Prinzip Hoffnung
Die Umbrüche in der arabischen Welt stellen Frauenrechtsgruppen vor die große Herausforderung, rechtliche Gleichstellung und politische Demokratisierung zeitgleich zu fördern. Die Nichtregierungsorganisation "Karama" mit Sitz in Kairo schafft eine Plattform auf der sich die Aktivisten der Region austauschen können.
Die gebürtige Somalierin Hibaaq Osman, Mitglied des "Komitees der Arabischen Liga für Frauen, Frieden und Sicherheit", gründete bereits im Jahr 2005 die Organisation. "Wir haben erkannt, dass Frauen heute zunehmend ins Hintertreffen geraten, da sie weiterhin ökonomisch, sozial und politisch diskriminiert werden. Diese Form der strukturellen Unterdrückung möchte 'Karama' beenden", erklärt sie.
Seit ihrer Gründung hat die Organisation ihr Netzwerk ausgebaut und unterstützt Bewegungen in Nordafrika und der arabischen Halbinsel. Dort assistiert die Organisation Gruppen, die unter anderem an legislativen Maßnahmen arbeiten. Meistens beginnt die Kooperation mit einer Einladung der Aktivistinnen nach Kairo. So gründete sich unter anderem die Plattform des Friedens syrischer, libyscher und jemenitischer Frauen, unter deren Mitgliedern auch männliche Frauenrechtsaktivisten sind.
Umbrüche als Zäsur für die Frauenrechtsbewegungen
"Die Revolutionen in der arabischen Welt haben den Frauen viele neue Möglichkeiten eröffnet. Frauen kennen bereits seit einiger Zeit verschiedene Formen des Protests und wissen, wie man Forderungen stellt. Denn ihr Kampf dauert schon länger an als der der gesamten Gesellschaft", merkt Osman an, wenn sie über die Rolle der Frau in den arabischen Revolutionen der letzten drei Jahre spricht. "Regierungen, die bereits seit einiger Zeit etabliert sind, tendieren dazu, unbeweglicher und restriktiver mit der Gesetzgebung umzugehen. Durch den gegenwärtigen Umbruch ist viel in Bewegung gekommen. Das eröffnet den Frauen die Chance für ihre Belange politisch einzutreten."
Doch die Aktivistinnen in den arabischen Transformationsländern haben noch einen langen Weg vor sich, bis ihre Rechte auch gesetzlich festgeschrieben und umgesetzt werden können. Das wissen die Mitglieder der "Plattform libyscher Frauen für den Frieden" (LWPP) nur allzu gut.
Vor drei Jahren begann die Kooperation zwischen libyschen Frauenrechtsgruppen und "Karama". Damals kamen 25 Frauen, unter ihnen Akademikerinnen und Medienschaffende aus den verschiedensten Regionen Libyens, in Kairo zusammen. Daraus entstand ein einflussreiches Netzwerk, das "die Einbeziehung von Frauen in politischen Entscheidungsprozessen fördert und fordert", so Zahra Langhi, Vorsitzende der LWPP.
Durch die Lobby-Arbeit der Bewegung gingen in den ersten freien Wahlen in Libyen seit 52 Jahren erstmals 33 Plätze im Allgemeinen Nationalkongress, der höchsten Legislativbehörde Libyens, an Frauen. Doch bis heute haben sie relativ geringen politischen Einfluss. "Einige werden von männlichen Kongressmitgliedern mit Beziehungen zu extremistischen Gruppen bedroht und aus dem politischen Diskurs ausgeschlossen", glaubt Langhi.
"Schlimmer als unter Gaddafi"
Um die Sicherheitslage im Land zu stabilisieren, macht sich die LWPP für die Entwaffnung, Demobilisierung, Resozialisierung und Reintegration bewaffneter Milizen stark. "Die Situation ist schlimmer als unter Gaddafi: Frauen werden entführt, der öffentliche Raum ist für sie nicht sicher", betont Langhi. Selbst um die noch existierenden Frauenrechte aus der Zeit des Gaddafi-Regimes bangen die Frauen angesichts des Aufstiegs der Extremisten in Libyen. "Wir wollen Frieden stiften. Dafür müssen die Waffen im Land konfisziert werden", fährt Langhi fort.
Themen wie Menschen- sowie Frauenrechte werden bis dato in den Sitzungen des Allgemeinen Nationalkongresses nicht erörtert. Daher sieht es Langhi heute als ein zentrales Versäumnis an, dass die LWPP mit ihrer Arbeit im Jahr 2011 zu sehr auf die Ausarbeitung des Wahlgesetzes fokussierte.
Anders stellt sich die Situation in Syrien dar: Dort liegt das Hauptaugenmerk der "Plattform syrischer Frauen für den Frieden" (SWPP) darauf, die internationalen Frauenrechtskonventionen in Kraft zu setzen. Denn auch Syrien hat das "UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau", kurz CEDAW, unterschrieben. In diesem Rahmen beobachtet die SWPP die Gleichstellungspolitik im Land.
"Wenn die Stellung der Frau nicht gestärkt wird, gibt es auch keinen demokratischen Prozess", ist die ehemalige Vorsitzende des syrischen Komitees für Familienangelegenheiten und Koordinatorin der SWPP Mouna Ghanem überzeugt. Die Bewegung hat ihren Sitz in Damaskus.
Frauenrechtsarbeit im Schatten des Bürgerkriegs
Trotz der seit drei Jahren andauernden Gewalt im Land erschien es der SWPP wichtig, in Syrien ihre Arbeit fortzusetzen. "Ich glaube, dass niemand außerhalb Syriens die Situation im Land wirklich versteht. Und man kann sich im Ausland auch nie sicher sein, ob man tatsächlich die richtigen Gruppen unterstützt. Daher müssen wir von hier aus arbeiten", erklärt Ghanem.
2011 gab es in diesem Punkt zahlreiche Meinungsunterschied in der Organisation: Laut Ghanem kam es vielen Aktivistinnen anfangs darauf an, die Opposition in ihrem Protest gegen das Regime zu unterstützen. Erst 2012 ließen sie sich davon überzeugen, die Interessen der Frauen in Syrien in den Vordergrund zu stellen.
Seitdem diskutieren die Aktivistinnen in Seminaren über Themen wie Geschlechtergleichheit und internationale Frauenrechtskonventionen. Außerdem bieten sie Fortbildungen vor allem für junge Frauen und Berufseinsteigerinnen an. Zu den Veranstaltungen kommen Frauen aus Aleppo, Latakia, Homs, Deraa und vielen anderen Städten Syriens. Durch ihre Kooperation mit "Karama" hat die SWPP zweifelsohne viel von den Erfahrungen der libyschen, aber auch der jemenitischen Frauenbewegung profitieren können.
Extremistische Bedrohung
Im Jemen muss sich die Frauenbewegung mit ihrer Forderung nach einem zivilen, modernen, demokratischen und säkularen Staat gegenüber extremistischen Kräften behaupten. Wie gefährlich die Arbeit in dem Land im Süden der arabischen Halbinsel ist, dokumentierte jüngst die Studie einer jemenitischen Frauenrechtsorganisation, die allein im Zeitraum von Dezember 2013 bis Januar 2014 insgesamt 59 Fälle von politischer Gewalt gegen Frauen registrierte, fünf davon mit Todesfolge.
Emad al-Garash, Mitglied der "Organisation für die Verteidigung demokratischer Rechte und Freiheiten Jemens", bestätigt: "Extremisten drohen uns, weil wir uns für die Abschaffung der Todesstrafe, für Frauenrechte und Gleichberechtigung aussprechen. Sie behaupten, wir würden gegen die Scharia handeln und wir seien Ungläubige. Unsere Arbeit ist daher sehr gefährlich." Trotz des hohen Risikos versucht die Organisation ihre Aktivitäten auch in den ländlichen Gebieten zu entfalten, wo der Einfluss der radikal-islamischen Organisationen jedoch recht groß ist.
Während der sogenannten Nationalen-Dialog-Konferenz, die dem Rücktritt des langjährigen Machthabers Ali Abdullah Saleh folgte, wurde unter anderem eine Frauenquote von über 30 Prozent in politischen Entscheidungsprozessen beschlossen. Al-Garash sieht darin zwar einen großen Erfolg, wie diese Einbindung jedoch praktisch umgesetzt werden soll, bleibt nach wie vor offen.
Allen Rückschlägen zum Trotz lassen sich arabische Frauenrechtsaktivistinnen nicht entmutigen. "Frauen haben mittlerweile ihren politischen, sozialen und ökonomischen Stellenwert in der Gesellschaft erkannt", meint Hibaaq Osman. Aktiv für ihre Rechte setzten sie sich nicht erst seit den Umbrüchen in der arabischen Welt ein. Seit dem Ausbruch der arabischen Revolutionen ist jedoch die Kooperation der Organisationen weiter gewachsen – und damit auch der Erfahrungsaustausch der Aktivistinnen, was sie zweifelsohne in ihrem weiteren Kampf für Freiheit und Gleichberechtigung bestärken dürfte.
Juliane Metzker
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de