Zeichen auf Sturm
Das Jahr 2016 beginnt mit einer Eskalation der regionalen Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Iran. Die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr mitsamt weiteren 46 Oppositionellen durch Saudi-Arabien erfolgte aus innen- und außenpolitischer Bedrängnis heraus in einem Akt der Provokation.
Die im Anschluss von einem Mob von Ultra-Hardlinern erfolgten Angriffe auf die saudische Botschaft in Teheran und auf das Konsulat im ostiranischen Mashhad brachte das Fass schließlich zum Überlaufen. Die ohnehin die gesamte Region heimsuchende Machtrivalität wurde dadurch auf eine unheilvolle Stufe katapultiert: Riad brach daraufhin seine diplomatischen Beziehungen zu Iran ab und nötigte Bahrain und Sudan dasselbe zu tun.
Das iranische Staatsoberhaupt, Ayatollah Ali Khamenei, hat indes auf seiner Website eine Karikatur veröffentlicht, die saudische und IS-Henker gleichsetzt und kündigte "göttliche Rache" an. Präsident Hassan Rohani mahnte in Teheran bei einem Treffen mit dem dänischen Außenminister an, er "hoffe, dass europäische Staaten, die stets auf Menschenrechtsangelegenheiten reagieren, im Einklang mit ihren Menschenrechtsverpflichtungen dies auch in diesem Falle tun werden."
Die harsche Kritik aus Teheran an den verabscheuungswürdigen Massenhinrichtungen ist jedoch alles andere als glaubwürdig: Denn nicht Saudi-Arabien, sondern der Iran verbuchte 2015 die weltweit höchste Hinrichtungsrate. So ist es auch kaum an Ironie zu übertreffen, dass eine Theokratie, die ihre Opponenten hinrichtet, einer anderen Theokratie selbiges vorwirft.
Hardliner gegen Hardliner
Derweil beeilte sich Irans Präsident, die Angriffe auf die diplomatischen Vertretungen der Saudis zu verurteilen und für die Attacken "extremistische Einzelpersonen" verantwortlich zu machen. Denn für seinen Annäherungsprozess mit dem Westen, der in diesem Jahr Früchte tragen soll, stellten die Vorgänge gewiss ein Eigentor dar – mit unvorhersehbaren Folgen für die Außenpolitik. Um den Schaden zu begrenzen, nahm die iranische Polizei über 40 Personen im Zusammenhang mit den Angriffen fest.
Zweifellos kommt die neue Eskalation den Hardlinern auf beiden Seiten sehr gelegen. Jene, die in der Islamischen Republik aufgrund des Annäherungsprozesses mit dem Westen um ihre politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Pfründe fürchten, dürften nun ihre Chance wittern, diese Entwicklung zu torpedieren.
Doch die Frustration über die Angriffe auf die diplomatischen Vertretungen geht über das Regierungslager hinaus. Kritik wurde auch vonseiten des Oberbefehlhabers der Teheraner Revolutionsgarden laut sowie von den paramilitärischen Basij-Milizen. So erklärte auch Irans Freitagsprediger Ahmad Khatami, der sonst eher für seine martialischen Aussagen bekannt ist, dass man mit solchen Aktionen "nichts erreicht" habe – eine Argumenation, die ebenso von der Regierung stammen könnte.
Genau wie in Saudi-Arabien brodelt es derzeit innenpolitisch auch im Iran: Die reformistische Tageszeitung Bahar wurde jüngst verboten und Ayatollah Khamenei warnte, dass die für Februar angesetzte Wahl des für die Wahl seiner Nachfolge zuständigen Expertenrates von den USA zugunsten eines Wechsels in der Islamischen Republik benutzt werden könnte – eine kaum verschleierte Warnung an jene Machtzirkel, die mit der Regierung verbündet sind.
Die politische Dimension des iranisch-saudischen Konfliktes
Die iranisch-saudische Rivalität ist nicht konfessioneller Natur, also die Fortsetzung einer "uralten Feindschaft" (Süddeutsche Zeitung) zwischen den sunnitischen und schiitischen Abzweigungen des Islam. Vielmehr ist diese Lesart seit jeher Bestandteil einer imperialen Teile-und-Herrsche-Politik, die zuletzt in den 2000er Jahren Hochkonjunktur hatte. Die US-geführte gewaltvolle Beseitung des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003 und die Zerschlagung des irakischen Staates hatten den Boden für den Machtzuwachs Irans bereitet, der seinen Zenit Mitte der 2000er Jahre erreichte. Saudi-Arabien reagierte darauf mit einem immer aggressiveren anti-iranischen, anti-schiitischen, sektiererischen Diskurs, der seitdem das Klima in der Region vergiftet. Zudem hat es Riad versäumt, politischen Einfluss im Irak zu nehmen – seine Botschaft in Bagdad wurde nach 25 Jahren erst jetzt, just zu Neujahr, eröffnet.
Das Problem hingegen besteht darin, dass der Iran und Saudi-Arabien geopolitische Ziele verfolgen, die miteinander unvereinbar sind. Beide erheben den Anspruch auf regionale Vormachtstellung und zudem auf die Führungsrolle in der islamischen Welt – maximalistische Positionen, die eine Konfrontation naturgemäß heraufbeschwören.
Der amerikanische Regimewechsel im Irak und zuletzt der Annäherungsprozess mit dem regionalen Erzrivalen Iran hatten bei den Saudis einen gewaltigen Aufschrei gegen die USA hervorgerufen. Washington hätte die gesamte Region der Führung in Teheran auf dem Silbertablett geliefert und dabei die Interessen seines saudischen Verbündeten mit Füßen getreten. Riad zog daraus die Lehre, seinen Machtanspruch selbst und nicht immer in Koordination mit Washington durchzusetzen, so z.B. in Syrien bei der Unterstützung radikal-islamistischer Gruppierungen. Die iranische Regierung wiederum steht nun vor gewaltigen Herausforderungen, da der Annäherungsprozess mit dem Westen nun unter äußerst schwierigen regionalpolitischen Vorzeichen stehen wird.
Größte Verlierer dieser neuen Eskalation sind allerdings die leidgeplagten Menschen der Region. Nach den jüngsten Spannungen zwischen Teheran und Riad ist der Hoffnungsschimmer, die Konflikte in Syrien und im Jemen politisch lösen zu können, so gut wie erloschen. Denn eine wirkliche Lösung hängt bis heute vom Verständigungswillen beider Staaten ab. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass beide Seiten ihre jeweiligen Bündnispartner in jenen Konfliktherden noch weiter aufrüsten.
Mit zweierlei Maß
Für den Westen bedeutet all dies, dass der ohnehin hochkomplizierte und keiner nachhaltigen Strategie folgende Spagat zwischen Annäherung zum Iran und dem "Business-as-Usual"-Verhältnis zu den Saudis als Hauptpartner am Golf noch weniger gelingen wird. Dass man lange Zeit keine gesamtregionale Strategie verfolgte, die eine inklusive Sicherheitsarchitektur notfalls durch Druck von außen forcierte, rächt sich nun.
Die Rolle des Westens bleibt weiterhin zwiespältig. Die lukrativen Waffengeschäfte mit den Scheichtümern am Golf, eine Art Recycling der dortigen Petro-Dollars, sind nicht ohne den Verrat demokratischer Werte und Prinzipien zu haben. Hinzu kommt ein weiteres massives Glaubwürdigkeitsproblem: Die jüngste Geschichte und zuletzt die Annäherung zur Islamischen Republik führten deutlich vor Augen, dass der Westen zu Menschenrechtsverletzungen schweigt, wenn die autoritären Regime als Partner fungieren. Dies ist gegenwärtig auch der Fall, was die Beziehungen des Westens zu den politischen Führungen in Kairo und Ankara angeht.
Gewiss, Realpolitik baute noch nie auf moralischen Maßstäben auf, doch die offensichtliche politische Doppelmoral dürfte in diesen Ländern sowohl auf zwischenstaatlicher als auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene registriert werden. Deswegen reicht es auch nicht, aus Sicht des Auswärtigen Amtes zu behaupten, der "Mittlere Osten sei der Welt etwas schuldig". Es handelt sich hierbei wohl eher um einen Ausdruck der Rat- und Hilflosigkeit.
Damit die Wellen im saudisch-iranischen Konflikt nicht noch höher schlagen ist es an der Zeit, sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie man regionale und nicht-regionale Akteure für einen notwendigen Befriedungsprozess einbindet. Der Westen verfügt durchaus über Mittel, seinen Einfluss gegenüber dem saudischen Herrscherhaus geltend zu machen – und sei es nur symbolischer Natur. Eine ernsthafte Umkehr in der Rüstungsexportpolitik wäre jedoch ein längst überfälliger Schritt in einer Region, die heute mehr denn je einem Pulverfass gleicht.
Ali Fathollah-Nejad
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