"Das Arabische braucht künstlerische Unterstützung“ 

Drei deutsche Jazzmusiker und ein deutsch-libanesischer Sänger-Poet: Aus dieser Kombination entsteht bei Masaa eine einzigartige Klangwelt
Drei deutsche Jazzmusiker und ein deutsch-libanesischer Sänger-Poet: Aus dieser Kombination entsteht bei Masaa eine einzigartige Klangwelt

Rabih Lahoud, deutsch-libanesischer Sänger-Poet und Stimme der Band Masaa, reflektiert im Interview über das Ankommen in Deutschland, sein Verhältnis zu der sich verändernden arabischen Sprache und die Kategorien von Weltmusik und Jazz. Von Stefan Franzen 

Von Stefan Franzen

Rabih Lahoud, wenn man das neue Masaa-Album "Beit“ hört, hat man den Eindruck, dass die Musiker sehr direkt die Hörer ansprechen, der Sound ist nah und warm. "Beit“ bedeutet ja auch "Haus“, "Heim“. Heißt das, Masaa sind nach Jahren der Wanderschaft zuhause angekommen? 

 

Lahoud: Das würde ich bejahen, zumindest ist auch das mein eigenes Gefühl. Nach 20 Jahren bin ich jetzt hier ein bisschen mehr angekommen. Die Hälfte meines Lebens bin ich jetzt hier, mitgestaltend, nicht als Gast. Ich sage nicht mehr: "Hier bin ich woanders“, sondern: "Jetzt bin ich hier“. Und diese Musik und meine Ideen tragen dazu bei, wie die Klanglandschaft hier ist. 

 

Was bedeutet "Beit“ als Albumthema genau, in einer Zeit, in der immer mehr Menschen gezwungen sind, ihren Schutzraum zu verlassen, in der viele Häuser zerstört werden, durch die gewaltige Explosion im Hafen von Beirut, durch den Krieg in der Ukraine? Haben diese Ereignisse Einfluss gehabt auf die Entstehung der Platte?  

 

Lahoud: Ja, absolut. Das ist eine Überlegung, die sich intensiviert hat nach diesen Ereignissen. Ich sehe das Konzept von "Haus und Heim“ als ein doppeltes. Zum einen, das historische Sesshaftwerden der Menschheit. Zum anderen aber auch etwas Internes: Was bedeutet das wirklich, sich zuhause zu fühlen? Was für viele Menschen normal ist, jst heute für viele, viele nicht mehr selbstverständlich, sondern ein Privileg geworden.



Am Ende des Titelstücks singe ich immer wieder: "Keine Häuser zerstören, Häuser bauen!“ Das kann man auch metaphorisch verstehen. "Haddama“ heißt zerstören, so wie auch "dammara“ zerstören heißt. Die arabische Sprache ist da sehr rhythmisch in ihrer Struktur, und daher hört sich das fast an wie ein Spiel mit Rap.

Cover des Albums"Beit" der Band Masaa (herausgegeben von grooves.land)
"Beit“ als "Haus“ und "Heim“: "Ich sehe das Konzept von "Haus und Heim“ als ein doppeltes,“ sagt Rabih Lahoud. "Zum einen, das historische Sesshaftwerden der Menschheit. Zum anderen aber auch etwas Internes: Was bedeutet das wirklich, sich zuhause zu fühlen? Was für viele Menschen normal ist, jst heute für viele, viele nicht mehr selbstverständlich, sondern ein Privileg geworden.“



Daheim kann man sich ja auch in einer Sprache fühlen. Auf früheren Alben haben Sie auch auf Deutsch gesungen, das ist jetzt weggefallen, die meisten Ihrer Texte sind auf Arabisch, und sie sind länger geworden als früher. Ist das Arabische trotz Ihrer langen Abwesenheit vom Libanon immer mehr Ihr Zuhause?  

 

Lahoud: Ich glaube schon. Meine Beziehung zum Arabischen hat sich verändert. Ich fühle mich wohler im Sprechen, deshalb verwende ich vielleicht auch mehr Wörter. In meinem Alltag als Jugendlicher war vor allem der Klang der Sprache etwas Schönes, nicht die Bedeutung der Worte. Jetzt langsam haben für mich die Wörter neue Bedeutungen, spiegeln neue Erfahrungen. Ich habe das Gefühl, ich kann das zulassen. Es klingt jetzt mehr nach Rabih als nur nach Arabisch. 

 

Wo steht die arabische Sprache heute als künstlerisches Ausdrucksmedium? 


 

Lahoud: Mein Gefühl ist, dass die arabische Sprache etwas durch die osmanischen und europäischen Einflüsse eingebüßt hatte. Besonders im Libanon war dieser Einfluss ja groß und wir haben dort heute eine Mischung von Sprachen. Das ist einerseits wunderbar, denn der Mensch ist ein Wesen, das sich anpassen kann, um der Kommunikation willen Dinge transformieren kann.



Das ist insbesondere ein libanesischer Wesenszug: Man verlässt Identitäten, um in Kommunikation zu bleiben, es geht darum, dass man sich versteht. Andererseits hat diese wunderbare Sprache dadurch auch ein bisschen ihr Herz verloren, indem sie sich vielleicht minderwertig oder nicht up to date fühlt. Denn es gibt viele Wörter der modernen Welt, für die das Arabische heute keine Entsprechungen hat. Das Arabische braucht meiner Meinung nach eine künstlerische Unterstützung. Es darf nicht die Fähigkeit verlieren, Schönheit und Zärtlichkeit und Kraft auszudrücken.    

Verändert sich die arabische Sprache auch durch die Umwälzungen seit dem Arabischen Frühling? 

 

Lahoud: Ja, total. Ich fühle einen Umbruch, eine Wende, eine Veränderung im Bewusstsein der jungen Menschen, vor allem der Generation, die jetzt nachkommt, nach dem Arabischen Frühling. Die Sprache wird als etwas behandelt, das wiedergeboren werden muss.



Ich habe den Eindruck, junge Leute verwenden in den sozialen Medien Dialektausdrücke aus den einzelnen Regionen jetzt pan-arabisch, und dadurch entsteht eine neue Hochsprache, eine neue Ausdruckskraft. Das wird in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren auch in den Strukturen der arabischen Gesellschaft sichtbar werden.   




 

Haben Sie nur zur arabischen Sprache eine neue Einstellung gewonnen oder auch zur Musik Ihrer ersten Heimat? 

 

Lahoud: Früher habe ich nicht mit arabischen Skalen gearbeitet, war eher auf Distanz. Inzwischen fasziniert mich die klassische arabische Musik und ich recherchiere über sie. Ich merke jetzt, wie wertvoll das ist, wenn wir diese Schatzkiste in den Masaa-Sound hineinnehmen. Ein Stück auf "Beit“, eine Widmung an den Musiker "Zeryab“ aus dem Córdoba des 8. und 9. Jahrhunderts, steht zum Beispiel im Nahawand-Modus. Das ist eine Skala, die mit dem europäischen Moll verwandt ist. Aber es gibt in der arabischen Musik eben viele Molls: In Aleppo hört sich Moll durch andere Mikrointervalle ganz anders an als in Kairo. Durch diese feinen Unterschiede öffnen sich ganz verschiedene Welten.  

 

Im Stück "Nabad“ gibt es die schöne Zeile: "Nimm das Gewicht der Vorfahren weg“. Ist das ein Plädoyer dafür, dass wir uns als bloße Menschen begegnen sollten, unbelastet von politischen Altlasten der Vergangenheit? 

 

Lahoud: Ja, in dem Sinne: Wir müssen leichter damit umgehen, mit welchen Menschen wir uns verbinden, um es der Zukunft zu ermöglichen, dass sie anders aussieht. Das gilt aber auch für das überholte Denken in musikalischen Stilen. Wir müssen uns von der jahrzehntelang gehegten Sortierarbeit befreien, in der es immer hieß: "Was ist Jazz, was ist Weltmusik?“.



Das ist für mich auch ein Gewicht. Die Einordnung unserer Band in die "Weltmusik“ ist nicht immer böse gemeint, aber der Begriff fragt immer wieder: "Woher kommst du?“ Jazz in seinem ursprünglichen Geist fragt eher: "Wohin willst du? Was willst du mit dem machen, was du hast?“ Lass uns Musik so betrachten: Wohin schaut sie? In die Zukunft? Macht sie Hoffnung? Vibriert sie im Magen oder nicht? Und lass uns das suchen, stärken und fördern. 



 Stefan Franzen

© Qantara.de 2023

Die CD: "Beit“ herausgegeben von Traumton/Indigo ist ab dem 28. April erhältlich

Tourtermine ab 9.3.2023 unter https://masaa-music.de