Steiniger Weg zu den Predigern der Republik
Der Präsident macht Druck: Vierzehn Tage Zeit hat Emmanuel Macron dem Französischen Islamrat (Conseil français du culte musulman, CFCM) im November gegeben, um sich auf eine "Charta der republikanischen Werte" zu verständigen. Darin soll sich der Dachverband zu den Werten der Republik bekennen, anerkennen, dass der Islam in Frankreich eine Religion und keine politische Bewegung ist, und das Ende der Einmischung durch das Ausland verkünden. Außerdem soll ein "Nationaler Rat der Imame" für die Auswahl und Ausbildung der Prediger in Frankreich geschaffen werden.
Der Druck aus der Politik auf die muslimische Interessenvertretung ist groß. Das zeigt sich auch in einer veränderten Kommunikation. Noch Anfang des Jahres hatte es einen Aufschrei gegeben, nachdem der CFCM-Generaldelegierte Drohungen Abdallah Zekri gegen die 16 Jahre alte Mila gerechtfertigt hatte. Die Gymnasiastin hatte im Internet in derber Form den Islam kritisiert und danach Morddrohungen erhalten und musste untertauchen. "Wer Wind sät, muss mit Sturm rechnen. Sie hat die Religion beleidigt, jetzt muss sie die Folgen ihrer Worte tragen", kommentierte der Verbandsvertreter damals das Schicksal der Schülerin, die unter Polizeischutz gestellt wurde.
Mittlerweile betont der CFCM in seinen Botschaften die Meinungsfreiheit deutlich stärker. Nach der erneuten Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen rief der Verband im September die Muslime dazu auf, die Karikaturen zu ignorieren.
Geburtshilfe durch die Politik
Entstanden war der CFCM im Jahr 2003 mit Unterstützung der Regierung. Der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy überzeugte die großen Verbände für die Muslime mit marokkanischen, algerischen und türkischen Wurzeln, sich im CFCM eine landesweite Vertretung zu schaffen und zum Ansprechpartner für die Politik zu werden.
Flächendeckende Unterstützung bei den Gläubigen in Frankreich hat das Gremium im Laufe der Jahre allerdings nicht gefunden. "Wir haben einen extrem zersplitterten Islam in Frankreich mit vielen lokalen Gruppen, die teilweise wieder in größeren Verbänden organisiert sind", analysiert Anne-Laure Zwilling, die an der Universität Straßburg zu religiösen Minderheiten forscht. "Einige davon sind im CFCM repräsentiert, andere nicht. Auch der Wahlmodus zum CFCM ist bis heute umstritten."
Abhängig von Weisungen aus dem Ausland
Dass dieses Gremium, das immer wieder durch Machtkämpfe in die Schlagzeilen geriet, nun den "Rat der Imame" verantworten soll, trifft unter Muslimen auf Widerstand. Mehr als 1000 von 2600 Moscheen in Frankreich hätten an der jüngsten Wahl des CFCM gar nicht teilgenommen, kritisiert Tareq Oubrou, Imam aus Bordeaux, in einem Meinungsbeitrag für die Tageszeitung Le Monde. Die im CFCM organisierten Verbände würden von Interessenvertretern ohne grundlegende theologische Bildung geführt. Diesen Akteuren gehe es, so Oubrou, stärker um Politik als um Religion. Zudem seien viele Vertreter abhängig von Vorgaben und Weisungen aus dem Ausland.
Der in Frankreich überregional als gemäßigte Stimme des Islam bekannte Oubrou und einige Mitstreiter fordern daher, die Verantwortung für den "Rat der Imame" in die Hand von Imamen zu legen und nicht den muslimischen Verbänden zu übertragen.
Einreisestopp für Imame ab 2024
Die Regierung hat sich in diesem Machtkampf bislang nicht positioniert. Der CFCM ist einstweilen für sie der zentrale Ansprechpartner. Zudem greift sie mit dem "Rat der Imame" eine Forderung auf, die bereits seit vielen Jahren in Frankreich artikuliert wird: mehr staatliche Steuerung bei Auswahl, Ausbildung und Kontrolle der Imame.
Die Vorgabe von Präsident Macron ist eindeutig: Der finanzielle und ideologische Einfluss aus dem Ausland soll zurückgedrängt werden. Dazu hatte Macron bereits im Frühjahr angekündigt, die Praxis der "entsandten Imame" schrittweise beenden zu wollen. Wenn in den kommenden drei Jahren die Aufenthaltsgenehmigungen für Imame aus der Türkei, Algerien oder Marokko auslaufen, soll ein Einreisestopp voraussichtlich ab 2024 greifen.
Die Grenzen des französischen Laizismus
Über die Notwendigkeit einer größeren Unabhängigkeit von ausländischen Einflüssen auf den Islam besteht in der Politik weitgehender Konsens. "Die Imame, die hier nach Frankreich geschickt werden, sind mit der französischen Kultur häufig nicht vertraut. Ihnen fehlt auch das Bewusstsein für die Laizität", sagt Sylvie Toscer-Angot von der Universität Paris Est Créteil, die zum Thema Islam im deutschen und französischen Bildungssystem forscht.
Der Laizismus in Frankreich ist für den Umgang mit dem Islam für die Politik immer wieder ein Stolperstein. Weil sich der Staat per Gesetz aus religiösen Fragen heraushalten muss, kann er - anders als in Deutschland - nur über Umwege Einfluss nehmen. Schon die Unterstützung beim Bau von Moscheen ist der öffentlichen Hand in Frankreich strikt untersagt, obwohl sie ein Interesse daran hat, dass die mehr als fünf Millionen Muslime im Land über adäquate Gebetsstätten verfügen. "Der Staat kann allenfalls einen Nebenraum finanzieren, der zur Moschee gehört und in dem dann Kulturveranstaltungen stattfinden. Das wurde auch immer wieder gemacht", nennt Toscer-Angot ein Beispiel für diese Zwänge.
Der Staat ist machtlos
Bei der Imam-Ausbildung ist der Staat noch machtloser. Dass Moscheen nur zertifizierte Imame als Prediger auswählen dürfen, kann er nicht vorschreiben. Dabei wären die staatlichen Universitäten durchaus auf eine größere Rolle in der Imam-Ausbildung vorbereitet. Seit einigen Jahren gibt es in Frankreich entsprechende islamwissenschaftliche Universitätsdiplome, deren Kriterien jede Universität für sich festlegen kann.
Doch das Interesse daran ist auf Gemeindeseite bislang gering. 80 Prozent der Finanzmittel der Moscheen sind Privatmittel der Gläubigen - ein Imam aus dem Ausland entlastet also das Budget. Auch auf einen anderen Punkt macht Zwilling aufmerksam: "Ein Imam muss für die Moschee-Gemeinden jemand sein, der den Koran kennt, der ihn rezitieren und der gut predigen kann. Aber man verlangt nicht nach jemandem, der den Koran wissenschaftlich interpretieren oder den interreligiösen Dialog führen kann."
Verschärfte Gesetze
Sollten die Einreisesperren für Imame aus dem Ausland tatsächlich umgesetzt werden, dürfte sich der Druck auf die Gemeinden allerdings erhöhen. Womöglich auch der Druck für eine bessere Bezahlung. "Imam ist häufig ein Job neben weiteren Jobs. Man verdient dort schlecht", so Zwilling. Ein aufwendiges und teures Studium erscheint in diesem Kontext bislang wenig attraktiv.
Bis zum 7. Dezember sollen sich die muslimischen Verbände auf einen Vorschlag für die Charta und den "Rat der Imame" einigen. Zwei Tage später - genau 115 Jahre nach der Trennung von Kirche und Staat in Frankreich - wird auch das neue Gesetz zur „Stärkung der republikanischen Prinzipien" im Ministerrat beschlossen. Es sieht unter anderem einen stärkeren Kampf gegen Hass im Internet vor und soll dabei helfen, radikalen Muslimen die Basis zu entziehen.
Andreas Noll
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