Netzwerk für die Zukunft
Günstiger hätte es Ahmed Al Gaban von der Technischen Universität Bagdad kaum treffen können: Seit Mai gehört er für drei Monate zum guten Dutzend internationaler Mitarbeiter am Lehrstuhl für Werkstoffchemie der Technischen Hochschule Aachen, eine allererste Adresse in Europa.
"Ich fühle mich in spannende Versuche eingebunden", erklärt der Neue. Er macht einen Schnupperkurs in verschiedenen Arbeitsgruppen, um ein Thema für die Doktorarbeit an der Heimathochschule zu finden.
"Nach dreizehn Jahren Sanktionen gegen den Irak müssen sich die Kollegen von dort konkret über den internationalen Forschungsstand und moderne Arbeitsstrukturen informieren", erklärt Institutsleiter Jochen Schneider. "Deshalb habe ich gern einen Stipendiaten vom Deutschen Akademischen Austauschdienst genommen."
Neben der fachlichen funktioniert ebenfalls die soziale Einbindung fast wie von selbst: Die meisten im Team sind wie Ahmed Anfang Dreißig, und selbstverständlich fördert der Teamgeist auch gemeinsame Unternehmungen nach Dienstschluss und am Wochenende. "Schon vor 1200 Jahren unter Karl dem Großen gab es direkte kulturelle Kontakte zwischen Bagdad und Aachen", hat der Gast inzwischen gelernt.
Auf Netzwerke bauen
Insgesamt besuchen zurzeit vierzig Universitätsdozenten deutsche Hochschulen. Das Förderprogramm wird vom Emirat Katar bezahlt und erstreckt sich gleichermaßen auf Frankreich, England und die arabische Region. Deutschland liegt als Zielland jedoch vorn, und zwar aus einem ganz nahe liegenden Grund: Der jetzige Generaldirektor des irakischen Bildungsministeriums, Sabah Al-Mussawy, hat in Mainz Geologie studiert und ist seither ein erklärter Freund der hiesigen Ausbildung.
Erneut bestätigt sich also die Philosophie des DAAD-Präsidenten Theodor Berchem, "möglichst früh Netzwerke mit den 'Leaders of Tomorrow' in aller Welt zu knüpfen".
Zwei Jahre nach Kriegsende ist es höchste Zeit, sich wissenschaftspolitisch wieder ins Spiel zu bringen, bekräftigt Dorothea Rüland, Vize-Generalsekretärin des DAAD. Die US-Entwicklungsbehörde hat schon gleich nach dem Saddam-Sturz allein für den goldenen Handschlag zwischen amerikanischen und irakischen Hochschulen zwanzig Millionen Dollar bereitgestellt.
Zu einer ersten Nachkriegsdelegation der UNESCO zählten Amerikaner, Japaner, Italiener, also Experten aus der "Koalition der Willigen", aber kein Deutscher oder Franzose. Trotzdem ist vielen irakischen Forschern der Nichtkombattant Deutschland lieber.
Das wird etwa im Gespräch mit dreien von ihnen an der Fachhochschule Köln ziemlich deutlich. Dabei mögen auch traditionelle Sympathien mitspielen wie etwa für die deutsche Ingenieurskunst seit dem Eisenbahnbau Konstantinopel – Bagdad in der Zeit Kaiser Wilhelm II.
Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Irak
Auch der erste wissenschaftliche Ausgräber im alten Babylon war vor mehr als hundert Jahren ein Deutscher, Robert Koldewey. Folglich kaum ein Wunder: Auch die erste Hochschulpartnerschaft von heute, soeben abgeschlossen zwischen den Universitäten Marburg und Bagdad, geht auf einen Archäologen zurück, den an der Lahn lehrenden Walter Sommerfeld.
Die deutsche Wiederaufbauhilfe begann mit Buchspenden im einstelligen Millionenbereich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), den Akademien der Wissenschaften und anderen Kulturträgern. Die DFG rief auch zu einem internationalen Kongress in Bonn über "Kulturgüterschutz in Kriegssituationen" auf. Da waren gerade Bilder vom teilweise geplünderten Irakischen Nationalmuseum und seiner weinenden Direktorin über den Bildschirm gegangen.
Sodann lud der DAAD vor gut einem Jahr sechzig irakische Hochschullehrer zu mehrwöchigen "Winter Schools" nach Berlin, Erlangen, Mainz, Marburg und Dortmund. Themen waren etwa die Trauma-Therapie von Kriegsopfern oder der Föderalismus als mögliches Modell für den Vielvölkerstaat Irak.
"Wir konnten zum ersten Mal wieder Kollegen im Ausland treffen", sagte Mohammed Jawad Ali, Leiter des Zentrums für Internationale Studien der Uni Bagdad. "Man kann einfach besser denken, wenn man sich außerhalb des Landes trifft", ergänzte ein Kollege von der Uni Sulaymania. "Wir hören hier keine Schießereien, kein ständiges Kanonenfeuer, wie es noch immer in Bagdad und anderen Landesteilen üblich ist".
"Nur die neueste Software fehlte"
Bis zu der sanktionsbedingten Isolation vor fünfzehn Jahren hatte die irakische Wissenschaft einen Spitzenplatz in der ganzen Region. Auch heute sind etwa die drei Gäste der Fachhochschule Köln erstaunlich nah am internationalen Wissensstand, wie ihre Professorenkollegen vor Ort feststellen.
So analysiert und optimiert ein Energietechniker einen Solarspeicher der FH. Ein anderer ist Handyexperte und prüft jetzt experimentell nach, was er in seiner Doktorarbeit theoretisch über Empfangsstörungen dargelegt hat. Der dritte im Bunde simuliert am Computer Flutmechanik. "Was Hikmet zu Hause wirklich fehlte, war eigentlich nur die neueste Software", bemerkt sein Kölner Partner.
Wie das Kölner Dreigestirn sind die meisten entsandten Stipendiaten Natur- oder Technikwissenschaftler. In Jena weilt ein Germanist, nach Marburg kommt in Kürze ein Politologe.
Wer zu wem passt, ist manchmal Glücksache. Denn die Iraker und ihre deutschen Gastgeber können sich aufs erste nur nach der Papierform einschätzen, oft wenig anders als bei der Eheanbahnung übers Zeitungsinserat. Persönliche Kontakte zwischen Wissenschaftlern beider Länder, die jetzt auch für die Stipendiatenauswahl genutzt werden könnten, haben sich seit 1990 weitgehend aufgelöst.
Anders als in die afghanische Hauptstadt Kabul hat der DAAD wegen der noch ernsteren Gefahrenlage bislang auch keinen eigenen Vertreter und Kundschafter nach Bagdad geschickt. So kann Vizechefin Rüland nur hoffen, dass aus den laufenden Hospitationen neue dauerhafte Verbindungen erwachsen.
Dem soll jetzt auch ein Nachwuchsprogramm für besonders qualifizierte Masterstudenten aus dem Irak dienen - womöglich aus dem "Stall" der augenblicklichen Gastprofessoren. Das Auswärtige Amt stellt die nötigen Finanzmittel bereit.
Für Wilfried Grolig, den Leiter der Kultur- und Bildungsabteilung im AA, steht fest: "Ohne den Aufbau ziviler Strukturen, also etwa auch moderner Hochschulen, wird sich ein demokratisches System schlecht behaupten können."
Hermann Horstkotte
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