"Rassistische" Architektur auf dem Prüfstand
Noch heute gibt es in der Stadtplanung und Architektur der USA zahllose Beispiele dafür, wie People of Color von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden. Das hat eine lange Tradition: Ganze Städte wurden nach Ende des US-amerikanischen Bürgerkriegs im Rahmen der Jim-Crow-Gesetzgebung bewusst nach Rassentrennung aufgeteilt - jahrzehntelang. In der Zeit davor spiegelten die "Sklavenviertel" Jahrhunderte des Missbrauchs und der Unterdrückung in der Neuen Welt wider.
Das Museum of Modern Art (MoMA) in New York zeigt nun, wie verschiedene architektonische Ansätze diesen Ungerechtigkeiten begegnen wollen. Die Ausstellung "Reconstructions: Architecture and Blackness in America" ("Rekonstruktionen: Architektur und Schwarzsein in Amerika") will laut den Organisatoren Ungerechtigkeiten und Ungleichgewichte in der Stadtplanung vorstellen, wie sie "in fast jedem Aspekt amerikanischen Designs vorhanden sind."
"Rassistische" Architektur
Wie die Rassentrennung bis in die Gegenwart US-amerikanische Städte prägt, ist eine zentrale Frage der Ausstellung. Sie ist Teil der vor mehr als einem Jahrzehnt gestarteten Reihe "Issues in Contemporary Architecture" ("Probleme der Gegenwartsarchitektur"). Der Gedanke, dass Architektur "rassistisch" sein könnte, mag zunächst seltsam klingen, aber auch Bauwerke und Stadtplanung können zu gesellschaftlicher Spaltung und Hass beitragen.
Ob im Südafrika der Apartheid-Ära oder im Umgang mit den Rohingya-Flüchtlingen im Bangladesch des 21. Jahrhunderts: Menschen haben Design, Konstruktion und Stadtplanung immer wieder dazu genutzt, um Vorurteile - buchstäblich - zu zementieren und unterdrückte Bevölkerungsgruppen an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Die USA bilden dabei keine Ausnahme.
Sekou Cooke, einer der zehn in der Ausstellung "Reconstructions" gezeigten Künstler, konstatiert dazu: "Von Sklavenquartieren und Farmsiedlungen im amerikanischen Süden über städtische Slums im Nordosten der USA nach der Einwanderung, bis hin zu öffentlichen Wohnungsbauprojekten in allen amerikanischen Städten, waren die vorherrschenden Räume schwarzer Besiedlung in diesem Land übrig gebliebene und charakterlose Umgebungen."
Hoffnung in hoffnungsloser Umgebung
In der Tat mögen die Stadtbezirke, die den Afroamerikanern direkt oder indirekt zugewiesen wurden, oft düster und hoffnungslos erscheinen. Cooke hebt jedoch unerwartete Möglichkeiten hervor, die sich aus solchen Widrigkeiten ergeben konnten. Mitglieder der schwarzen Gemeinschaft hätten dort aus der Unterdrückung heraus ihre eigenen kulturellen Orte geschaffen.
"Aus diesen entwerteten Räumen entstanden einige der wertvollsten kulturellen Beiträge Amerikas - der Blues, Jazz, die künstlerische Bewegung Harlem Renaissance und der Hip-Hop. Schwarze Identität wurde nicht durch die Unterdrückung und Banalität dieser Umgebungen definiert, sondern setzte sich durch, um neu zu definieren, wie der öffentliche Raum konzipiert und genutzt wird", erklärt der Künstler.
Kulturelles Erwachen
Neben der Präsentation dieses systemischen Rassismus zeigt die Ausstellung hauptsächlich neu in Auftrag gegebene Arbeiten von Architekten, Designern und Künstlern, die "Wege erforschen, um Geschichten sichtbar zu machen und Gerechtigkeit zu schaffen."
Die Arbeiten zeigen, wie People of Color und marginalisierte Gemeinschaften "kulturelle Räume und Praktiken als Orte der Imagination und Befreiung, des Widerstands und der Verweigerung" nutzen können und das auch getan haben.
Emanuel Admassu, ein ursprünglich aus Äthiopien stammender Künstler, der seit vielen Jahren in den USA eine Heimat gefunden hat, erklärt das genauer: "Wenn Architektur eine Disziplin ist, die den Raum erschließt, ihn messbar und ausbeutbar macht, dann stehen die räumlichen Praktiken in der Black-Radical-Tradition außerhalb dieser klassischen Architektur, als Verweigerungen der Messbarkeit."
Es seien "aggressive Neuinterpretationen" und radikale Konzepte notwendig, um die Plätze zu rekonstruieren, die schwarze Identität nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Gesellschaft einnehmen soll.
Ringen um Sichtbarkeit
Künstler wie Admassu und Cooke fordern "Blackness" letztlich nicht nur im kulturellen, sondern auch im physischen Raum. In der Einführung zur Ausstellung heißt es: "Wenn die US-Regierungen es nach der Sklaverei nicht geschafft haben, die historischen Ungerechtigkeiten gegenüber schwarzen Gemeinschaften - Gemeinschaften, die sie aktiv an den Rand zu drängen suchten - erfolgreich zu berücksichtigen und zu überwinden, dann versucht 'Reconstructions', die Architekturdiskurse in Amerika wieder auf die Geschichte von Schwarzsein zurück zu führen."
Jedes Projekt, das in "Reconstructions" gezeigt wird, schlägt eine Intervention vor, von "den Veranden von Miami und den Bayous von New Orleans bis zu den Autobahnen von Oakland und Syracuse."
Mario Gooden, ein weiterer in der MoMA-Ausstellung gezeigter Künstler, verdeutlicht in diesem Zusammenhang, dass "schwarzen Amerikanern im Laufe der Geschichte der Vereinigten Staaten der Zugang zu öffentlichem Raum systematisch verweigert wurde."
Verdrängungspraxis der Ersten Welt
Aber es ist nicht nur die Besetzung von architektonischem Raum - sei es einem Gebäude oder einer Straße -, die den räumlichen Aspekt von Unterdrückung verkörpert. Selbst im 21. Jahrhundert braucht man nicht weit zu schauen, um Beispiele für systemische Ungerechtigkeit zu entdecken, die sich in die US-amerikanische Stadtlandschaft eingeprägt hat.
Viele urbane Stadtzentren in den USA wurden im Laufe der Jahre von der weißen Mittelschicht verlassen, die lieber in ihre mit Zäunen und Gärten geschützten Häuser in den Vorstädten geflüchtet sind, während Obdachlose und arme Schwarze in die zentralen Innenstädte zogen. Einzelne US-Städte haben versucht, diese beiden Milieus voneinander zu trennen, als würden soziale Probleme und rassistische Ungerechtigkeiten gar nicht existieren.
Die texanische Megastadt Houston zum Beispiel hat ein klimatisiertes Tunnelsystem eingerichtet, damit Besucher und besser gestellte Einheimische nicht mit den armen Verhältnissen der oberirdischen Stadt konfrontiert werden: Alle 95 Blöcke von Downtown Houston sind mit einem unterirdischen, sechs Meilen langen Tunnelsystem verbunden. Die Eingänge zu diesen Tunneln werden von Sicherheitskräften bewacht, die - in vielen Fällen - auch aus Mitgliedern verschiedener Gemeinschaften der People of Color bestehen.
Versuche, zumindest einige Innenstädte zu sanieren und die Bevölkerung zu verjüngen, sind in vielen Fällen gescheitert. Die Gentrifizierung hat arme Menschen mit geringem oder nicht vorhandenem Einkommen weiter an den Rand gedrängt. Für den Künstler Sekou Cooke handelt es sich dabei um eine "gewaltsame Platzierung und Verdrängung" - ein Armutszeugnis für die USA.
Sertan Sanderson
© Deutsche Welle 2021
"Reconstructions: Architecture and Blackness in America" ist vom 27. Februar bis 31. Mai 2021 im Museum of Modern Art (MoMA) in New York zu sehen. Die Schau musste aufgrund der COVID-19-Bestimmungen verschoben werden. Der Zutritt zum MoMA ist derzeit nur per Vorverkaufsticket möglich.