"England gehört jetzt mir, Baby!"

Migranten als Gewinner des Kapitalismus – Hanif Kureishi hat einen neuen Roman geschrieben. Er beschreibt eine Heimat London und lobt das harte Vorgehen der Polizei gegen Islamisten.

Interview von Daniel Bax

Herr Kureishi, in Ihrem neuen, gerade eben auf Deutsch erschienenen Roman zeichnen Sie ein Panorama des heutigen London. Ist das denn noch die gleiche Stadt wie jene, die Sie in Ihren früheren Büchern porträtierten?

Hanif Kureishi: Oh nein. Seitdem ist eine riesige Menge an Geld in die Stadt geflossen - aus Japan, den USA, aus Russland oder von den Saudis. Dort, wo ich in London lebe, wohnen fast nur noch reiche Leute - und ein paar Arme. Die Mittelschicht ist komplett in die Vororte verdrängt worden. Dafür ist London heute in ethnischer Hinsicht viel durchmischter.

Ein Unterschied zu Deutschland?

Hanif Kureishi: Ja. Als ich jetzt in Deutschland unterwegs war, hatte oft nur ich eine andere Hautfarbe. Und viele deutsche Journalisten sehen mich seltsamerweise als einen Migrantenschriftsteller an. Sie fragen: Fühlen Sie sich als Immigrant, britisch? Aber ich bin von nirgendwoher eingewandert: Meine Mutter ist Engländerin, ich bin hier geboren. England gehört jetzt mir, Baby!

Steht Deutschland heute da, wo Großbritannien vor 20 Jahren stand?

Hanif Kureishi: Die lange Beziehung zwischen Großbritannien und Indien oder der Karibik geht auf die Kolonialzeit zurück. Das ist ein Unterschied. Aber es führt kein Weg daran vorbei, dass ganz Europa auf lange Sicht multiethnisch werden wird. Man kann das nicht aufhalten. Man muss nur einen Weg finden, wie es funktioniert.

Glauben Sie, die Europäer kriegen das hin?

Hanif Kureishi: Sie haben keine andere Wahl. Die ganze Welt ändert sich so schnell durch die Globalisierung. All die schlechten Jobs in England werden jetzt zum Beispiel von Polen und Afrikanern übernommen. Und was machen die Inder und Pakistaner jetzt? Wir sind aufgestiegen. Uns gehören jetzt die Läden.

Jetzt sagen Sie "wir"?

Hanif Kureishi: Ja. Wir haben jetzt die Läden und auch die Literatur übernommen. (lacht) Und in zwei Generationen werden sich die Polen und die Afrikaner hier Häuser kaufen, und Leute aus Rumänien oder sonst woher werden die schlechten Jobs übernehmen.

In Ihrem Roman zeichnen Sie das Bild einer Gesellschaft, in der Religion und Herkunft nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Aber gewinnen Identitätsfragen in multiethnischen Gesellschaften nicht sogar an Bedeutung?

Hanif Kureishi: Wir hatten solche Debatten in den Achtzigerjahren mit Thatcher, als es mit dieser alten Vorstellung von britischer Identität den Bach runterging. Man führt solche Debatten, und dann geht man einen Schritt weiter. Denn wenn man in einer kapitalistischen Ökonomie leben will, dann muss man sich von bestimmten Vorstellungen von nationaler Identität verabschieden. Das ist der Preis.

Nach den Anschlägen in London gab es hierzulande die Befürchtung, der britische Multikulturalismus sei an sein Ende gekommen. Wie sehen Sie das?

Hanif Kureishi: Ich finde, er funktioniert sogar ziemlich gut. Sehen Sie, die meiste Zeit bringen sich die Menschen hier nicht gegenseitig um. Klar, ab und zu jagt mal irgendwer etwas in die Luft. Aber die meiste Zeit läuft es in meinem Viertel ziemlich rund. In den indischen Läden gibt es inzwischen sogar polnisches Essen. Und wenn sich Polen und Inder in die Haare kriegen, dann liegt das in den seltensten Fällen an ihrem ethnischen Hintergrund.

Wie kommt es, dass es nach den U-Bahn-Anschlägen von London keine antimuslimischen Ausschreitungen gab?

Hanif Kureishi: Weil jeder hier Bush und die USA dafür verantwortlich gemacht hat. Jeden Tag schmeißen wir Bomben auf den Irak und Afghanistan. Wen wundert es da, wenn auch mal bei uns eine Bombe explodiert? Die Vorstellung, dass man dort tausende von Bomben auf die Bevölkerung werfen kann, ohne eine solche Reaktion zu provozieren, ist doch weltfremd. Es gibt einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen diesen Dingen - auch wenn mir das nicht gefällt.

Gibt es in England also keine Islamophobie?

Hanif Kureishi: Es besteht natürlich immer die Gefahr, dass eine bestimmte Gruppe zum Feind erklärt wird. Das ist sehr gefährlich. Es gibt im Westen eine Menge Mythen über den Islam - so wie es viele Muslime gibt, die falschen Vorstellungen vom Westen aufsitzen. Solche Vorstellungen können nur überwunden werden, indem richtige Menschen mit richtigen Menschen zusammentreffen. Das hilft nicht immer. Die U-Bahn-Attentäter waren ja bestens integriert. Aber die allermeisten Muslime sind keine Islamisten. Die meisten Muslime wollen einfach nur ein gutes Leben führen - das gleiche wie alle anderen auch. Nur, dass sie am Freitag eben in die Moschee gehen.

In vielen europäischen Ländern gibt es Debatten über Kopftücher und neue Moscheen. In England nicht?

Hanif Kureishi: Nein. Und es kommt mir auch ziemlich irrational vor, den einen zu verwehren, was man den Rastafaris, der Moon-Sekte oder der anglikanische Kirche erlaubt. In London boomt derzeit übrigens der Katholizismus. Dank der vielen Polen sind die Kirchen, die jahrelang leer standen, jetzt richtig voll. Die Leute stehen bis draußen vor der Tür, weil drinnen kein Platz mehr ist.

Sie waren der Erste, der mit dem Roman "Black Album" oder dem Drehbuch zu "My Son, the Fanatic" über die Radikalisierung junger britischer Muslime geschrieben hat. Ist das für Sie kein Thema mehr?

Hanif Kureishi: Das war groß in den Neunzigerjahren. Damals konnte man in eine Moschee gehen, und jemand würde aufstehen, um über Homosexuelle, Frauen oder Drogen herzuziehen. Das war unglaublich, diese ideologischen Reden. Ich glaube nicht, dass es das heute noch gibt. Die Polizei würde kommen und dich festnehmen.

Eine positive Entwicklung?

Hanif Kureishi: Absolut.

Ist der radikale Islamismus in Ihren Augen also keine Gefahr mehr?

Hanif Kureishi: Ich hasse den Islamismus, das ist eine schreckliche Ideologie. Aber es gibt viele Arten von Gefahren auf dieser Welt. Auch der entfesselte Kapitalismus ist eine Gefahr, weil er eine große Unterschicht produziert. Und George Bush ist eine Gefahr, vor dem hätte ich weit größere Angst.

Sind Sie ein Moralist?

Hanif Kureishi: Nein, ich sehe mich eher als Beobachter. Moralist zu sein würde bedeuten, dass ich wüsste, wie die Menschen leben sollten, um glücklich zu sein. Das tue ich aber nicht. Fragen Sie mich also besser nicht um Rat!

Interview: Daniel Bax

© Qantara.de 2008

Berühmt wurde Hanif Kureishi, 53, in den Achtzigerjahren durch seine Drehbücher zu "Mein wunderbarer Waschsalon" (1985) und "Sammy und Rosie tun es" (1987), die von Stephen Frears verfilmt wurden. In den Neunzigern folgten Romane wie "Der Buddha aus der Vorstadt" (1990) oder "Intimacy" (1998). Letzterer diente dem französischen Regisseur Patrice Chéreau als Vorlage für seinen gleichnamigen Film, der bei der Berlinale 2001 zwei Goldene Bären gewann.

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