Steht eine kulturelle Wende bevor?
Dass der neue saudische König Salman Ibn Abdel Aziz Al Saud den Reformkurs seines Vorgängers Abdullah fortsetzt, ist auch im Kulturbereich erkennbar. Der von dem fast achtzigjährigen Monarchen zum „Minister für Kultur und Information“ ernannte Adel al Toraifi ist erst 35 Jahre alt und der bislang mit Abstand jüngste in diesem Amt.
Wie seine Amtsvorgänger und etliche andere prominente saudische Politiker hat auch Al Toraifi im Westen studiert. Er absolvierte zunächst in Deutschland ein Ingenieurstudium und war für kurze Zeit bei Siemens tätig, wechselte dann aber zur Politikwissenschaft und wurde an der Londoner School of Economics 2012 neben seiner Tätigkeit als Journalist mit einer Studie über „Die Rolle von Staatsidentitäten im außenpolitischen Entscheidungsprozess: Die saudisch-iranische Annäherung 1997-2009“ promoviert - ein nach wie vor brisantes Thema, weil die Beziehungen zwischen Riad und Teheran jüngst einen neuen Tiefpunkt erreicht haben.
Al Toraifis kenntnisreiche Pressebeiträge zur nahöstlichen Politik ließen ihn die Karriereleiter schnell emporsteigen. Nach leitenden Positionen unter anderem im saudischen internationalen Fernsehsender Al Arabija war er zuletzt Chefredakteur des in London erscheinenden saudischen Blatts „Al Sharq Al Awsat“.
Seine Beförderung zum Minister wird als Zeichen dafür gedeutet, dass eine Umstrukturierung der saudischen Medien bevorsteht. Der nach langen Jahren im Ausland Anfang des Jahres in seine Heimat zurückgekehrte Journalist traf auf ein im Umbruch befindliches Land. In der Endphase der Herrschaft von König Abdullah wurden die Saudis vom Reformfieber gepackt, das etliche Lebensbereiche betrifft und bis heute anhält.
Von der Regierung wurde die Bevölkerung ermuntert, an der digitalen Revolution teilzunehmen. Auch wenn das Internet gefiltert wird, sind eigene Facebook- und Twitter-Seiten für viele im Land zur Selbstverständlichkeit geworden, ebenso das Publizieren im Netz. Kritik an der Politik des Königshauses wird allerdings nicht geduldet und seit der Verschärfung des Pressegesetzes im Jahr 2011 noch strenger geahndet.
Weltweites Aufsehen erregt diesbezüglich der Fall des Bloggers Raif Badawi, dem trotz aller Proteste weitere Auspeitschungen drohen. Ein im Ausland dagegen kaum bekanntes Opfer der Zensurpolitik ist der weit ältere und im Land sehr geschätzte Publizist Zuhair al Kutbi, der seit Juli in Haft sitzt - ohne Angabe von Gründen.
Undurchsichtige Ziele
Trotz aller Zensur ist die saudische Medienlandschaft heute so lebendig wie noch nie. In Saudi-Arabien gibt es derzeit rund zweitausend elektronische Zeitungen, von denen nur etwa ein Drittel gültige Genehmigungen besitzt. So zumindest die Version des Kultur- und Informationsministeriums, das unlängst mit der Ankündigung für Aufsehen sorgte, viele dieser Internetportale schließen zu wollen. Ein Großteil davon, so die Begründung, werde wegen Fixierung auf lokale und Stammesangelegenheiten den nationalen Interessen des Landes nicht gerecht. Und häufig seien ihre Betreiber journalistisch nicht ausreichend qualifiziert.
Die rege Reisetätigkeit von Minister al Toraifi - er ließ auch schon die Chefredakteursposten in den tonangebenden saudischen Blättern neu besetzen - wie auch bekanntgewordene Einzelheiten seiner Gespräche mit Führungskräften der einheimischen Fernsehanstalten lassen den Schluss zu, dass er zunächst vor allem eine weitere Professionalisierung der spontan gewachsenen saudischen Medienlandschaft anstrebt.
Leider blieben Fragen zu den Plänen in diesem Bereich, zur Zensurpolitik und zum Schicksal der inhaftierten Publizisten Badawi und al Kutbi, die diese Zeitung an Saud Kutab, den twitterfreudigen Sprecher des Kulturministeriums, richtete, unbeantwortet.
So bleibt im Dunkeln, welche konkreten Ziele der neue Minister gerade auch im Kulturbereich verfolgt, den seit 2011 im Wesentlichen sein rund zwanzig Jahre älterer „Stellvertreter für kulturelle Angelegenheiten“, der in den Vereinigten Staaten promovierte Kulturwissenschaftler Nasser al Hejailan, betreut. Unter dessen Ägide wurde in den vergangenen Jahren die kulturelle Arbeit im Land enorm gefördert.
Hauptsächlich wird sie durch zwei Institutionen gelenkt: Für Pflege von Dichtung und Literatur sind die sogenannten „Literarischen Klubs“ zuständig, die in sechzehn saudischen Großstädten unterhalten werden; die „Arabisch-Saudische Gesellschaft für Kultur und Kunst“ wiederum kümmert sich um bildende Kunst, Theater, Musik und Folklore und hat ebenfalls sechzehn Filialen. Anders als Letztere befinden sich die Literatur-Klubs, seit sie 2011 ihre Vorstände erstmals frei wählen durften, in einem strukturellen Wandel.
Dass sich unter den Vorstandsmitgliedern nun auch Frauen und zudem solche befinden, die nicht dem gewohnten Profil des saudischen Literaten entsprechen, hat Kontroversen ausgelöst und zu etlichen Austritten geführt.
Nicht nur das saudische Theater
Für Irritation sorgte auch der Ende April erfolgte Rücktritt des für die Literatur-Klubs im Kulturministerium zuständigen Beamten, für den bislang noch kein Nachfolger ernannt worden ist. Und dass das Ministerium neuerdings als Bezeichnung für diese Einrichtungen den Namen „Literarisch-kulturelle Klubs“ bevorzugt, lässt vermuten, dass das Spektrum ihrer Arbeit ausgeweitet werden soll, um eventuell auch Politisches im Sinne der Regierung einfließen zu lassen und die Jugend noch direkter anzusprechen, die man in Saudi-Arabien wie auch anderswo in der arabischen Welt vor dem Abgleiten in den Extremismus bewahren will.
Von Reformgeist geprägt sind auch die Veranstaltungen der „Arabisch-Saudischen Gesellschaft für Kultur und Kunst“. Schon längst kommen auch hier Frauen zum Zug, deren Aktivitäten jeweils von einem „Frauenausschuss“ koordiniert werden. Bereits vor einigen Jahren gründeten Amateurschauspielerinnen in mehreren saudischen Großstädten eigene Theatergruppen und führten - ausschließlich vor weiblichem Publikum - Stücke auf, die Alltagsprobleme der saudischen Frau thematisieren. Das Regierungsblatt „Al-Riyadh“ hat immer wieder wohlwollend darüber berichtet.
Eines der jüngsten Stücke, das im Juli im König-Fahd-Kulturzentrum in Riad gespielt wurde, setzte sich mit familiärer Gewalt auseinander. Obwohl am Eingang zum Veranstaltungssaal darauf hingewiesen wurde, dass bei Frauenaufführungen nicht fotografiert werden dürfe, wurde das Stück vom saudischen Staatsfernsehen auszugsweise übertragen. Und auf den Kulturseiten von „Al Riyadh“ waren einige Darstellerinnen und auch die Regisseurin unverschleiert abgebildet.
Anfang August hat das Blatt angesichts der steigenden Popularität des Frauentheaters, das aber nach wie vor nur Geschlechtsgenossinnen besuchen dürfen, für „Theateraufführungen für die ganze Familie“ plädiert - ein mögliches Signal dafür, dass bald auch in Saudi-Arabien gemeinsame Theaterbesuche von Männern und Frauen erlaubt werden sollen.
Okaz-Festival
Die kulturelle Wende, für die das saudische Theater nur ein Beispiel ist, war im August auch auf dem jährlich stattfindenden Okaz-Festival in Taif bei Mekka nicht zu übersehen. Im Rahmen dieser Veranstaltung, die an die dortige mittelalterliche Tradition arabischer Dichterversammlungen anknüpft, wurde ein einstündiges Theaterstück aufgeführt, in dem zu Beginn der legendäre vorislamische arabische Dichter Labid als noch junger Mann auftrat und eines seiner Werke vortrug (zum Islam ist Labid der Überlieferung nach erst später übergetreten, was hier wohlgemerkt nicht thematisiert wird).
Anschließend stürmten zu Swingmusik westlich gekleidete Tänzer auf die Bühne, die den Auftritt der eigentlichen Protagonisten des Stücks ankündigen: Es waren der libanesisch-amerikanische Schriftsteller Amin al Rihani (1876 bis 1940), sein arabischer Kollege Nofal und die berühmten französischen Orientforscher Charles Huber und Antoine-Isaac Silvestre de Sacy, die auf der Bühne al Rihani bezüglich eines Gedichtfragments von Labid um Rat angingen. Der Autor des Bühnenwerks, der Saudi Saleh Zamanan, schickte dann alle vier auf eine Zeitreise. Dabei begegneten sie dem älteren Labid, der, über die Dichtkunst philosophierend, das Fragment seines Gedichts aus jungen Jahren fortschrieb.
Die dargestellten westlichen Orientalisten, bei arabischen Konservativen eher verhasste Figuren, beeindrucken in dem Stück durch ihre Gelehrtheit: Der ihnen auf diese Weise in Taif entgegengebrachte Respekt gilt wohl dem Westen insgesamt, dem sich Saudi-Arabien mit wachsendem Eifer kulturell anzunähern versucht.
Joseph Croitoru
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