Wellenreiten in Zeiten des Krieges
Wie seid Ihr überhaupt auf die Idee gekommen einen Film über den Gazastreifen zu drehen und die Surfszene dort?
Philip Gnadt: Ich bin selber kein Surfer. Ich war zwar mal auf einem Bodyboard am Atlantik und kann ein bisschen einschätzen, wie schwer es ist, eine Welle zu kriegen, aber das eigentliche Interesse an dem Thema kam über die Region und, im Speziellen, über einen Freund, den ich in Stuttgart kennengelernt habe und der in Gaza geboren wurde und dort aufwuchs. Der hat mir das Gaza-Thema nochmal von einer ganz anderen Seite geschildert.
Den Namen Gaza kennt ja jeder aus den Nachrichten. Jeder hat so ein diffuses Bild von Kriegen, zerbombten Häusern und vermummten Untergrundkämpfern. Er hat mir jedoch einen persönlichen Einblick gegeben, wie das Leben zwischen den Kriegen auch sein kann. Ich hab mich dann mit dem Thema beschäftigt, gelesen und recherchiert. Aber es kommt der Moment, an dem einen die ganze Situation deprimiert, weil keiner eine richtige Lösung weiß.
Dann kam aber doch noch der Umschwung…
Gnadt: Ich habe einen kleinen Artikel gefunden über Surfer im Gazastreifen und dachte sofort: Oh wow, das ist mal was anderes! Hossam, mein Freund aus Gaza, hatte auch noch nie davon gehört. Surfen in Gaza: ein Sport, der für persönliche Freiheit steht, in einem der isoliertesten Länder der Welt. Dieses Bild war schon superstark. Da habe ich dann gedacht: Da muss man doch was drüber machen! Ich habe anschließend angefangen zu recherchieren und begonnen, Kontakt mit den Jungs aufzunehmen.
Ich hatte aber noch ein Riesenproblem: Ich spreche kein Arabisch. Auf der Suche nach jemandem, der mich mit Sprache und Kulturwissen ergänzt, bin ich dann auf Mickey gestoßen, der in Kairo aufgewachsen ist. Ihm hat das Thema sofort gefallen. Von da an haben wir das dann gemeinsam entwickelt.
Was war Euer bleibenster Eindruck? Was hat Euch am meisten überrascht?
Gnadt: Was mich generell beeindruckt hat, war einfach diese Positivität - das klingt vielleicht ein bisschen zynisch -, mit der die Leute dort leben. Seien es jetzt die Surfer oder auch die ganz normalen Leute. Mickey ist in der Region aufgewachsen, er hat noch einen ganz anderen Bezug zur Mentalität und den Leuten, für mich aber war das ja alles noch viel fremder. Ich habe mich aber sofort wohlgefühlt, als ich über die Grenze kam. Ich hatte mir das viel furchteinflößender vorgestellt, aber man fühlte sich willkommen!
Man ist natürlich ein Exot: Wir sind am Strand lang gelaufen, da kamen die Kinder mit einer freudigen Neugierde auf uns zu und haben uns mit großem Interesse ausgefragt, was wir da machen. Das hat mich über die ganzen sechs Wochen begleitet. Es ist natürlich auch ein bisschen vom Alter abhängig. Je älter die Leute sind, umso mehr sind sie auch desillusioniert. Sie sagen: Ich bin jetzt 50, 60 oder 70, was soll sich jetzt da noch ändern? Die Jüngeren gehen da etwas anders ran und haben ihre Hoffnung noch nicht begraben. Aber eine gewisse Grund-Positivität ist da, die ich so nicht erwartet hätte.
Konnten Sie offen über Politik sprechen? Wie war die Atmosphäre am Set?
Gnadt: Wir haben versucht, das Thema Politik nicht zu forcieren. Wir wollten ja bewusst einen anderen Aspekt von Gaza zeigen. Aber wenn du mit den Leuten redest kommt es schon immer wieder zum Thema Politik. Da steht an erster Stelle Israel mit seiner Blockadepolitik, das die Bewohner Gazas daran hindert sich frei zu bewegen bzw. einsperrt. Auf der anderen Seite ist da natürlich auch das Gaza, dass unter der Regierung der Hamas leidet. Da gibt es Themen, die man so ohne weiteres nicht anspricht. Vor allem, wenn die Kamera dabei ist, wir haben teilweise schon gemerkt, dass sie dann vorsichtig sind. Aber eigentlich ging es gut, Mickey und unsere Co-Produzentin Stephanie Yamine sprechen beide Arabisch, die beiden haben die Interviews gemacht…
Mickey Yamine: Die Interviews waren sehr angenehm, weil wir direkte Gespräche führen konnten und nicht mit Übersetzern arbeiten mussten. Philip, der Kameramann Niclas Reed Middleton, Stephanie und ich haben immer abends zusammen gesessen und alles besprochen, was den Tag über passiert ist und was wir am nächsten Tag machen wollten. Wir haben allgemein über Themen und Stimmungen gesprochen, eher als über konkrete Fragen für unsere Protagonisten. So konnten wir intuitive Gespräche führen und sehr bald auch hinter die Fassaden blicken, denn die Surfer haben teilweise schon ein Repertoire an Antworten, die sie vielen Journalisten geben. Wir haben versucht, mal ein bisschen weiter zu gehen und zu fragen, was denn nun wirklich ihre Träume sind und wie die Situation für sie tatsächlich ist.
Natürlich spielt Politik überall eine Rolle. Aber es ist in den arabischen Ländern auch sehr verbreitet, dass Politik nur schwer einen Platz findet, weil man sie nur schwer beeinflussen kann. In den Demokratien in Europa ist das was anderes, weil man da eine Stimme hat und man etwas beeinflussen kann. In Gaza hingegen regiert die Hamas und viele der Leute, die wir getroffen haben, sind keine Hamas-Anhänger. Aber sie sind natürlich dem Status Quo ausgesetzt und können daran auch nicht viel ändern. Wenn sie aufstehen und etwas sagen, gerade wenn es politisch ist, dann kann das auch sehr schnell gefährlich werden. Es gab auch die ein oder andere solche Situation… Ein älterer Mann hatte einen kleinen Ausraster und hat über die Hamas geschimpft. Da hat man an den Gesichtern der Anderen schon gemerkt, dass sie sich da Sorgen gemacht haben, ob das dann im Film landet. Die haben uns dann gesagt: Vielleicht solltet ihr das aus Sicherheitsgründen mal raushalten.
Interessanterweise, kommt in Eurem Film auch eine Surferin vor. Das gibt "Gaza Surf Club" noch eine weitere Facette. Wie hat sich das ergeben?
Gnadt: Durch unsere Recherchen wussten wir, dass es immer mal wieder Mädchen gibt, die Surfen lernen wollen oder auch schon gelernt haben. In der Vorbereitung gab es für uns jedoch nicht die Möglichkeit direkten Kontakt aufzubauen. Durch Stephanie hatten wir von der Produktionsseite her natürlich Glück, dass sie als Fraunochmal einen anderen Zugang finden und Vertrauen aufbauen konnte. Sie hat viel Herzblut und Zeit reingesteckt um das Vertrauen des Vaters und des Mädchens zu bekommen, uns schließlich auch in ihr Wohnzimmer und in ihr Kinderzimmer reinzulassen und dann natürlich schließlich auch aufs Wasser mit dem Surfbrett.
Die Dreharbeiten waren sicher nicht einfach, gab es Probleme von politischer Seite?
Yamine: Es gab zum Zeitpunkt, als wir zunächst den Dreh geplant hatten Krieg in Gaza, der ja leider recht regelmäßig ausbricht. Wir mussten unsere Planung deshalb auch abbrechen und haben ein paar Monate später, als der Krieg vorbei war, dann erst tatsächlich gedreht.
Gnadt: Natürlich ist das ein Land, wo du nicht einfach einreisen kannst. Es war schon einiges an Recherche und Vorbereitung nötig, zu überlegen, wie kommt man denn nun überhaupt in den Gaza-Streifen rein? Mickey ist in Ägypten aufgewachsen und schlug daher vor, über Rafah (d.h. über den Sinai aus Ägypten) einzureisen. Das hat dann für die erste Recherchereise 2013 auch geklappt.
Zwei, drei Wochen später war aber der politische Umbruch in Ägypten, wonach sich das Verhältnis Ägyptens zu Gaza, bzw. zur Hamas komplett verändert hat. Die Grenze wurde mehr oder weniger geschlossen, die Tunnel der Schmuggler wurden gesprengt, die Grenze war im Grunde nur noch sporadisch für humanitäre Zwecke offen, wenn überhaupt. Es war sehr kompliziert.
Die Einreise über Israel wollten wir ursprünglich vermeiden, weil wir dachten, das Thema könnte möglicherweise aus israelischer Sicht kontrovers und deshalb unbeliebt sein. Letztendlich war es dann aber eher ein bürokratischer Aufwand und wir sind schließlich ein Jahr später über den Grenzposten Erez von Israel nach Gaza eingereist.
Das Gespräch führte Jochen Kürten.
© Deutsche Welle 2017
Der Film "Gaza Surf Club" läuft seit 30. März 2017 in den deutschen Kinos.