Annäherung an ein Tabu
"Kopfbedeckungen in der arabischen Welt und in Europa – Beziehungen zwischen Kultur und Religion." So überschrieb die Frauenrechtlerin Raufa Hassan das von ihr initiierte Symposium in der Hafenstadt al-Mukallah. Der schwammige Titel und die Vorgeschichte der Tagung zeigen, wie heikel das Thema in diesem äußerst konservativen und traditionellen Land ist.
Vorsichtig tastet man sich heran: In zwei Vorläuferkonferenzen wurde in den vergangenen Jahren zunächst über den Wandel der Politikerkleidung und die Kopfbedeckungen der Männer gesprochen, bevor es nun um Kopftuch und Schleier ging.
Keine der Frauen auf dem Podium würde sich als Feministin bezeichnen, dennoch gehören sie zu den Pionierinnen: Sie sind Richterin, Universitätsdozentin, Journalistin oder Schulleiterin und sie zeigen – bis auf eine Ausnahme – alle ihr Gesicht. Trotzdem bleiben ihre Beiträge aus europäischer Sicht zaghaft. Da wird über die Bezeichnungen der verschiedenen Schleier referiert, mehr über die Geschichte gesprochen als über die Gegenwart.
Aber eines wird aus den Vorträgen klar, und das ist eine für den Jemen durchaus brisante Erkenntnis: Schleier und Kopftuch sind auch in einer muslimischen Gesellschaft kein Naturgesetz: in den 70er Jahren war es auch im Jemen für viele Frauen normal, ihr Haar zu zeigen.
Unter den Sozialisten im Südjemen war das Kopftuch verpönt, aber unter dem Einfluss saudischer Wahhabiten setzte sich nach der Vereinigung die schwarze Ganzkörperverschleierung der Golfstaaten in allen Schichten und Regionen des Jemen durch.
Ein Symbol des Islam
"Was würde passieren, wenn ihr einfach das Kopftuch ablegen würdet?", will eine Teilnehmerin der Studienexkursion der Universität Oldenburg wissen. Der Diskussionsleiter weist die Frage zurück, die einzig voll Verschleierte auf dem Podium meldet sich aber schließlich doch zu Wort:
"Wir können es uns nicht einmal vorstellen, das Kopftuch abzunehmen, darüber kann es keine Diskussion geben", stellt die Schulleiterin Fayzah Bamatraf klar. "Bei allem Respekt für Universitäten und Forscher – das ist unverhandelbar. So ist unser islamischer Standpunkt."
Die Diskussion auf dem Podium ist damit beendet, aber am Rande der Konferenz halten manche Frauen nichts von Denkverboten. "Für mich hat das Kopftuch nichts mit Religion zu tun", sagt die Dozentin für Archäologie, Aischa Dammadsch, die ihre Haare unter einem hell geblümten Tuch versteckt. "Ich trage ein Kopftuch, weil ich nicht dauernd erklären will, warum ich kein Kopftuch trage."
Ihr Gesicht kann sie zeigen, weil ihre Familie und ihr Ehemann ihr diese Freiheit lassen. Aber jetzt öffentlich das Kopftuch in Frage zu stellen? "Das würde schwierig", sagt Dammadsch. "Man sieht es bei Musliminnen in Europa: Das Kopftuch hat sich zum Symbol des Islam entwickelt."
Grund für den Ausschluss aus der Öffentlichkeit
Die Oldenburger Politikwissenschaftlerin Lydia Potts versucht Brücken zu schlagen, sie zeigt Fotos von Markt- und Flüchtlingsfrauen mit Kopftuch im Deutschland der 50er Jahre und berichtet von der für ihre Papstaudienz verschleierten Angela Merkel. Auch Bilder von Brigitte Bardot und anderen Stars mit Kopftuch machen deutlich: Tücher auf dem Kopf haben nicht zwangsläufig mit Religion zu tun, sie können auch ein Ausdruck von Status, Mode oder besonderen Anlässen sein.
Ziel der Konferenz sei es, "einen Kopftuchdiskurs zu führen, der nicht religiös aufgeladen ist", sagt Potts. Denn ihrer Ansicht nach führt der im Jemen übliche Geschichtsschleier zum Ausschluss der Frauen aus der Öffentlichkeit. "Die Frau wird dadurch nicht als Persönlichkeit wahrgenommen."
Aber die Diskussion zwischen Deutschen und Jemenitinnen über die Verschleierung will nicht so recht gelingen. Der Vortrag der türkischstämmigen Studentin Canan Yelaldi über den Kopftuchstreit in Deutschland wird missverstanden als Bericht über die "Unterdrückung der Musliminnen" in Europa.
Schwierige Situation
Dennoch, das Verständnis der deutschen Besucher für die Lage der Jemenitinnen ist gewachsen. "Warum lassen Frauen so etwas mit sich machen? Warum bestimmen sie nicht selbst über ihre Kleidung und ihr Leben, gehen auf die Barrikaden?"
Fragen, die sie sich vor ihrem Jemen-Besuch gestellt habe, sagt die Oldenburger Studentin Lea-Marie Wengel. "Aber hier ist uns bewusst geworden, wie schwierig die Situation vor Ort ist; wie starr die Konventionen sind und wie groß der gesellschaftliche Druck ist." Und wie viel Mut es erfordert, vor laufender Fernsehkamera über die Verschleierung allein zu sprechen.
Susanne Sporrer und Klaus Heymach
© Qantara.de 2006
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