"Die EU muss den Menschen Schutz bieten"

Der Flüchtlingsstrom von Afrika nach Europa reißt nicht ab. UNHCR-Sprecher William Spindler äußert sich in einem Interview über die Pflichten der EU in der Migrationspolitik.

Interview von Lisa Hemmerich

Wie beurteilen sie die derzeitigen Maßnahmen der EU im Umgang mit Migration?

​​William Spindler: Die EU sollte auch die Vorteile von Migration wahrnehmen und Migration nicht nur als Problem ansehen. Ebenso sollte Europa die Entwicklung voranbringen, denn solange es Armut gibt, werden Menschen versuchen ihr Land zu verlassen. Die Antwort der EU sollte also in den Ursachen der Migration liegen.

Wie kann die EU das realisieren?

Spindler: Sie sollte alle Aspekte von Migration berücksichtigen. Angefangen bei den Herkunftsländern, über die Transitländer, wie zum Beispiel die nordafrikanischen Staaten, die ebenfalls arm sind und Hilfe gebrauchen, bis hin zu den Aufnahmestaaten. Der Grund, weshalb so viele Menschen nach Europa kommen, ist die Nachfrage nach Arbeit.

Die EU braucht eine realistische Entwicklungspolitik. Der UNHCR konzentriert sich auf Flüchtlinge, die nicht mehr in ihre Heimatländer zurück können. Diesen Menschen muss die EU Schutz bieten. Die EU hat dazu eine moralische und rechtliche Verpflichtung.

Die EU kann dazu unsere Vorschläge berücksichtigen und Beschlüsse durchsetzen, die die Menschen nach ihren Bedürfnissen trennen. Ich sage nicht, dass die EU jedem erlauben sollte herzukommen, aber es gibt Menschen, die hierher kommen, weil sie verfolgt werden, und bei ihnen hat die EU keine Wahl.

Gibt es denn Alternativen zur Flucht?

Spindler: In manchen Fällen, ja. Bei Menschen, die vor Verfolgung fliehen, gibt es in manchen Fällen Möglichkeiten, innerhalb des Landes zu bleiben. Aber, wie wir wissen, gibt es viele Gegenden, in denen Menschenrechte konstant missachtet werden, wo Menschen verfolgt werden, aus religiösen oder ethnischen Gründen. In vielen Fällen können die Menschen in ihrem eigenen Land keinen Schutz suchen, weshalb sie das Land verlassen müssen.

Andere Staaten haben die Verpflichtung, sie zu empfangen. Das ist die Basis der internationalen Flüchtlingskonvention.

Wie viele Menschen flüchten aus der Subsahara-Region nach Europa?

Spindler: Wir reden hier über eine sehr kleine Zahl von Menschen, eine Zahl die konstant abnimmt. In Afrika gibt es drei Millionen Migranten. Im Vergleich dazu suchen 238.000 Menschen aus aller Welt in Europa Asyl, davon stammen lediglich elf Prozent aus Subsahara-Staaten.

Damit ist die Zahl der Asylsuchenden in Europa die niedrigste seit 25 Jahren, weshalb es auch kein Problem mit Asylbewerbern gibt, sondern ein Problem der Wahrnehmung. In Europa spricht man von einer zunehmenden Zahl von Asylsuchenden, aber das ist nicht wahr. Es muss eine realistische Politik gemacht werden, die die Menschenrechte beachtet.

Interview: Lisa Hemmerich

© DEUTSCHE WELLE 2006

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