Nakba auf Hebräisch
In Israel macht die Gruppe "Parhessia", die nach dem althebräischen Wort für Öffentlichkeit benannt ist, immer mehr von sich reden.
Sie wurde vor zwei Jahren von israelischen Literaten, bildenden Künstlern und Pädagogen mit dem erklärten Ziel gegründet, in Israel eine neue zivile Sprache für den öffentlichen Bereich zu etablieren, um die ethnische, religiöse und soziale Komplexität der israelischen Gesellschaft kritisch zu durchleuchten.
Die jüngste Aufsehen erregende Initiative der Parhessia-Gruppe ist das Resultat einer Zusammenarbeit mit dem israelischen Verein "Zochrot". Dieser ist seit einigen Jahren bemüht, die israelische Öffentlichkeit über die Nakba, das palästinensische Trauma von Flucht und Vertreibung von 1948, und dessen Folgen aufzuklären – und zwar auf Hebräisch, um der allgemeinen Tabuisierung der damaligen Kriegsvorgänge und -folgen gezielt entgegenzuwirken.
Herausgekommen bei dieser Kooperation ist nun die erste, von jüdischen Israelis herausgegebene Zeitschrift, die sich ausschließlich mit der palästinensischen Nakba befasst – neben der hebräischen gibt es auch eine englischsprachige Ausgabe.
Gegen die Ausradierung der Erinnerung
Das reich bebilderte Heft mit dem Titel "Sedek", zu Deutsch: "Riss", trägt den Untertitel "Zeitschrift zur hiesigen Nakba". Es besticht gleich auf den ersten Seiten mit einer Fotoserie, die der jüdische Fotograf Zoltan Kluger kurz nach dem israelisch-arabischen Krieg von 1948 aufgenommen hatte.
Nach der Vertreibung und Flucht hunderttausender Palästinenser wurden deren Dörfer von der israelischen Armee entweder ganz zerstört oder in jüdische Siedlungen umgewandelt. Klugers Fotografien zeigen auf eindringliche Weise, wie die palästinensische Vergangenheit dieser Orte von den neuen jüdischen Herren sukzessive aus dem kollektiven Gedächtnis der Israelis getilgt wird.
So etwa ein Foto, das dokumentiert, wie jüdische Männer vor einem solchen ehemals palästinensischen Dorf ein provisorisches Ortsschild aufstellen. Unter der neuen hebräischen Ortsbezeichnung steht dort in Klammern noch der alte arabische Ortsname auf Hebräisch, der später nicht nur vom Ortsschild, sondern auch von den israelischen Landkarten verschwinden wird.
Nicht weniger beklemmend ist eine Aufnahme, die Kinder jüdischer Einwanderer beim Einüben israelischer Nationaltänze zeigt, zumal diese ihren Reigen vor der Kulisse eines teilzerstörten palästinensischen Dorfes aufführen, das schon bald israelisiert wurde.
Texte vom palästinensischen und israelischen Nationaldichter
Mutig und zugleich erfrischend ist in dem Heft die Gegenüberstellung zweier Texte von Mahmud Darwisch und Chaim Nachman Bialik, also dem palästinensischen und dem israelischen Nationaldichter, in denen die beiden Lyriker über die Macht des Wortes sinnieren.
Im Anschluss schildern palästinensische Intellektuelle, die aus der einst rein palästinensischen Stadt Jaffa stammen, ihre Eindrücke von ihrem Besuch der nun größtenteils judaisierten Stadt. Sie haben dabei besonders das systematische Auslöschen der arabischen Ortsgeschichte im Blick.
Ein Fotoprojekt der Gruppe Parhessia dokumentiert unverblümt, wie etwa in Jerusalem auf den Straßenschildern immer wieder die arabischen Straßennamen überklebt oder übersprüht werden. Einer ähnlichen Intention folgen die Arbeiten junger israelischer Dichter. Sie betreiben eine sprachliche Bewusstseinserweiterung, die auch die Wahrnehmung der palästinensischen Seite einschließen soll.
So heißt beispielsweise ein Gedicht des 1972 geborenen Matti Schmuelof "Ahavat Israil", eine für jüdische Ohren befremdlich klingende Wortzusammenstellung, besteht sie doch aus dem hebräischen Wort für Liebe und der arabischen Bezeichnung für den Staat Israel – eine deutliche Kampfansage an die zionistische Formel "Liebe zu Zion".
Und Haya Schalom, eine Friedensaktivistin und Gegnerin der israelischen Besatzung, hat für die Zeitschrift aus dem Familienarchiv einen alten Mietvertrag ihrer Eltern ausgegraben, der für die Entrechtung zahlreicher Palästinenser nach dem Krieg von 1948 steht:
Nachdem der palästinensische Hausbesitzer das Land hatte verlassen müssen, wurden die ehemals jüdischen Mieter über Nacht zu Hauseigentümern. In linksliberalen Kreisen ist die Zeitschrift "Sedek" in Israel mit Begeisterung aufgenommen worden, eine zweite Ausgabe ist bereits in Vorbereitung. Auf rechter Seite hingegen hat man sie bislang ignoriert.
Joseph Croitoru
© Qantara.de
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