Handyboykott als Druckmittel
Der gesamte Libanon schien an einem Montag Mitte August unter Entzugserscheinungen zu leiden – denn viele Libanesen hatten ihr Handy ausgestellt. Ein schwerer Schritt für die meisten, sind sie doch leidenschaftliche Mobiltelefonierer.
Wer etwas auf sich hält, besitzt stets das neueste Modell und zeigt es her – im Restaurant, am Strand. Es gehört genauso zum Sozialstatus wie ein schickes Auto oder eine Zigarre.
Kein Gespräch scheint ihnen zu privat, als dass die Öffentlichkeit nicht daran teilhaben könnte. Kein Ort zu heilig, an dem das Kingeln nicht ertönt. Denn die Libanesen beantworten das Handy überall – sei es im Kino oder sogar in der Kirche oder in der Moschee.
Die Freiheit, nicht gestört zu werden
Und doch hatten sich viele Handybenutzer schon zum zweiten Mal in nur einem Monat dazu durchgerungen, dem Boykottaufruf von Consumers Lebanon, einer Nichtregierungsorganisation zum Schutz der Konsumenten, zu folgen.
"Ich fühle mich unglaublich frei", meint ein junger Libanese, der gemütlich seinen Kaffee trinkt, ohne von irgendeinem Anrufer gestört zu werden. Er hatte sein Telefon ausgeschaltet, wohl wissend, dass seine Verlobte das gar nicht gut finden würde. Denn die ruft ihn am Tag mehrmals an.
Eines ist klar – es sind vor allem die finanziell besser gestellten Libanesen, die ein Handy besitzen und es extensiv nutzen. Denn die Gebühren sind horrend hoch – 500 Minuten kosten 100 Euro. Das ist für einen Durchschnittsverdiener über ein Viertel des Monatseinkommens.
Vieltelefonierer trotz hoher Gebühren
Die Gebühren sind doppelt so teuer wie im Nachbarland Syrien, und in den Vereinigten Arabischen Emiraten kostet die gleiche Zeit gerade mal 32 Euro.
800 Tausend Mobiltelefonbenutzer gibt es in dem dreieinhalb Millionen Einwohnerland und es werden immer mehr, trotz der hohen Gebühren. Die Touristen haben die Nachfrage diesen Sommer noch mehr in die Höhe schnellen lassen und deswegen sind die Preise für Neuanschlüsse gestiegen – von ehemals 70 Euro auf 170 Euro pro Anschluss.
Bei dieser Entwicklung scheint es umso erstaunlicher, dass Consumers Lebanon schon zum zweiten Mal innerhalb eines Monats zu einem landesweiten Mobiltelefonboykott aufgerufen hat. Denn obwohl die Nachfrage einerseits steigt, haben rund 150 Tausend Libanesen ihr Handy verkaufen müssen – sie konnten es sich einfach nicht mehr leisten.
Die Macht der Konsumenten
Beim ersten Boykott hatten angeblich dreißig Prozent aller Handybesitzer den Klingelapparat ausgestellt. Offizielle Statistiken gibt es noch nicht, doch wenn man den libanesischen Medien Glauben schenkt, so waren es diesmal mindestens genauso viele.
"Es ist nicht nur wichtig, dass die Benutzer am Boykott teilnehmen", so der Präsident der NRO, Zuhair Berro. "Wir wollten ihnen klarmachen, dass sie die Macht haben, Druck auszuüben."
Natürlich wurden die Gebühren nach dem Boykott nicht herabgesetzt. Doch immerhin gab es seitens der libanesischen Regierung eine Reaktion – in einem Brief an Consumers Lebnanon machte der libanesische Finanzminister deutlich, dass das Telefonieren im Libanon unter keinen Umständen billiger werden würde.
Für Berro war die staatliche Botschaft schon fast ein Zugeständnis: "Die Regierung weiß, dass wir ein Problem haben."
Auch die deutsche Firma Detecon ist im Geschäft
Denn der Staat kassiert kräftig ab: "Fünfzig Prozent der Gebühren sind Steuern", erklärte der Aktivist, "das macht 48 Millionen Euro pro Monat." Ein lukratives Geschäft für die Regierung, deren Mitglieder von den Libanesen oft als selbstsüchtige Mafiosis karikiert werden. Die benötigt die Finanzspritze dringend zum Stopfen der immer größer werdenden Haushaltslöcher.
Vor einigen Monaten übertrug die Regierung das Management der beiden staatlichen Telefongesellschaften LibanCell und Cellis an ausländische Anbieter, unter anderem an die deutsche Detecon.
Die macht’s für dreißig Prozent weniger als zuvor die libanesischen Betreiber, und das heißt unter dem Strich ein Drittel mehr Geld für den Staat. Denn das billigere Betreiben der Netzwerke kam nicht den Konsumenten zugute.
Wenn alle Handybenutzer dem Boykott gefolgt wären, hätte die Regierung an nur einem Tag 667 Tausend Dollar verloren. "Wir müssen unsere Strategie noch verbessern", meinte Berro. Er will eine Aufklärungskampagne starten, den Bürgern zeigen, dass die Regierung ihnen das Geld aus der Tasche zieht.
Christina Förch
© Qantara.de 2004