Bier und Whisky made in Pakistan
Etwa 96 Prozent der Einwohner Pakistans sind Muslime, die meisten mit einer tiefen inneren Beziehung zu ihrer Religion. Kein prädestiniertes Terrain für eine Firma, die Bier braut und Schnäpse brennt, möchte man meinen. Aber die Geschichte der Murree-Brauerei, die heute in Rawalpindi nahe der Hauptstadt Islamabad ihren Sitz und ihre Anlagen hat, beginnt schon 1860, als die ganze Region als Britisch-Indien bekannt war und das Land namens Pakistan noch in ferner Zukunft lag.
Da die Truppen Ihrer Majestät auch damals schon durstig waren und es zu teuer gewesen wäre, Bier und Schnäpse aus dem Königreich nach Britisch-Indien zu transportieren, hatten die Soldaten in der damaligen Hillstation Murree, heute ein beschaulicher Naherholungsort bei Islamabad, einfach selbst eine Brauerei eröffnet. Aus dieser wurde beim Abzug der Briten und der Unabhängigkeit Pakistans 1948 dann ein unabhängiges Unternehmen.
Historische Brauerei in Flammen
Zu jenem Zeitpunkt hatte der Betrieb bereits in andere Städte des Landes expandiert, die Produkte kamen gut an. Im Chaos der Teilung des Subkontinents, bei der bis zu einer Million Menschen ums Leben kamen, wurde auch die historische Brauerei in Murree ein Opfer der Flammen, die Anlage in Rawalpindi ist heute der einzige Standort der Firma.
"Wir sind außerordentlich stolz auf unsere Geschichte und unsere Produkte", sagt der Geschäftsführer der Firma, Isphanyar M. Bhandara. Der 47-Jährige sitzt an einem Samstag während des islamischen Fastenmonats Ramadan im Büro der Brauerei in Rawalpindi.
Der Besuch an diesem Tag ist doppelt außergewöhnlich für Pakistan. Normalerweise ruht im heiligen Monat Ramadan tagsüber in den meisten Firmen der Betrieb oder es wird zumindest nur eingeschränkt gearbeitet. Dazu kommt, dass fast alle Betriebe in Pakistan nur eine fünftägige Arbeitswoche kennen. In der Murree-Brauerei wird dagegen auch im Fastenmonat gearbeitet, und das an sechs Tagen die Woche.
Beim Rundgang über das ausgedehnte Gelände der Anlage sieht man moderne Abfüllanlagen, moderne Sudkessel, Wasserfiltrationsanlagen aus Deutschland, Laboratorien zur ständigen Kontrolle der Getränke und Zutaten und den vielleicht bestgehüteten Keller des Landes, in dem der Whiskey gelagert wird. Etwa eine Million Liter werden ständig auf Vorrat gehalten, das älteste Fass datiert auf 2003.
Bhandaras Betrieb hat in der wechselhaften Geschichte des Landes gelernt, sich anzupassen. Als das Land 1948 gegründet wurde, war es noch eine säkulare Republik, erst 1956 bekam es den Zunamen "Islamische Republik", und 1977 wurde dann von Premierminister Zulfikar Bhutto als Geschenk an die islamischen Parteien ein Gesetz verabschiedet, welches die Identität der Brauerei für immer verändert hat.
Ein lukratives Geschäft
Mit stolz erklärt Bhandara: "Bis dahin konnten alle pakistanischen Bürger unsere alkoholischen Getränke legal kaufen und trinken, auch wenn es mit den Geboten des Islam nicht vereinbar war. Mit dem Gesetz aber wurde festgeschrieben, dass alle Muslime, auch Ausländer, in Pakistan keinen Alkohol mehr erwerben und konsumieren durften. Wir mussten uns anpassen und haben uns diversifiziert. Wir produzieren seitdem auch Limonaden, Wasser, nichtalkoholisches Bier und sogar Marmeladen. Wir hatten zunächst große Probleme, den Verlust an Umsatz wieder gut zu machen, aber heute verdienen wir mit diesen Produkten am meisten."
Bhandara gehört der parsischen Minderheit des Landes an. Nichtmuslime wie die Parsen, die Christen oder Hindus sind die einzigen, die legal in Pakistan Alkohol erwerben dürfen. Diese Minderheiten machen zusammen keine fünf Prozent der Bevölkerung aus. Umgerechnet bedeutet das weniger als neun Millionen potenzielle Kunden für die alkoholischen Produkte seiner Firma.
Die Armee mischt mit
Durch den privilegierten Status und die guten Kontakte seiner Familie hatte Bhandara auch von 2013 bis 2018 den für die Parsen reservierten Sitz im pakistanischen Parlament inne. Das Militär ist die einflussreichste Macht im Land – und das kommt der Brauerei zugute.
Die Armee hat keinerlei Interesse daran, dass sie an Umsatz und Kunden verliert oder sogar geschlossen werden könnte, wie es viele konservative Muslime verlangen: Das Militär hält bis heute große finanzielle Anteile an dem Unternehmen und verdient gut am Gewinn mit. Viele Jahre lang war die Brauerei sogar eines der am schnellsten wachsenden pakistanischen Unternehmen, sie beschäftigt heute über 200 Mitarbeiter allein am Sitz in Rawalpindi.
"Meine Mitarbeiter spiegeln in etwa die Gesellschaft in diesem Land wieder, die meisten von ihnen sind Muslime, wie meine Kunden auch", sagt Bhandara, während er sich im Büro mit seinem Assistenten und Berater, Sabih ul-Rehman, unterhält. Der ehemalige Major der pakistanischen Streitkräfte arbeitet seit vielen Jahren im Unternehmen und ist für die Besuche von Delegationen ausländischer Botschaften oder Unternehmenspartnern verantwortlich.
Ul-Rehmans Dienste sind gefragt – denn die Brauerei liegt in einem von der Armee mit Checkpoints gesicherten Hochsicherheitsbereich, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Grund für die exorbitanten Sicherheitsvorkehrungen ist allerdings weniger die Alkoholproduktion als die Tatsache, dass der Stabschef der pakistanischen Armee – nach dem Präsidenten und dem Premierminister wohl die mächtigste Person im Staat – genau gegenüber der Brauerei seinen Wohn- und Arbeitssitz hat. Die Nähe des Unternehmens zur Armee ist also auch im wörtlichen Sinn nicht zu übersehen.
Am Gesetz vorbei
Wie aber kommt man als In- oder Ausländer eigentlich an die alkoholischen Produkte der Brauerei heran? Seit dem Verbot von 1977 gibt es nur eine sehr überschaubare Anzahl an Hotels, Restaurants und Vertriebswegen, wo Alkohol ausgeschenkt und verkauft werden darf. Zählt man alle Lizenznehmer im ganzen Land zusammen, kommt man auf eine Zahl weit unter 50. Karatschi etwa, eine Stadt mit fast 20 Millionen Einwohnern, hat drei bis fünf Alkohol-Shops, drei Hotels und nur ein Restaurant, wo Alkohol ausgeschenkt wird.
Offiziell hat jeder Lizenznehmer in Pakistan zu prüfen, ob die Person zum Kauf und Konsum von Alkohol berechtigt ist. Dazu müssen die Kunden eine Erlaubnis des Innenministeriums einholen. Zumindest als Ausländer aber wird man im Selbstversuch weder in dem einzigen Restaurant in Karatschi mit Lizenz - einem chinesischen - noch in den Hotels oder einem Alkoholladen nach Papieren gefragt.
Der Laden, wo Hochprozentiges gehandelt wird, ist von außen nicht als solcher zu erkennen, lediglich die zahlreichen geparkten Kleinmotorräder vor der Tür fallen auf. Diese führt in einen kleinen Raum mit vergitterter Theke, wo reger Andrang herrscht – etwa fünfzehn Kunden strecken den Mitarbeitern Geld entgegen, während diese Schnapsflaschen in chinesische Zeitungen und dann in Plastiktüten wickeln.
Schnell und diskret ist die Ware verkauft, die meisten Kunden sind nach 30 Sekunden wieder aus dem Laden raus, nach Papieren wird niemand gefragt. Der Inhaber, ein Hindu, bestätigt auf Nachfrage: "Natürlich sind die meisten meiner Kunden Muslime, eigentlich alle. So ist das eben in Pakistan. Die Brauerei beliefert uns, und am Ende sind alle glücklich über den Absatz."
Mit der Tatsache, dass überall in Pakistan Alkohol illegal vertrieben wird, kann Isphanyar M. Bhandara bestens leben. "Alle unsere Abnehmer haben eine Lizenz und sind bei der Regierung für den Alkoholvertrieb akkreditiert", wiegelt er ab. "Wie die den Alkohol verkaufen und ob sie wirklich jeden Kunden nach Papieren fragen, ist deren Verantwortung und nicht unsere. Wir verkaufen ja nicht an Endkunden."
Philipp Breu
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