Digitale Selbstverteidigung
Selbst im Moment des Erfolgs vergisst Shahzad Ahmad die schwierigen Aufgaben nicht, die noch vor ihm liegen. Als Leiter der pakistanischen Organisation "Bytes for All" tritt er seit Jahren unermüdlich für Informations- und Meinungsfreiheit im Internet ein. Im März erhielt er dafür eine Auszeichnung des internationalen Netzwerks "Index on Censorship".
"In meinem Land sind Zensur, Überwachung und die Einschränkung von Meinungsfreiheit und Privatsphäre im digitalen Raum inzwischen weit verbreitet", erklärte Ahmad in seiner Dankesrede. "Unsere Rolle ist es, die Menschen über ihre digitalen Rechte aufzuklären. Die Technologien entwickeln sich, und wir müssen weiterhin allen das Wissen und die Sprache vermitteln, damit sie an dieser Debatte teilnehmen können."
Die nächste Etappe für "Bytes for All" ist der 13. Mai: Gerichtstermin im Prozess gegen die Regierung. Die Organisation hat gegen die seit mehr als 18 Monaten andauernde Blockade von YouTube geklagt. Nachdem im September 2012 ein über das Videoportal verbreiteter anti-islamischer Film wütende Proteste von Gläubigen ausgelöst hatte, ist derZugang für Nutzer in Pakistan komplett gesperrt.
Shahzad Ahmad gibt sich zuversichtlich. Zwar ist die derzeitige Ministerin für Informationstechnologie keiner der drei Vorladungen des Gerichts gefolgt. Doch nach der letzten Verhandlung forderte der Richter die zentrale Behörde für Telekommunikation dazu auf, eine Lösung zu erarbeiten. Auch die Menschenrechtskommission im pakistanischen Senat hat auf die Unsinnigkeit einer vollständigen Blockade von YouTube hingewiesen.
Strategien gegen Zensoren
Viele Nutzer umgehen die Sperre mithilfe von Antifiltersoftware. Videos werden über alternative Plattformen verbreitet. Hinzu kommt, dass Google, zu deren Angeboten YouTube zählt, bereits im Februar von einem Gericht in Kalifornien dazu verurteilt wurde, den umstrittenen Film von dem Portal zu entfernen, weil eine der Darstellerinnen gegen die Verbreitung geklagt hatte. In Pakistan bleibt die Seite dennoch gesperrt.
"Damit wird unsere Ansicht bestätigt, dass die Blockade andere politische Motive hat und Teil der Strategie der Regierung ist, Informationen zu kontrollieren und die freie Meinungsäußerung einzuschränken. Der Film war nur ein Vorwand für die Blockade", erklärt Shahzad Ahmad.Tatsächlich ist die YouTube-Sperre nur ein Baustein im rasch wachsenden Konstrukt der staatlichen Internetkontrolle. Im April letzten Jahres hatten "Bytes for All" gemeinsam mit der Forschungsgruppe "Citizen Lab" von der Universität Toronto die Verwendung von "Netsweeper" in Pakistan nachgewiesen. Die in Kanada produzierte Software kann Internetinhalte anhand bestimmter Kategorien gezielt filtern und blockieren. "Netsweeper" wird auch in mehreren Golfstaaten eingesetzt. Die pakistanische Regierung sperrt vor allem Inhalte, die sie als religionsfeindlich oder Gefahr für die nationale Sicherheit einstuft.
"Bytes for All" gehen zudem gegen eine Spionagesoftware vor, deren Installation an einem zentralen Knotenpunkt im pakistanischen Netz durch "Citizen Lab" aufgedeckt werden konnte. Das von der britischen "Gamma Group" angebotene Programm "FinFisher" infiltriert Computer, um Daten abzuschöpfen und E-Mails oder Skype-Gespräche aufzuzeichnen. Laut "Citizen Lab" ist Pakistan eines von weltweit 36 Ländern, in denen diese Technologie verwendet wird.
Europäische Technologien für autoritäre Regenten
Autoritäre Regime nutzen "FinFisher" zur Überwachung von Aktivisten und politischen Gegnern. Im Februar 2013 haben deshalb mehrere Menschenrechtsorganisationen, darunter "Privacy International" und "Reporter ohne Grenzen", bei der OECD eine Beschwerde gegen "Gamma Group" eingereicht. Ziel ist es, die Verwendung europäischer Technologien durch undemokratische Machthaber stärkeren Kontrollen zu unterwerfen.
Die pakistanischen Verfechter von Meinungsfreiheit kritisieren außerdem einen Gesetzentwurf, mit dem die Regierung jetzt die Gesetzgebung zur Computerkriminalität überarbeiten will. Der Entwurf verwendet teilweise vage Definitionen, die Spielraum für staatliche Eingriffe in den freien Zugang zu Informationen und die Privatsphäre von Nutzern lassen. Zudem sind kaum Kontrollen über die Datenüberwachung durch den Geheimdienst vorgesehen. Dass dies Anlass zur Sorge bietet, dürfte spätestens seit den Enthüllungen über die Abhörpraktiken US-amerikanischer und britischer Sicherheitsdienste klar sein.
Wie fragil die Informationsfreiheit in Pakistan ist, zeigen auch regelmäßige Angriffe auf kritische Journalisten. Diese geraten häufig in eine Schusslinie zwischen dem Geheimdienst und militanten Extremisten. Erst vor kurzem wurde der bekannte Fernsehjournalist Hamid Mir durch ein Attentat lebensgefährlich verletzt. Er hatte sich zuletzt verstärkt mit dem Tabuthema Balutchistan befasst. Journalisten haben kaum Zugang zu der Provinz, in der Separatisten und Armee in einen komplexen Konflikt verstrickt sind. Auch im Internet werden Nachrichten dazu streng gefiltert.
Bande zwischen Sicherheitsapparat und Islamisten
Die undurchsichtigen Bande zwischen Sicherheitsapparat und religiösen Extremisten sind es auch, die den Kampf gegen Internetzensur so vielschichtig machen. "Bytes for All" und ihre Mitstreiter setzen sich nicht nur mit der Regierung auseinander. Sie kämpfen ebenfalls gegen islamistische Gruppierungen an, die Netzaktivisten als westliche Agenten bedrohen und schnell zu Protesten gegen "Blasphemie" im Internet aufrufen. Umgekehrt nutzen diese Gruppen selbst digitale Medien, um ihre radikalen Ansichten zu propagieren.
Digitale Sicherheitstrainings und Kampagnen für Fairness im Netz zählen daher zu den wichtigsten Aktivitäten von "Bytes for All". Die Verteidigung der Meinungsfreiheit im Internet ist essentiell für ein tolerantes und moderates Pakistan, davon ist Shahzad Ahmad überzeugt: "Die traurige Wahrheit ist, dass die Tage eines freien und offenen Internets in Pakistan gezählt sind. Wir müssen uns so gut wie möglich wehren, um unsere verfassungsmäßigen Rechte zu verteidigen."
Marcus Michaelsen
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de