''Vielfalt ist besser als Einfalt''
Wie sehen Sie die Situation der Integration in Deutschland, speziell auch vor dem Hintergrund der Sarrazin-Debatte?
Aygül Özkan: Es ist wichtig, dass wir in ruhiger und sachlicher Atmosphäre über Verbindendes und über Trennendes, über Positives und Negatives sprechen. Mir geht es nicht darum, Ängste und Sorgen einfach vom Tisch zu wischen. Aber wir dürfen bei aller wichtigen und notwendigen Kritik nicht vergessen, dass es durchaus auch große Erfolge in der Integrationspolitik gibt. Insbesondere die Menschen, die in der ersten Generation zu uns gekommen sind, haben seitdem viel für dieses Land geleistet.
Wir sorgen nun dafür, dass die vierte, fünfte und sechste Generation daran anknüpfen kann. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt: Die Integration schreitet voran, die Sprachkenntnisse bessern sich,
Wie stehen Sie zu der Debatte um Multikulturalität oder Leitkultur?
Özkan: Ich denke nicht in solchen Begriffen. Wichtig ist, dass wir die Wirklichkeit anerkennen: Wir haben Zuwanderer in unserem Land – und wir werden angesichts des demografischen Wandels weitere Zuwanderung brauchen. Diese Menschen sind eine Chance für unser Land.
Hat die Zuwanderung zu einer Vielfalt geführt, die Deutschland bereichert?
Özkan: In Deutschland geborene und zugewanderte Menschen sind nicht Rivalen, sondern Partner im Deutschland der Zukunft. Von dieser Vielfalt werden wir alle profitieren. Versöhnende Vielfalt ist immer besser als Einfalt.
Haben sich gleichzeitig auch gefährliche Parallelgesellschaften gebildet?
Özkan: Es geht um ein generelles Problem, eine gesamte Schicht, zu der nicht nur Türken oder Araber gehören, sondern auch Deutsche. Für diese Schicht müssen wir etwas tun. Die Kinder dürfen nicht in sogenannte Hartz-IV-Karrieren abgleiten.
In welche Richtung sollte eine gelingende Integrationspolitik intensiviert werden?
Özkan: Wir haben zwei Aufgaben. Erstens müssen wir die hier lebenden jungen Menschen mit Zuwanderungshintergrund in Arbeit und Ausbildung integrieren und ihnen eine Perspektive bieten. Zweitens ist – angesichts einer älter werdenden Gesellschaft – eine gezielte Zuwanderung an Arbeitskräften für bestimmte Branchen und Bereiche sinnvoll.
Integration kann durch staatliche Hilfen unterstützt werden, aber sie ist ein Prozess, der im Kleinen stattfindet, im Alltag: Kindergärten, Schulen, Arbeitsplätze und Vereine sind Orte, wo unsere Gesellschaft zusammenwächst.
Könnte dabei indes nicht auch eine Art Assimilation drohen?
Özkan: Vor allem soll sich jeder, der in Deutschland lebt, auch mit unserem Land identifizieren. Deshalb muss er ja nicht seine Wurzeln verleugnen.
Interview: Hans-Martin Schönherr-Mann
© Goethe Institut 2011
Die 1972 als Tochter aus der Türkei zugewanderter Eltern in Hamburg geborene Aygül Özkan wurde 2010 vom damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff überraschend als Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration in die niedersächsische Landesregierung berufen. Sie war die erste türkischstämmige und die erste muslimische Ministerin in einer deutschen Landesregierung. Zuvor war die Rechtsanwältin, die seit 2004 CDU-Mitglied ist, Abgeordnete in der Hamburger Bürgersch.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de