Europa hat sich nach dem 11. März verändert
Kein Zweifel: Auch die schärfsten Kritiker von US-Präsident George W. Bush haben am 11. März vergangenen Jahres einsehen müssen, dass das Terrornetzwerk Al-Qaida nicht nur die USA bedroht, sondern auch die europäischen Demokratien.
Es ist zwar richtig und notwendig, militärische Invasionen ohne völkerrechtliche Grundlage wie im Irak und Menschenrechtsverletzungen wie auf Guantanamo anzuprangern. Doch ging mancher – gerade in Europa – so weit, Bushs Kampfansage an den Terrorismus nur noch für einen Vorwand zu halten, um die Vormachtstellung der USA in der Welt zu zementieren und Ölvorkommen zu sichern. Die blutigen Anschläge von Madrid haben solch verquere Sichtweisen zurecht gerückt.
Denn die Gefahr, die von Osama Bin Laden ausgeht, ist real: Seine Terrorzellen sitzen nicht nur in Europa, um – wie am 11. September 2001 – Anschläge in den USA vorzubereiten, sondern sie haben längst Ziele in Europa selbst ins Visier genommen. Madrid ist nicht der erste Fall: Sogar noch vor den Katastrophen in New York und Washington konnte ein Bombenattentat von Al-Qaida auf den Straßburger Weihnachtsmarkt vereitelt werden.
Wer also Bushs Weg, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, kritisiert, muss ein anderes, besseres Konzept haben, um gegen Al-Qaida und ähnliche Terrororganisationen vorzugehen. In diesem Punkt tun sich die Europäer jedoch nach wie vor schwer.
Zwar hat die EU schon nach dem 11. September 2001 Maßnahmen beschlossen, dass man enger und effizienter kooperieren wolle. Doch die gemeinsame Polizeizentrale EUROPOL, die Justizbehörde EUROJUST und auch die viel beschworene Zusammenarbeit der Geheimdienste funktionieren bis heute eher schlecht als recht, weil auf nationaler Ebene gemauert wird.
Daran hat auch die Ernennung eines speziellen Anti-Terror-Beauftragten – eine direkte Reaktion auf die Madrider Anschläge – kaum etwas geändert. Projekte wie der Europäische Haftbefehl haben zwar zunächst einen Vorwärtsschub erfahren, aber der Elan ist in den letzten Monaten merklich zurückgegangen. Bei den fälschungssicheren Pässen mit biometrischen Merkmalen oder der Anti-Terror-Datei mahlen die bürokratische Mühlen wieder gewohnt langsam.
Dennoch: Die Europäische Union hat sich nach dem 11. März 2004 verändert. Zum einen sind die Stimmen gegen den Ruf "Mehr Europa!" nahezu verstummt, weil man begriffen hat, dass nur eine eng zusammenarbeitende EU der Bedrohung durch internationale Terroristen entgegen treten kann. Zum anderen ist der Graben, der zuvor zwischen den Gegnern des Irak-Krieges und den Verbündeten der USA klaffte, endgültig zugeschüttet.
Und das ist wirklich bemerkenswert: Da wurde der Bush-freundliche spanische Regierungschef Jose Maria Aznar nach den Madrider Anschlägen von den Wählern abgestraft, weil er in geradezu provinzieller Blindheit mit aller Macht versuchte, baskische Terroristen dafür verantwortlich zu machen.
Da wurde mit Jose Luis Zapatero ein Ministerpräsident inthronisiert, zu dessen ersten Amtshandlungen es gehörte, die spanischen Soldaten aus dem Irak abzuziehen und sich demonstrativ auf die Seite der Kriegs-Gegner Deutschland und Frankreich zu stellen. Da scherte wenige Monate später auch Polen aus der "Koalition der Willigen" aus.
Aber all das hat die Meinungsverschiedenheiten in den transatlantischen Beziehungen nicht vertieft – im Gegenteil: Beide Seiten sind näher gerückt. Trotz aller Kritik an der Bush-Regierung engagiert sich zum Beispiel Deutschland stärker bei der Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte. Die Erkenntnis, dass ein instabiler Irak einen perfekten Nährboden für Terrororganisationen wie Al Qaida darstellt, ist nicht neu. Aber sie steht seit dem 11. März 2004 wieder im Vordergrund. Und das zu Recht.
Klaus Dahmann
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005