Obama im Sinkflug
Nur ein einziges Mal war Barack Obama zu Besuch im Irak: zu Beginn seiner ersten Amtszeit im April 2009 – es war ein Abstecher auf der Heimreise aus der Türkei. Während seiner Rede vor etwa 600 amerikanischen Soldaten auf dem Stützpunkt am Bagdader Flughafen wurde klar: "Den werden wir hier wohl so schnell nicht wiedersehen."
Unmissverständlich verkündete der amerikanische Präsident, dass er den noch von Vorgänger George W. Bush verhandelten Abzugsplan ohne Verzögerung in die Tat umsetzen werde. Nach sechs Jahren Krieg und 4.266 getöteten amerikanischen Soldaten sei es nun an der Zeit, dass die Iraker die Verantwortung für ihr Land selbst übernehmen. Die amerikanischen Streitkräfte hätten dem Irak die Möglichkeit gegeben, als demokratischer Staat auf eigenen Füßen zu stehen.
Als der letzte US-Soldat kurz vor Weihnachten 2010 symbolisch das Tor in Richtung Kuwait zumachte, brach in Bagdad die mit amerikanischer Hilfe mühevoll zusammengezimmerte Koalitionsregierung zusammen. Seitdem taumelt das Zweistromland von einer Regierungskrise in die nächste.
Verhaltenes Echo auf die Wiederwahl Obamas
Entsprechend verhalten fiel das Echo am Tigris auf die Wiederwahl Obamas aus. Trotz allen Problemen – und vor allem trotz des Terrors, den die Besatzung mit sich brachte –, favorisieren die meisten Einwohner Bagdads George W. Bush. "Bei Obama weiß man nicht, wo man dran ist", erklärt ein Zeitungsverkäufer stellvertretend für viele Befragte. "Zuerst gab er sich als Freund der Muslime aus, dann lässt er uns hängen."
Bush habe sich wenigstens gekümmert. So wird auch der Dauerstreit zwischen den Erzrivalen, Premierminister Nuri al-Maliki und seinem Herausforderer Ijad Allawi, und dem dadurch entstandenen politischen Stillstand eher Obama zur Last gelegt, als Bush, der dieses Dilemma eigentlich verursachte. Denn sein Administrator, Paul Bremer, führte die nach ethnischen und religiösen Proportionen aufgeteilte Machtkonstellation ein, die jetzt den Fortschritt Iraks auf dem Weg in eine nach parlamentarischen Mehrheiten geformte Demokratie versperrt.
"Wenn alle an einem Tisch sitzen und jeder etwas vom Kuchen abkriegen will, schaufeln sie sich letztendlich alle die Taschen voll", schreibt ein politischer Analyst, der seine Kolumne unter Pseudonym auf einem viel beachteten irakischen Webportal veröffentlicht. Die Folge sei eine nahezu grenzenlose Korruption, da es keine Opposition gäbe.
Korruptionsweltmeister Irak
Dass der Irak Weltmeister in Sachen Korruption ist, bescheinigt dem Land auch die nichtstaatliche Organisation "Transparency International", die sich weltweit dem Kampf gegen Korruption widmet und seit 1995 einen sogenannten Korruptionsindex herausgibt. Jedes Jahr werden Umfragen in über 180 Ländern durchgeführt. Demnach lag der Irak 2010 an drittletzter Stelle. Nur Somalia und Nordkorea waren noch korrupter. Im vergangenen Jahr konnte sich das Zweistromland immerhin etwas verbessern und nimmt nun den achtletzten Platz ein.
Premierminister Maliki will dieser Schande nun offenbar begegnen und hat vor kurzem ein umfangreiches Rüstungsgeschäft mit Russland aufgekündigt. Dabei geht es um 3,2 Milliarden Euro. Ein Regierungssprecher begründete die Absage mit bestehendem Korruptionsverdacht. Maliki hatte Anfang Oktober in Moskau Gespräche mit Präsident Wladimir Putin und anderen Regierungsvertretern geführt und den Kauf von 30 Kampfhubschraubern vom Typ Mi-28 und mehr als 40 Pantsir-S1-Raketensysteme vereinbart.
Die Waffen sollten zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt werden, hatte er damals erklärt. Verhandlungen über den Abschluss liefen bereits seit April. Das Geschäft hätte für beide Seiten Vorteile gehabt. Zum einen wäre Russland zum zweitgrößten Waffenlieferanten des Irak nach den USA aufgestiegen. Zum anderen hätte sich der Irak ein Stück weit von den USA emanzipiert – ein Ziel, das Maliki offen verfolgt. Der Irak dürfe "nicht Teil eines Monopols eines anderes Staates" werden, betonte der Regierungschef immer wieder.
Zuhause im Irak wurden jedoch Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Deals laut. Ein Parlamentsmitglied hatte in Frage gestellt, ob die bestellten Waffen sinnvoll für den Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt werden könnten. Schließlich schrieben Abgeordnete des Parlamentskomitees gegen Korruption einen Brief an den Premier mit der Bitte, den Vertrag auf Eis zu legen. Korruptionsvorwürfe rund um den kommissarisch amtierenden Verteidigungsminister, Saadun al-Duleimi, seien nicht mehr aus dem Weg zu räumen.
Waffen statt Kultur
Duleimi steht schon seit Längerem im Kreuzfeuer der Kritik, denn er sitzt gleich auf zwei Ministersesseln. Weil Maliki bislang sämtliche personellen Vorschläge seines Koalitionspartners zur Besetzung des Verteidigungsressorts ablehnte, blieb Duleimi kommissarisch im Amt und ist gleichzeitig auch Kulturminister. Dort zwackte er im letzten Jahr Millionen Dollar ab und verschob den Betrag in die Verteidigung.
Statt Kultur werden also Waffen finanziert, donnerte es durch die Medien. Duleimi schreckte auf und lässt jetzt ein Opernhaus am Tigris bauen. Nachdem Malikis Sprecher den Rückzug aus dem Waffendeal verkündete, trat nun Duleimi vor die Presse und dementierte: "Der Vertrag wird ausgeführt." Bei dem Geschäft gebe es kein Korruptionsproblem. Die Regierung habe es lediglich versäumt, einem Anti-Korruptionskomitee rechtzeitig notwendige Angaben über den Vertrag mit Russland zu übermitteln.
Die russische Nachrichtenagentur Novosti glaubt einen anderen Hintergrund für die Auflösung des Waffendeals auszumachen: Laut einem hohen Beamten des russischen Rüstungskomplexes sei dies auf den Druck seitens der USA auf die irakischen Behörden zurückzuführen. "Hinter den irakischen Erklärungen über die Abkehr von der Erfüllung der Waffenlieferverträge stehen die US-Behörden, die versuchen, die Umsetzung der russisch-irakischen Vereinbarungen zu verhindern".
Auch westliche Beobachter gehen davon aus, dass die neue Nähe Bagdads zu Moskau die Regierung in Washington habe aufhorchen lassen. Die Obama-Administration sei in dem Gefühl bestärkt worden, den "Irak zu verlieren".
Birgit Svensson
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de