"Die CDU wird Brücken zur Türkei schlagen"

Die CDU ist gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Fürchten sich die Türken vor einer Kanzlerin Angela Merkel? Darauf antwortet Kemal Sahin, Präsident der deutsch-türkischen Handelskammer.

Interview von Steffen Leidel

Herr Sahin, wie haben Sie auf die Nachricht reagiert, dass Bundeskanzler Schröder die Bundestagswahlen auf diesen Herbst vorziehen will?

Kemal Sahin: Ich denke, das ist ein vernünftiger Vorschlag. Die Regierung hat viele Stimmen verloren, und auch in der eigenen Partei hat Schröder Probleme, die Reformen umzusetzen. Das ist nicht gut - weder für Schröder, noch für das Land. Deutschland braucht Reformen, eine starke Regierung und eine starke Unterstützung der Bevölkerung. Deshalb finde ich den Vorschlag von Herrn Schröder gut, sich Neuwahlen zu stellen.

Eine Wiederwahl ist allerdings eher unwahrscheinlich. Was halten Sie von einer möglichen Kanzlerin Angela Merkel?

Sahin: Wenn die Bevölkerung das will, dann muss sie regieren. Deutschland braucht Reformen, braucht eine Regierung, die von der Bevölkerung unterstützt wird. Aber man weiß ja noch nicht, ob Schröder wirklich verliert. Er wird mit seinem neuen Programm auf das Volk zugehen. Er hat immer noch ein hohes Ansehen. Vielleicht bringt er seine Partei geschlossen hinter sich. Doch egal, wer gewählt wird, wir brauchen eine Mehrheit, die vier Jahre Zeit hat, die auch vom Bundesrat Unterstützung bekommt.

Fürchten Sie sich nicht vor einer Kanzlerin Merkel, deren Partei einen EU-Beitritt der Türkei strikt ablehnt?

Sahin: Sicher, Herr Schröder war ein Türkei-Fan. Die Opposition hat viele Kampagnen gegen die Türkei veranstaltet. Wenn die CDU an die Macht kommt, dann wird Frau Merkel sich anders verhalten, man wird sich den Tatsachen stellen. Da sehe ich keine großen Probleme. Die CDU wird einen Weg finden, zur Türkei Brücken zu schlagen. Ich gehe davon aus, dass der Weg der Türkei in die EU nicht behindert wird.

Die CDU ist aber doch eindeutig gegen einen EU-Beitritt ...

Sahin: Frau Merkel und andere Oppositionsvertreter haben mehrfach gesagt, dass die Gesetze und Vereinbarungen, die schon unterschrieben sind, nicht rückgängig gemacht werden. Die Türkei hat die Perspektive bekommen, am 3. Oktober 2005 die Verhandlungen zu beginnen. Das ist ein langer Weg. Ich glaube nicht, dass man in den nächsten Monaten einen anderen Weg gehen wird. Das ist ja alles abgemacht.

Welchen Appell würden Sie an eine potentielle Merkel-Regierung richten?

Die meisten türkischen Wähler haben die SPD und die Grünen gewählt. Die CDU war nicht so türkenfreundlich in ihrer Politik. Ich appelliere an die CDU, dass sie auch ein paar gute türkische Kandidaten stellt. Es gibt ja auch CDU-Anhänger unter den Türken, vor allem Kaufleute. Die Partei sollte dem ein oder anderen Chancen geben, in den Bundestag zu ziehen. So könnten sie leichter Brücken bauen zu der türkischen Bevölkerung.

Die CDU sollte Signale geben, dass die Beziehungen zwischen der CDU und der Türkei auf eine gute Bahn kommen. Ich appelliere an sie, dass sie ihre Anti-Türkei-Haltung aufgibt. Deutschland und die Türkei hatten immer gute Beziehungen, auch unter den CDU-Regierungen. Deshalb sehe ich keine Probleme, dass ein Regierungswechsel die deutsch-türkische Freundschaft stören wird.

Das Gespräch führte Steffen Leidel

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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