Flüchtlingslager mit Goldfischbecken

Vor 100 Jahren wurde in München die legendäre Ausstellung "Meisterwerke muhammedanischer Kunst" gezeigt. Jetzt werden einige der damals präsentierten Werke neu vorgestellt - als Vorlage für moderne Kunst aus der arabischen Welt. Walter Kittel berichtet aus München.

​​Ein prächtiger Messingteller aus dem Irak, bevölkert mit Reitern, Tänzern und Musikern neben dem Portrait eines afghanischen Sultans. Oder ein im 11. Jahrhundert gefertigter Bergkristallring aus den Schatzkammern der Kalifen von Kairo neben iranischen Seidenteppichen, an denen sich europäische Könige und Fürsten erfreuten.

Etwa 30 solcher Kostbarkeiten bilden das Zentrum der Ausstellung "Zukunft der Tradition, Tradition der Zukunft" im Haus der Kunst in München. Sie werden in kleinen Kabinetten gezeigt, die aus fein gewebtem, schwarzem Stoff geformt sind.

Bereits vor 100 Jahren beeindruckten diese kunstvoll gestalteten Arbeiten das Münchner Publikum in der Ausstellung "Meisterwerke muhammedanischer Kunst". Allerdings war die um ein Vielfaches größer.

Eine kleine Skizze von Wassily Kandinsky erinnert heute daran, wie einige bedeutende europäische Künstler von der aufwändigen Schau damals beeinflusst wurden. Auch August Macke oder Henri Matisse sahen die in München ausgestellten Schätze. Insgesamt kamen mehr als 1,3 Millionen Besucher.

Blick auf die Zukunft

Heute jedoch ist die Erinnerung an das Großereignis von damals nur noch eine grandiose Kulisse für moderne arabische Kunst aus den letzten 100 Jahren. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der Gegenwartskunst.

​​So sind um den zentralen Ausstellungssaal mit seinen teils 1000 Jahre alten Werken zahlreiche kleinere Räume mit zeitgenössischen Arbeiten gruppiert. Hier dominiert die jüngere bis jüngste Generation von Künstlern aus dem Nahen Osten. Viele von ihnen leben und arbeiten nach wie vor in ihren Heimatländern: in Kairo, Beirut, Dubai oder im Westjordanland. Andere haben London, Paris oder New York als Studienort und Lebensmittelpunkt gewählt.

Ihre Arbeiten erzählen meist von orientalischen Mythen und Traditionen, die im Westen kaum jemand kennt. In einer Arbeit geht es um islamische Mystiker, denen 99 von der Decke hängende Banner gewidmet sind, auf denen sich gestickte arabische Buchstaben und Symbole befinden.

Oder es wird in einem Video auf die Verfilmung eines persischen Liebesepos aus dem 12. Jahrhundert angespielt, wobei der im Iran lebende und arbeitende Künstler Abbas Kiarostami nur die Rührung in den Gesichtern der iranischen Zuschauerinnen festgehalten hat: Oft fließen Tränen.

Kunst ist mächtiger als andere Mittel

​​Stark politische und sozialkritische Arbeiten kommen hingegen aus dem Westjordanland. So hat Wafa Hourani, ein 31-jähriger Künstler aus Ramallah, eine Zukunftsvision des palästinensischen Flüchtlingslagers Qalandia entworfen.

Zu sehen ist ein verschachtelter Siedlungskomplex mit Goldfischbecken, einem Spiegelgarten und zahllosen zu phantastischen Figuren gebogenen Antennen, die einen Hoffnungsschimmer auf den repressiven Alltag zu werfen scheinen.

"Die Kunst verschafft uns ein wahres Bild und informiert Menschen, was vor sich geht", sagt Wafa Hourani, "man muss sich nur die Kunst anschauen und braucht kein Fernsehen." Auf die Frage, warum er Künstler geworden ist, antwortet Hourani selbstbewusst: "Ich glaube, die Kunst ist mächtiger als andere Mittel."

Walter Kittel

© Deutsche Welle 2010

Die Ausstellung "Die Zukunft der Tradition - die Tradition der Zukunft" ist vom 17.09.2010 bis 09.01.2011 im Haus der Kunst in München zu sehen.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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