhard Hillenkamp
© Qantara.de 2006
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