"Ich wollte einen Film machen, den man überall versteht"

Der in London lebende Bader Ben Hirsi hat mit "Ein neuer Tag in Alt-Sanaa" den ersten jemenitischen Spielfilm gedreht, der mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Auch beim Filmfestival in Rotterdam erhielt er den Silbernen Falken. Larissa Bender hat ihn dort getroffen.

Der in London lebende Bader Ben Hirsi hat mit "Ein neuer Tag in Alt-Sanaa" den ersten jemenitischen Spielfilm gedreht, der bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Auch beim 6. Arabischen Filmfestival in Rotterdam erhielt er den Silbernen Falken. Larissa Bender hat ihn dort getroffen.

Bader Ben Hirsi; Foto: Larissa Bender
Bader Ben Hirsi: "Wer den Film sieht, versteht, dass die Situation manchmal dem Bild widerspricht, das sich die Europäer von der arabischen Welt machen."

​​Sie haben den ersten jemenitischen Spielfilm produziert und gedreht. Die Person, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, ist ein Italiener. Warum haben Sie diesen Blickwinkel gewählt?

Bader Ben Hirsi: Ich bin in London geboren und habe dort mein ganzes Leben verbracht. Ich habe mehrere Filme über den Jemen gedreht, sowohl Dokumentar- wie auch Kurzfilme. Als ich die Story geschrieben habe, war mir bewusst, dass es im Jemen keine Filmkultur gibt, es gibt vielleicht fünf Kinosäle. Das Kino hat dort keinen guten Ruf.

Ich habe überlegt, wie ich den Film einem breiteren Publikum zugänglich machen könnte. So habe ich einen Europäer in die Geschichte eingebaut, damit – sollte der Film im Jemen nicht gezeigt werden – er zumindest im Ausland weltweit gesehen werden kann.

Gleichzeitig konnte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Meine Freunde im Westen, in London, haben immer viele Fragen zu der arabischen Welt, über den Islam und über den Jemen. Mit Hilfe des Europäers im Film konnte ich auf diese Fragen antworten.

Der Film
Der Aristokratensohn Tariq soll die schöne Balqis heiraten. Er schenkt ihr ein traumhaftes weißes Hochzeitskleid. Eines Nachts aber sieht er eine junge Frau in dem Kleid auf der Straße tanzen. Er beginnt an seiner Verlobten zu zweifeln, doch dann stellt sich heraus, dass es Ines war, die Tätowiererin, die das Kleid getragen hat. Tariq steht vor einer schwierigen Entscheidung ...Hinzu kommt, dass die Europäer manchmal ein "orientalisierendes" Bild von der arabischen Welt haben. Einige Szenen im Film sind deshalb wie eine Erklärung, warum die Araber oder die Jemeniten sind, wie sie sind. Wer den Film sieht, versteht, dass die Situation manchmal dem Bild widerspricht, das sich die Europäer von der arabischen Welt machen.

Hatten Sie also ein europäisches Publikum vor Augen, als Sie den Film drehten?

Ben Hirsi: Ein internationales Publikum, sowohl europäisch, als auch arabisch. Ich habe versucht, einen Film zu machen, den alle verstehen, einen Film, den man überall und in allen Sprachen zeigen kann. Die Geschichte ist auch keine spezifisch jemenitische Geschichte, sie kann überall auf der Welt geschehen.

Hat der Umstand, dass Sie in London leben, diese Sichtweise beeinflusst? Ist das in gewisser Weise auch Ihre eigene Perspektive?

Ben Hirsi: Nein, das glaube ich nicht. Vielleicht die Ästhetik der Szenen und wie jemand den Jemen und die Stadt Sanaa liebt. Aber ich habe diese Person im Film benutzt, damit der Westen etwas vom Jemen versteht, etwas über die Bräuche und Traditionen erfährt. Aber diese Person bin nicht ich.

Reisen Sie häufig in den Jemen?

Ben Hirsi: Ich bin zum ersten Mal vor zehn Jahren in den Jemen gefahren, als ich 27 Jahre alt war, und seitdem fahre ich jedes Jahr dorthin. Vorher konnte ich aus politischen Gründen nicht in den Jemen reisen.

Die Ereignisse im Film drehen sich meist um Frauen, häufig treten sie sogar ohne Schleier auf. Warum haben Sie ausgerechnet ein Frauenthema gewählt?

Drei Jemenitinnen sitzen unter einem Baum; Foto: felix films
Jemenitische Frauen tratschen über die anstehende Hochzeit

​​Ben Hirsi: Ich höre häufig, wie die Menschen im Westen über die arabische Frau sprechen, über die jemenitische, die muslimische Frau, dass diese Frauen unter der Herrschaft der Männer stehen, dass sie schwach sind, dass sie fünf Schritte hinter den Männern herlaufen müssen. Aber das ist nicht meine persönliche Erfahrung. Im Gegenteil: Ich habe sieben ältere Schwestern, ich bin mit ihnen aufgewachsen und habe gesehen, wie stark sie sind und wie stark meine Mutter ist. Meiner Meinung nach sind die Frauen in der arabischen Welt und im Jemen sehr stark, sie haben eine Stimme und sie haben Rechte …

Aber ausgerechnet im Jemen haben sie doch sehr wenige Rechte und sind kaum hörbar …

Ben Hirsi: Ich habe da ehrlich gesagt persönlich etwas ganz anderes erfahren. Vielleicht ist auch das Gegenteil der Fall, aber meine Erfahrung mit meinen Schwestern und Cousinen ist anders, sie sind sehr selbstbewusst.

Selbst jene, die im Jemen leben?

Ben Hirsi: Ja, auch jene. Sie lernen, studieren, entscheiden im Haushalt, arbeiten in der Landwirtschaft. Ich habe versucht, durch die Geschichte zu zeigen, dass sie eine wichtige Rolle einnehmen.

Wie haben Sie mit den Frauen zusammengearbeitet? Die Jemenitinnen verlassen normalerweise ihr Haus nicht, ohne ihr Gesicht zu verschleiern. Was waren das für Frauen, die sich einverstanden erklärt haben, sich ohne Schleier im Film zu zeigen?

Ben Hirsi: Ich habe eigentlich erwartet, dass es schwieriger würde. Es gibt jemenitische Schauspielerinnen mit Erfahrung beim Fernsehen und beim Theater, aber es gibt kein Kino. So mussten wir mit einigen fünf Monate lang proben.

Das Casting war ziemlich schwierig. Mit den älteren, verheirateten Frauen war es einfacher, aber mit den Unverheirateten war es problematisch. Die Schauspielerin zum Beispiel, die die Rolle von Balqis spielt, war erst 17 Jahre alt. Sie wollte nicht, dass jemand aus ihrer Schule erfährt, dass sie in dem Film mitspielt, obwohl sie auch im Fernsehen auftritt.

Zwei Jemenitinnen; Foto: felix films
Filmszene: Ines und Amal im Garten

​​Aber es gab überhaupt keine Schwierigkeiten damit, dass Frauen ohne Schleier spielen. Ich habe mich gewundert. Ich dachte, sie akzeptieren das nicht. Aber das Gegenteil war der Fall: Sie waren bereit, die ganze Zeit ohne Schleier zu spielen. Aber ich wollte ja auch, dass die Frauen bei den Außenszenen, auf der Straße, den Schleier tragen und dass sie zuhause unverschleiert sind, weil viele meiner Freunde in Europa glauben, dass die arabische Frau den Schleier oder die Burka die ganze Zeit trägt, sogar zuhause. Dass selbst ihr Mann sie nicht ohne Schleier sieht. Deshalb habe ich mich auf dieses Thema konzentriert.

Und Najla Atef zum Beispiel, die die Rolle von Ghadir, der Schwester von Tariq spielt, gehört zu den – ganz wenigen – Frauen, die sich nie verschleiern, sie geht ohne Burka auf die Straße.

Wo haben die jemenitischen Schauspielerinnen studiert? Gibt es eine Schauspielschule im Jemen?

Ben Hirsi: Es gibt ein Kulturinstitut, in dem die Schauspielerinnen studiert haben, die in den "Soap Operas" und im Theater spielen. Aber es gibt ja keine eigene jemenitische Kinokultur.

Woher kommt diese Zurückhaltung oder Abneigung gegenüber dem Spielfilm? Warum gibt es bis jetzt kein jemenitisches Kino?

Ben Hirsi: Das Kino hat einen sehr schlechten Ruf, weil die Jemeniten glauben, dass es im Spielfilm immer Sexszenen gibt. Ich glaube, dass dieses Bild durch die Filme entstanden ist, die sie über die Satellitenkanäle sehen können. Sie befürchten, das Kino sei das "Tor zur Dekadenz" im Jemen.

Es gibt aber noch einen anderen Punkt: Paolo Pasolini hat in den Siebzigerjahren unter anderem im Jemen Szenen für seinen Film "Arabian Nights" gedreht. Als der Film gezeigt wurde, gab es da viele Sexszenen, und die Jemeniten fühlten sich betrogen. Seit dieser Zeit haben sie ihr Vertrauen in das Kino verloren. Hinzu kommt, dass man die Leute, die in Kinos gehen, nicht für anständige Leute hält, man betrachtet sie mit Argwohn.

Sie haben vor der Aufführung Ihres Films gesagt, dies sei der erste jemenitische Spielfilm und vielleicht auch der letzte. Warum sind Sie so pessimistisch?

Ben Hirsi: Wegen der täglichen Schwierigkeiten, die wir hatten. Sie haben viele Szenen aus dem Film geschnitten. Ich glaube, ein anderer Regisseur würde nicht weitermachen, hätte nicht so viel Geduld.

Welche Schwierigkeiten waren das genau?

Ben Hirsi: Das Parlament hat sich eingemischt, sie haben sogar den Text geändert. Und sie haben immer wieder gesagt, wir seien vom CIA oder vom Mossad.

Wie war die Reaktion auf den Film in der arabischen Welt?

Ben Hirsi: Als der Film fertig war, bin ich in den Jemen gereist und habe ihn dem jemenitischen Präsidenten, Ali Abdallah Salih, und dem ehemaligen Ministerpräsidenten, Abdalkarim al-Aryani, vorgeführt. Beide mochten den Film. Da habe ich gedacht, gut, wenn sie den Film mögen, ist alles in Ordnung.

Frederico und Tariq nehmen ein Bad; Foto: felix films
Filmszene: Der italienische Fotograf Frederico und sein jemenitischer Assistent Tariq nehmen ein Bad

​​Aber danach hat der Kulturminister den Film gesehen, und er hat ihm nicht gefallen. Er sagte, vielleicht werde er die Aufführung des Films im Jemen verbieten. Da habe ich gesagt: Wenn Sie den Film im Jemen verbieten, ist das eine gute Werbung für den Film, vielen Dank, das wird mir sehr helfen. Aber in dem Film gibt es nichts, was ein Verbot rechtfertigen würde. Da hat er dann gezögert.

Danach gab es ein Festival des europäischen Films im Jemen. Alle europäischen Botschaften wählten einen Film aus ihrem Land dafür aus. Und da unser Büro in London ist, haben die Briten unseren Film nominiert. So ist der Film zum ersten Mal in den Jemen gekommen und wurde in Sanaa und danach in Aden gezeigt. Das Publikum mochte den Film und hat sich gefragt, warum die Zeitungen so schlecht über ihn geschrieben hatten.

Zwei Wochen später fand dann die Weltpremiere auf dem Filmfestival in Kairo statt. Dort wurde der Film mit dem Preis des besten arabischen Films ausgezeichnet. Anschließend wurde er auf dem Festival in Dubai und danach in Maskat gezeigt, wo er auch zwei Preise erhielt. Hier in Rotterdam ist es jetzt die erste Aufführung auf einem Festival in Europa.

Die Geschichte des Films ist ja sehr traditionell: Ein reicher Mann soll eine junge Frau vom gleichen Stand heiraten, verliebt sich aber in ein Mädchen aus armen Verhältnissen. Warum haben Sie ausgerechnet dieses Motiv verfilmt, das schon so oft thematisiert wurde?

Ben Hirsi: Ich mache eigentlich gerne politische Dokumentarfilme, Filme, die unabhängig sind. Aber immer wenn ein Film von Fernsehproduzenten unterstützt wird, sei es in Großbritannien oder in der arabischen Welt, verlangen sie Sensation. Sie bauschen alles auf, so dass der Film wie eine Art Propaganda wirkt. Sie folgen nur ihrem eigenen Interesse und ihren Zielen.

Auf den Filmfestivals sehe ich auch immer politische Filme, zum Beispiel über Palästina oder den Irak, und das ist auch sehr wichtig. Gleichzeitig sollten wir aber auch etwas anders von der arabischen Welt zeigen. Die Menschen, die diese Filme sehen, lernen über sie die arabische Welt kennen und denken, es gibt zum Beispiel keine Liebe dort. Deshalb wollte ich mich von der Politik fernhalten.

Dies ist eine Liebesgeschichte, die die Menschen auf der ganzen Welt verstehen können. Und weil dies der erste jemenitische Spielfilm ist, wollte ich eine einfache Geschichte gut erzählen.

Diese Geschichte kommt aber auch häufig vor im Jemen. Die Klassenunterschiede sind vorhanden, auch wenn viele das leugnen. Für die Jemeniten ist es aber ein wichtiges Thema.

Interview und Übersetzung aus dem Arabischen: Larissa Bender

© Qantara.de 2006

Bader Ben Hirsi wurde 1968 als Sohn jemenitischer Eltern in London geboren. Er produzierte und drehte bereits mehrere Dokumentar- und Kurzfilme, unter anderem den preisgekrönten Film "The English Sheikh and the Yemeni Gentleman" sowie mit "Yemen & The War on Terror" eine 50-minütige Dokumentation über die jemenitischen Bemühungen, den Terrorismus zu bekämpfen. "A New Day in Old Sana'a" ist sein erster langer Spielfilm.

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Mehr über den Film finden Sie auf der Website von felix films (engl.)