Warnung vor Ausgrenzungspolitik
Eine überparteiliche Frauen-Initiative hat sich gegen ein Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen in Deutschland ausgesprochen. Ihr Argument: Mit einem Verbot würde eine Ausgrenzungspolitik betrieben, die nur den Fundamentalisten in die Hände spiele. Näheres von Sabine Ripperger aus Berlin.
Zu den mehr als 70 prominenten Unterzeichnerinnen des Aufrufs gehören Politikerinnen aller Bundestagsfraktionen, Wissenschaftlerinnen, Vertreterinnen von Kirche, Kultur und Medien. Unterstützt wird der Appell beispielsweise von der ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, der Verbraucherschutzministerin Renate Künast, der ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger und der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik, Claudia Roth. Auch prominente Schauspielerinnen wie Katja Riemann und Renan Demirkan gehören zu den Unterzeichnern.
Entscheidend ist, was im und nicht was auf dem Kopf ist
Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, ist der Ansicht, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zunehmend eine emotional geführte Debatte einsetzte. Sachlichkeit und Rationalität rückten dabei in den Hintergrund, eine differenzierte Betrachtung ging verloren. Die ersten Gesetzesinitiativen hätten das verfassungsrechtliche Gebot des Urteils, das ganz eindeutig formuliert ist, missachtet - nämlich, dass es um eine Gleichbehandlung aller Religionen gehen müsse, erklärte die Migrationsbeauftragte. "Wir meinen, dass das Entscheidende um das Kopftuch nicht die Frage ist, was AUF dem Kopf ist, sondern die Frage, was IM Kopf ist."
In Deutschland müsse man akzeptieren und auch bedenken, dass mitnichten alle Kopftuchträgerinnen politische oder fundamentalistische Motive hätten, so Marieluise Beck. Dieses Tuch sei häufig normal für islamische Frauen, die damit ihren Glauben und ihr Verständnis vom Glauben dokumentieren. Diese Frauen sollten nicht ausgegrenzt, sondern in die Gesellschaft integriert werden. Das sei zwar eine schwierige Aufgabe, aber letztlich unverzichtbar, meint Beck.
Verbote radikalisieren
Auch Berlins langjährige Ausländerbeauftragte Barbara John setzt sich dafür ein, dass die Frauen selbst bestimmen sollen, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Hier dürfe es weder Verbot noch Zwang geben. Sie verwies darauf, dass es im Zuge der öffentlichen Debatte gerade für junge muslimische Kopftuchträgerinnen zunehmend schwieriger geworden sei, einen Praktikumsplatz - z.B. als Sprechstundenhilfe oder Hebamme - zu bekommen, weil diesen Frauen häufig großes Misstrauen entgegengebracht werde. "Ich empfinde diese Kampagne als eine richtige Verteufelung und als eine Dämonisierung. Dies ist immer ein Merkmal des Aufbaus von Feindbildern", erklärte John. "Es ist eine, wie ich finde, bedrohliche Situation für Frauen, die ein Kopftuch tragen, nicht nur für Lehrerinnen, sondern überhaupt für alle Frauen, die ein Kopftuch tragen. Verbote radikalisieren. Wir müssen den Weg dieser Frauen in eine offene Gesellschaft offen halten."
Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat den Aufruf unterschrieben, weil sie damit deutlich machen möchte, dass das Kopftuch eben nicht als Symbol für nur eine bestimmte Denkart oder Verhaltensweise stehen muss. "Es trifft ja wirklich nur Frauen und nicht Männer mit langen Bärten, wo geprüft wird: Ist dieser Bart Ausdruck für eine bestimmte Verhaltensweise?", so die frühere Justizministerin. "Es muss doch alles getan werden, damit wir nicht dazu kommen zu sagen: Allein, weil eine Frau ein Kopftuch trägt, ordnen wir sie in eine ganz bestimmte Schublade ein - nämlich denjenigen zu, die hier angeblich fundamentalistisch eine ganz bestimmte Überzeugung vermitteln wollen und damit gegen unsere Verfassungswerte und gegen die Toleranz und die Offenheit in unserem Grundgesetz agieren wollen", so Leutheusser-Schnarrenberger.
Es werde mit Sorge betrachtet, heißt es in dem Aufruf der Fraueninitiative, welche Richtung diese Diskussion an verschiedenen Stellen nimmt und wie Islam und religiöser Extremismus oft undifferenziert gleichgesetzt würden. Wenn man ohne Prüfung der individuellen Motive generell Frauen mit Kopftuch von öffentlichen Schulen ausschließe, träfe man gerade die Frauen, die mit ihrem Streben nach Berufstätigkeit einen emanzipatorischen Weg beschreiten wollten. Nur wenn man deutlich mache, dass man nicht den Islam als Religion ablehne, sondern sich gegen Fundamentalismus und antidemokratische Vorstellungen verwahre, werde man die Auseinandersetzung um den politischen Islam gemeinsam mit der muslimischen Bevölkerung führen können.
In dem Appell wird aber auch eingeräumt, dass es eine Politisierung des Glaubens gebe, die den Umgang mit dem Islam nicht einfach mache.
Sabine Ripperger
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2003
Hier können Sie den vollständigen Aufruf gegen eine 'Lex Kopftuch' im PDF-Format lesen