Trumps konstruktive Ignoranz

Der US-Krieg gegen den Terror erzeugt mehr Terroristen und wird den Nahen Osten weiter destabilisieren. Nur in Syrien könnte Trumps militärische Entschlossenheit zu einer Verhandlungslösung beitragen, meint Kristin Helberg.

Von Kristin Helberg

Donald Trump und der Nahe Osten – das macht Bauchschmerzen. Im Kampf gegen den Terror richtet der neue US-Präsident nur Schaden an. Er kämpft mit den falschen Mitteln (Luftangriffe auf Wohngebiete) und den falschen Verbündeten (Saudi-Arabien, Golfmonarchien und Ägyptens Al-Sisi) gegen ein nicht näher bestimmtes Phänomen ("islamistischer Terror"), dessen Ursprünge er nicht versteht. Hauptsache die Feindbilder stimmen und Amerika wird "great again".

Arabische Potentaten sollen amerikanische Waffen kaufen, um damit "den Terror" zu bekämpfen. Wie praktisch, dass jeder seine eigenen Terroristen hat: Muslimbrüder und Hamas, schiitische Demonstranten, frustrierte Jugendliche oder kritische Blogger, den Iran, Qatar oder die Hisbollah. Böse ist, wer meine Macht infrage stellt – ob mit Anschlägen oder im Internet, bei Protesten oder auf Al-Jazeera – so einfach deklariert man in Nahost Terroristen.

Das Problem an diesem instrumentalisierten Anti-Terror-Kampf ist nicht nur, dass er viele Unschuldige trifft, sondern dass er die Wurzel des Übels ignoriert: die Perspektivlosigkeit einer lokal abgehängten, aber international informierten Generation von 15- bis 35-Jährigen. Sie stellen in ihren Heimatländern die Bevölkerungsmehrheit und haben keine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben in Würde und Freiheit. Solange kleptokratische Regime diesen Frust nicht abbauen, sondern mit Gewalt unterdrücken, ist die nächste Eruption vorprogrammiert.

Der perfekte Nährboden für weiteren Extremismus

Der Krieg gegen den IS ist mit rein militärischen Mitteln nicht zu gewinnen. Luftangriffe und vorrückende Milizen können IS-Funktionäre aus Mossul und Raqqa vertreiben, aber nicht besiegen. Im Gegenteil. Die mit der "Befreiung" einhergehende Gewalt – wie der US-Angriff auf ein Schulgebäude voller geflüchteter Familien im syrischen Mansoura am 21. März mit 200 Toten oder die Misshandlungen und Hinrichtungen schiitischer Milizionäre im Irak – generiert Wut, Verzweiflung und den Wunsch nach Rache – der perfekte Nährboden für weiteren Extremismus.

US-Präsident Donald Trump; Foto. Reuters
Washingtons neue "Null-Toleranz-Politik" gegenüber der Führung in Damaskus: US-Präsident Trump drohte jüngst Baschar al-Assad, er würde im Falle eines weiteren Chemiewaffen-Einsatzes "einen hohen Preis zahlen". Die US-Regierung gehe davon aus, dass die Vorbereitungen für solch einen Angriff bereits im Gange seien. Präsidialamtssprecher Sean Spicer sagte, man habe Hinweise darauf, dass es zu einen C-Waffeneinsatz kommen könne, dessen Folge ein Massenmord an Zivilisten, darunter unschuldigen Kindern wäre.

Der Ausgang dieses Feldzugs ist deshalb ungewiss, vor allem in Syrien. Denn anders als im Irak ist in Syrien nicht klar, was auf den IS folgt. Statt einer Einheitsfront gibt es dort einen Wettstreit verschiedener Kriegskoalitionen: Wer den IS zuerst vertreibt, übernimmt die Kontrolle in dem jeweiligen Gebiet. Daher das Gerangel im Osten Syriens, wo vier Allianzen gegen den IS vorrücken.

Aus dem Nordosten kommen erstens die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die von der PKK-nahen Partei der Demokratischen Union (PYD) dominiert werden und als wichtigste Verbündete der USA auf Raqqa vorrücken. Aus dem Süden stoßen zweitens die von den USA, Großbritannien und Norwegen unterstützten Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) vor, die von amerikanischen Spezialeinheiten am Grenzübergang Al-Tanf ausgebildet werden. Im Norden sollen drittens die von der Türkei geförderten Rebellengruppen verhindern, dass IS-Gebiete unter kurdische Kontrolle fallen. Und von Westen nähern sich viertens die Assad-loyalen Kräfte: Regimetruppen, Hisbollah, diverse Milizen, Iran und Russland.

Weil sie sich dafür aus den umkämpften Gebieten in Idlib, Aleppo, Hama und Damaskus-Land zurückziehen müssen, wurden diese Anfang Mai zu Deeskalationszonen erklärt mit dem Ziel, die Fronten im Westen einzufrieren, um Kapazitäten im Osten zu haben. Nur in der südlichen Provinz Daraa – ebenfalls Deeskalationszone – bombardiert das Regime heftiger als zuvor.

Krieg um die Kornkammer und Tankstelle Syriens

Worum also geht es in Syriens Osten, dieser dünn besiedelten Steinwüste? Wirtschaftlich bedeutend ist die Provinz Deir al-Zor mit ihrer gleichnamigen Hauptstadt als Kornkammer und Tankstelle des Landes. Hier wachsen Getreide und Baumwolle und liegen sowohl Erdgas- als auch die bescheidenen Erdölvorkommen Syriens.

Karte der rivalisierenden Kräfte im Kampf gegen den IS in Syrien und Irak; Quelle: DW
Vereint gegen den IS: Aus dem Nordosten kommen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die von der PKK-nahen Partei der Demokratischen Union (PYD) dominiert werden und als wichtigste Verbündete der USA auf Raqqa vorrücken. Aus dem Süden stoßen die Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) vor. Im Norden sollen die von der Türkei geförderten Rebellengruppen verhindern, dass IS-Gebiete unter kurdische Kontrolle fallen. Und von Westen nähern sich die Assad-loyalen Kräfte. : Regimetruppen, Hisbollah, diverse Milizen, Iran und Russland. Doch anders als im Irak ist in Syrien nicht klar, was auf den IS folgt.

Regimetruppen, Rebellen und der IS kämpften deshalb jahrelang um die Stadt, deren Westteil bis heute von Assad kontrolliert und seit 2014 vom IS belagert wird. Wichtig ist außerdem die Grenze zum Irak, die alle kontrollieren wollen. Assad, um das gesamte Staatsgebiet zurückzuerobern und Handelsrouten wie den Bagdad-Damaskus-Highway wiederzubeleben; Teheran, um einen Landweg von Iran über den Irak, Syrien und den Libanon zum Mittelmeer zu schaffen; die USA, um Letzteres zu verhindern und das syrisch-irakische Grenzgebiet nicht länger Dschihadisten als Rückzugsraum zu überlassen.

Eigene Ziele rücksichtslos durchsetzen

Die Bereitschaft, die eigenen Ziele rücksichtslos durchzusetzen, ist groß. Assads Leute rücken vor, schicken bewaffnete Drohnen und Jagdbomber, um die US-Allianz zu stoppen. Washington greift Pro-Regime-Konvois an und schießt Drohnen und Kampfjets der Assad-Koalition ab, um die eigenen Truppen in Al-Tanf und ihre Verbündeten der SDF und FSA zu schützen. Russland eskaliert verbal, scheint aber keine direkte Konfrontation mit den USA zu wollen. Darin könnte eine Chance liegen. Denn Trumps Entschlossenheit verschiebt das Koordinatensystem, in dem Syrien seit Jahren ohne Aussicht auf eine Verhandlungslösung festhängt.

Zerschossene Fassade einer Polizeiakademie in Aleppo mit dem Bild Assads; Foto: Reuters
Zielscheibe Assad: Sollten die militärischen Strukturen des syrischen Regimes Schaden nehmen und Baschar al-Assad zu ernsthaften Verhandlungen über eine Machtübergabe zwingen, wäre viel gewonnen. Schlimm nur, dass man sich dieser Tage freuen muss, wenn im Nahen Osten aus Ignoranz eine vage Chance auf Frieden erwächst.

Lösungsorientierter Pragmatismus?

Im Gegensatz zu Vorgänger Obama sprechen Trump und Putin die gleiche Sprache. Es wird gedroht und gebombt, wo eigene Interessen zu verteidigen sind. Das ist gefährlich, bringt aber eine Abschreckung mit sich, die nicht selten zu diplomatischen Durchbrüchen führt. Aus einem verheerenden Ungleichgewicht – Obama zögerte, Putin reagierte und Assad mordete wie er wollte – könnte ein lösungsorientierter Pragmatismus werden.

Weder Trump noch Putin geht es um die Person Assads. Trump will den Einfluss Irans zurückdrängen, der den Russen in Syrien auch zu viel ist. Beide wollen Syrien stabilisieren ohne viel zu investieren. Sie sehen, dass das mit Assad auf Dauer nicht geht und dass man dafür Opposition, Rebellen und Aktivisten einbeziehen muss.

Moskau sucht bereits Kontakt zu den Lokalen Räten in den Deeskalationszonen, um den eigenen Einfluss während einer Übergangsphase sicherzustellen. Reicht das für Frieden? Sicher nicht. Aber statt eine offene Konfrontation mit Trump zu riskieren, könnte Putin es vorziehen, Schützling Assad zu Zugeständnissen zu bewegen.

Und bevor der Nukleardeal auf der Müllhalde der Geschichte landet und Trumps "best friends" in Riad größenwahnsinnig werden, könnte Teheran sich gezwungen sehen, an einer Neuordnung in Damaskus konstruktiv mitzuarbeiten, um überhaupt dabei zu sein.

Der Wettstreit um Syriens IS-Gebiete wird weiter eskalieren, manch Luftfahrzeug wird unter dem Jubel der Assad-Gegner abgeschossen werden. Natürlich geht es Trump dabei nicht um den Schutz von Menschen, schließlich hat die internationale Anti-IS-Koalition im Mai mehr syrische Zivilisten als das Regime getötet. Trotzdem sind seine gezielten Angriffe auf Assads Kriegsgerät aus Sicht vieler Syrer die erste sinnvolle Intervention in diesem Konflikt, weil nicht Zivilisten, sondern militärische Strukturen Schaden nehmen.

Sollten sie Assad zu ernsthaften Verhandlungen über eine Machtübergabe zwingen, wäre viel gewonnen. Schlimm nur, dass man sich dieser Tage freuen muss, wenn im Nahen Osten aus Ignoranz eine vage Chance auf Frieden erwächst.

Kristin Helberg

© Qantara.de 2017