Schule für palästinensische Software-Entwickler

Eine deutsche IT-Firma bildet Palästinenser zu Software-Entwicklern in einer Akademie aus. Das erste Boot-Camp hat nun in Ramallah im besetzten Westjordanland begonnen – trotz Corona-Pandemie. Aus Ramallah informiert Tania Krämer.

Von Tania Kraemer

Die Kleingruppen sind über eine ganze Etage verteilt. So soll Abstand gehalten werden. Maskenpflicht ist selbstverständlich. An den Tischen herrscht reger Austausch über ein Algorithmus-Problem, das es als Team zu lösen gilt. Lernen in Zeiten der Corona-Pandemie.

"Ich bin froh, dass wir den Kurs nicht wegen des Coronavirus online machen müssen. Es ist zwar nicht einfach, im Team zu arbeiten, aber es ist sehr wichtig, zusammen zu arbeiten und all unsere Ideen auf das eine Problem zu konzentrieren und eine Lösung zu finden," sagt Tala Qawasmi. Die 25-jährige Palästinenserin hat die Aufnahme in die erste 'Kohorte' der Axsos-Akademie geschafft, ein intensives Trainingsprogramm für angehende Software-Entwickler in Ramallah im besetzten Westjordanland. 

Mehrmals wurde der Beginn der viermonatigen Ausbildung wegen der Pandemie bereits verschoben. Von den rund 2500 Bewerbungen aus dem gesamten Westjordanland und aus Gaza haben es 43 in die erste 'Kohorte' geschafft. "Es ist eine große Herausforderung. Wir müssen sicherstellen, dass der Ort nicht zu voll ist, dass alle ihre Masken tragen und Abstand halten. Das ist die neue Normalität, in der wir leben," sagt Shirin Toffaha, Human Resources Managerin der Axsos AG.

Zwei Studenten aus dem ersten Bootcamp von Axsos: Ghada Qaraeen (links) und Tala Qawasmi
Die 22-jährige BWL-Absolventin Ghada Qaraeen hat vor kurzem wegen der Coronavirus-Pandemie ihren Job in der Kundenbetreuung verloren. Sie sieht die Akademie als Chance, ihren beruflichen Horizont zu erweitern: "Die ersten zwei Tage dachte ich nur, oh je, was habe ich mir da bloß angetan? Das ist wirklich schwierig. Aber mit der Zeit lernt man die Programme und Algorithmen. Es ist wirklich gut."

Der erste Lehrgang, der von der palästinensischen Autonomiebehörde finanziert wird, findet auf einer Etage des Ministeriums für Telekommunikation statt. Die Eröffnung des eigentlichen Akademiegebäudes in Ramallah, in dem die Teilnehmer auch übernachten können, wurde auf 2021 verschoben.

Offen für Quereinsteiger

Das Besondere an der Akademie: Auch Quereinsteiger können sich bewerben. Nur etwa die Hälfte der Teilnehmer hat einen Abschluss in Informatik. Das Alter der Teilnehmer reicht von 18 bis 51 Jahren. Nicht wenige nutzen das Boot Camp auch als Umschulung oder berufliche Neuorientierung.

"Wir wollten Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund finden, die aber mit Engagement und Leidenschaft dabei sind, ihre Karriere zu verändern, oder junge Uni-Absolventen," sagt Shirin Toffaha. "Sie müssen außerdem bereit sein, vier Monate dabei zu sein, sechs Tage die Woche, 10 bis 12 Stunden am Tag." 

Ein anderes Bewerbungskriterium sind englische Sprachkenntnisse. Der Intensiv-Kurs wird in englischer Sprache abgehalten und die Studenten werden ermutigt, auch untereinander Englisch statt Arabisch zu sprechen. Wer noch keine ausreichenden Englischkenntnisse hat, kann sich erneut bewerben und in der Zwischenzeit die Sprachkenntnisse verbessern.

Lange Arbeitszeiten sind kein Problem für Ghada Qaraeen, die fast täglich zwischen Ostjerusalem und Ramallah pendelt. Die 22-Jährige hat Business Administration studiert und kürzlich ihren Job im Bereich Kundenbetreuung durch die Corona-Pandemie verloren. Die Akademie sieht sie als Chance, sich weiter zu qualifizieren. Auch wenn es zunächst darum geht, die fehlenden Informatik-Fachkenntnisse aufzuholen.

"Die ersten zwei Tage dachte ich nur, oh je, was habe ich mir da bloß angetan? Das ist wirklich schwierig. Aber mit der Zeit lernt man die Programme und Algorithmen. Es ist wirklich gut."

Auch Tala Qawasmi, Stadtplanerin von Beruf, hat zwar Grundkenntnisse im Kodieren, aber das reiche noch nicht aus, sagt die 25-Jährige. Sie war zuvor im Bereich Geodatenmanagement im öffentlichen Sektor tätig und hat an der Entwicklung eines Navigationssystems mitgearbeitet. "Ich war in der IT-Abteilung und habe einiges an Expertise erworben, aber ich hatte kein vollständiges Bild. Das hier wird mir ermöglichen, Plattformen und Apps selbst zu entwickeln." 

Blick auf Ramallah im Westjordanland (Foto: DW/Tania Krämer)
Das Alleinstellungsmerkmal der Palästinenser ist ihre starke Antizipationskraft, die Fähigkeit Situationen zu lesen: das was sie im Alltag benötigen, könne sich auch im geschäftlichen Umfeld auszahlen. "Ein Palästinenser ist darin zehnmal besser als wir Deutschen. Das ist natürlich ein Vorteil auch bei Kunden, wenn ich den Kunden besser verstehe und mehr zwischen den Zeilen lesen kann," sagt Frank Muller, CEO von Axsos. Er glaubt Palästina könne sich stark positionieren in der arabischen Welt, aber es könne auch als Bindeglied zwischen Europa und den arabischen Märkten fungieren

Mit Qualität punkten

In den nächsten fünf Jahren sollen so bis zu 5000 Palästinenser im Bereich Software-Entwicklung ausgebildet werden. Die Idee für eine Akademie sei bei einem Gespräch mit dem palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Stayyeh entstanden, der mehr hochqualifizierte palästinensische Softwareentwickler sehen möchte und fragte, ob wir sie ausbilden können, sagt Frank Müller, CEO von Axsos, am Telefon aus Stuttgart.

"Der Fokus war, mit hoher Qualität zu punkten. Er hat auch starken Wert daraufgelegt, dass wir als deutsches Unternehmen im Fahrersitz sitzen, damit wir den Kulturansatz mit einbringen," sagt Müller.

Die deutsche Axsos AG ist seit zehn Jahren in den palästinensischen Gebieten tätig und hat einen Teil seiner Kundenbetreuung nach Ramallah verlegt. Das IT-Unternehmen bietet Mittelstandsfirmen Lösungen in IT-Sicherheit, Infrastruktur und Digitalisierung.

Palästinenser hätten mehrere Alleinstellungsmerkmale, die besonders attraktiv für den Sektor seien, so Müller. Da sei etwa ihre "starke Antizipationskraft" beim Bewältigen täglicher Probleme, beispielsweise beim Passieren von israelischen Checkpoints. "Ein Palästinenser ist darin zehnmal besser als wir Deutschen. Das ist natürlich ein Vorteil auch bei Kunden, wenn ich den Kunden besser verstehe und mehr zwischen den Zeilen lesen kann." Palästina könne sich stark positionieren in der arabischen Welt, aber es könne auch ein Link sein zwischen Europa und den arabischen Märkten.

Politischer Konflikt überschattet die Branche

Seit vielen Jahren bereits wird Ramallahs Tech-Sektor gerne als aufstrebendes "Silicon Wadi" der Region beschrieben. "Wadi" bedeutet Tal auf Arabisch. Internationale US-Firmen wie Cisco, Microsoft und Google, die alle fest im benachbarten Israel verankert sind, investieren auch in die palästinensische Wirtschaft.

Es gibt eine Startup-Szene mit 'Accelerators' und lokale IT-Firmen bieten 'Outsourcing'-Lösungen für ausländische Kunden an. Doch nach wie vor bestimmt auch der israelisch-palästinensische Konflikt die Situation. Dabei machen israelische Beschränkungen bei der Mobilität das Arbeiten im virtuellen Raum für palästinensische Tech-Unternehmer umso notwendiger. So stimmte Israel erst vor zwei Jahren zu, dass das besetzte Westjordanland ans 3G Mobilfunk-Netz angeschlossen wird.

 

Jedes Jahr kommen nach Schätzung der Weltbank rund 3000 neue IT-Absolventen auf den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen mit rund 37 Prozent im Westjordanland und über 60 Prozent im Gazastreifen besonders hoch.

Die Corona-Pandemie hat die Situation noch weiter verschärft. "Viele Palästinenser finden keine Arbeit in dem Sektor für den sie studiert haben," sagt Jamil Isayyed, Trainer in der Akademie und Leiter der Abteilung Digitalisierung und Softwareentwicklung bei Axsos.

Auch wenn unklar bleibt, ob der zukünftige Markt genügend Raum für mehr IT-Profis bietet, will die Akademie eine Brücke bauen zwischen den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und den notwendigen Fachkenntnissen. "Dieses Programm soll helfen, beides zusammen zu bringen. Damit sie die notwendigen technischen Kenntnisse, die Soft-Skills und praktische Erfahrung erwerben."

Für die Teilnehmerinnen Tala Qawasmi und Ghada Qaraeen bleibt momentan aber die größte Sorge, dass der Kurs nicht doch noch auf Online-Lernen umgestellt wird. In den letzten Wochen ist die Coronavirus-Infektionsrate im besetzten Westjordanland erneut angestiegen. "Wir brauchen diese Atmosphäre," sagt Tala Qawasmi. "Wir wollen gemeinsam arbeiten und Lösungen finden."

Tania Krämer

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