Aushöhlung des Beitrittsprozesses?

In dieser Woche wurde Beitrittsprozess der Türkei neu angestoßen. Unter der französischen Ratspräsidentschaft wird sich der Widerstand gegen einen EU-Beitritt der Türkei 2008 jedoch verstärken.

Von Daniela Schröder

​​Der Plan war so genial wie durchschaubar: Wir beauftragen prominente Köpfe damit, sich Gedanken über die Zukunft der Europäischen Union zu machen. Raten sie uns, dass ein Beitritt der Türkei schlecht für die EU wäre, umso besser. Denn dann muss kein Mitgliedsland mehr offen sagen, dass es sich nicht mehr an die Zusage gebunden fühlt, die Verhandlungen mit dem Ziel des Beitritts einzuhalten.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy als Vater der Idee feierte es daher auch als grandiosen Erfolg, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs auf ihrem jüngsten Gipfeltreffen beschlossen, einen so genannten "Weisenrat" mit dem Nachdenken über Europa zu beauftragen.

Sarkozy sieht die Türkei nicht als europäisches Land, sondern will sie als Mitglied einer so genannten "Mittelmeer-Union" enger an die EU binden. Mit dem Versprechen die Türkei aus der EU zu halten, gewann er unter anderem den Wahlkampf, entsprechend angestrengt bemüht der französische Präsident sich, nun die Beitrittsverhandlungen mit Ankara zu stoppen.

Geringe Chancen auf Erfolg

Auf den Beitrittsprozess der Türkei wird das neue EU-Beratergremium jedoch keinen Einfluss haben, meinen Brüsseler Diplomaten – abgesehen von den französischen – sowie Kenner der Verhandlungen mit Ankara. "Das Mandat des Weisenrates ist nicht das, was Sarkozy wollte", sagt Antonio Missiroli, Studiendirektor des Brüsseler European Policy Centre. Denn die Grenzen der europäischen Erweiterung und den Endzustand der Union zu definieren, wie von ihrem französischen Kollegen so lautstark gefordert, damit hätten die EU-Chefs das neue Gremium nicht beauftragt.

Die schwammige Aufgabenstellung schließt das Thema Türkei-Beitritt aber auch nicht explizit aus. Das Expertenteam solle "die Schlüsselthemen und Entwicklungen identifizieren, die auf die EU zukommen, und analysieren, wie mit diesen umgegangen werden soll", heißt es im Gipfel-Beschluss.

Missiroli wertet die Biographien und Nationalitäten der drei Weisenrats-Vorsitzenden als Garantien dafür, dass sich das geplante Gremium nicht gegen einen EU-Beitritt der Türkei aussprechen werde. Spaniens früherer Ministerpräsident Felipe González soll die Gruppe gemeinsam mit Lettlands Ex-Präsidentin Vaira Vike-Freiberga und dem Finnen Jorma Ollila, ehemaliger Chef des Mobilfunkkonzerns Nokia, leiten. Die Regierungen in Spanien und Finnland sind klar für ein EU-Neumitglied namens Türkei; Lettland ist zumindest nicht dagegen.

Fortführung der Verhandlungen

Britische und skandinavische EU-Diplomaten sagten nach dem Gipfel, der Beschluss für den Weisenrat sei nur etwas gewesen, um das französische Ja zum Eröffnen von zwei weiteren Verhandlungsbereichen in den Beitrittgesprächen mit der Türkei zu erkaufen. Wie geplant startete die EU-Kommission wenige Tage nach dem Treffen der EU-Chefs Verhandlungen zur Übernahme des EU-Regelwerks in den Bereichen Transeuropäische Verkehrsnetze sowie Verbraucher- und Gesundheitsschutz.

Das Aufschlagen weiterer Verhandlungskapitel wird jedoch auf sich warten lassen. Die Gespräche in Handels- und Wirtschaftsfragen liegen seit Dezember 2006 auf Eis und werden erst beginnen, wenn die Türkei ein Zoll-Abkommen mit der EU voll umsetzt. Wegen eines langjährigen Streits um den türkischen Nordteil Zyperns weigert sich Ankara weiterhin, die türkischen Häfen und Flughäfen auch für Verkehr aus dem benachbarten EU-Mitgliedsland zu öffnen.

"Die EU als auch die Türkei sind sich mehr oder weniger einig, den Beitrittsprozess zu verlangsamen", sagt Missiroli. Sollte es jemals zu einem Abbruch der Gespräche kommen, dann werde dieser Entscheid jedoch nicht in Brüssel fallen, meint er. Die Mehrheit der EU-Staaten sei weiterhin für die Aufnahme der Türkei. Dieses Gewicht könne sich nur verschieben, sofern sich die Haltung Deutschlands grundlegend ändere.

"Sollte Deutschland nicht mehr von einer Großen Koalition, sondern von den Konservativen regiert werden, dann gibt es eine große deutsch-französische Anti-Ankara-Allianz", sagt Missiroli. Verstärkt werden könne dies noch sofern sich die pro-türkischen Briten noch weiter auf Distanz zur EU begeben.

Krieg der Wörter

Die EU verhandelt seit Oktober 2005 mit der Türkei über einen Beitritt, der vor 2020 als unwahrscheinlich gilt. Auf Betreiben Frankreichs sprachen die EU-Außenminister in einer gemeinsamen Erklärung zunächst nicht mehr von "Beitrittskonferenzen", sondern von "zwischenstaatlichen Konferenzen". Die noch amtierende portugiesische EU-Ratspräsidentschaft wandelte dies dann wiederum in "zwischenstaatliche Beitrittskonferenzen" um.

An der Sache ändert auch das Feilen an Definitionen nichts: Zwar ist das gemeinsame Ziel der Gespräche die Vollmitgliedschaft, doch die EU führt die Verhandlungen "ergebnisoffen". Automatisch beitreten wird die Türkei auch dann nicht, wenn sie alle Kriterien erfüllt.

Inwieweit der Weisenrat tatsächlich Empfehlungen zum Türkei-Kurs der EU abgeben will und darf, bleibt abzuwarten. Sarkozy jedenfalls wird versuchen, während der französischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008 Einfluss zu nehmen. Staaten wie Großbritannien, Finnland, Schweden und die meisten neuen EU-Mitglieder aus dem Osten wollen jedoch verhindern, dass die neue Denker-Gruppe der Türkei Steine in den Weg legt.

Zudem soll sich der Weisenrat mit Fragen beschäftigen, die in dem Zeitraum 2020 bis 2030 relevant sein werden. Bis dahin sollten sich die EU als auch die Türkei über die Beitrittsfrage längst im Klaren sein.

Daniela Schröder

© Qantara.de 2007

Daniela Schröder arbeitet als freie EU-Korrespondentin in Brüssel.

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