Der vertonte Schmerz eines Volkes

A man (Nigerien Musician Oumara Moctar/Bombino) dressed entirely in a white traditional Tuareg outfit and headdress against a white backdrop
Das Album "Sahel" des nigrischen Musikers Bombino ist kraftvoll und hochaktuell, ein Album, das "möglichst viele Menschen hören sollten", schreibt Richard Marcus. (Foto: Ron Whyman)

Das Album 'Sahel' des nigrischen Musikers Bombino ist ein kraftvolles und hochaktuelles Album, das möglichst viele Menschen hören sollten, schreibt unser Rezensent Richard Marcus.

Von Richard Marcus

Die Sahelzone durchzieht den afrikanischen Kontinent wie ein breites Band vom Atlantik im Westen bis zum Roten Meer im Osten. Sie beginnt im Senegal und Mauretanien im Westen, verläuft durch Mali, Burkina Faso, Niger, Nigeria, Tschad und Sudan und endet in Eritrea im Osten.  

Auf dem Gebiet von Mali, Niger und Burkina Faso leben auch die nomadischen Kel Tamascheq oder Tuareg. Dass der in Niger lebende Musiker Oumara Moctar, alias Bombino, seine jüngste Veröffentlichung "Sahel“ genannt hat, passt also durchaus. 

Oumara Moctar wird "Bombino“ genannt, weil er bereits in sehr frühen Jahren Musik machte. Inzwischen ist Bombino sein Künstlername. Wie viele Kel Tamasheq-Musiker verbrachte auch Bombino lange Zeit im Exil, nicht zuletzt deshalb, weil die nigrische Regierung ein Auftrittsverbot für Gitarrenmusiker verhängt hatte. Künstler wie Bombino erinnern ihr Volk in ihren Liedern daran, wer es ist und wie wichtig es ist, die eigene Kultur zu bewahren. 

In der Wüste können die Tamasheq ihre traditionelle Lebensweise pflegen. Wie bei allen indigenen Völkern ist die Kultur an die Umwelt gebunden. Von dieser Umwelt abgeschnitten zu sein, schadet der Identität und dem Gemeinschaftsgefühl. 

Der Abbau des für den Niger wichtigen Bodenschatzes Uran schränkt den Zugang der Tamasheq zu ihren traditionellen Wandergebieten ein. Wer sich für die Rechte der Tamasheq einsetzt, riskiert Gefängnisstrafen oder Exil. Um sich in Sicherheit zu bringen, verbrachte auch Bombino als junger Mann viele Jahre im benachbarten Burkina Faso. 

In the cover art for Bombino's album "Sahel", a section of graphic art appears to have been torn away to reveal the eyes of the artist, who is wearing a traditional Tuareg headdress, behind it
Aufrichtige, kraftvolle und klare Botschaften auf einem Album, das ein starkes Selbstverständnis vermittelt: Das Album "Sahel" von Bombino (Foto: Partisan Records)

"Wüstenblues" neu aufgelegt

Bombino ist ein Grenzgänger zwischen Tradition und Moderne. Musikalisch stützt er sich auf die gleichen Einflüsse wie Tinariwen und andere ältere Bands, lässt aber mehr Klänge aus der internationalen Popmusik einfließen. Deutlich wird dies an der prominenten Platzierung eines kompletten Schlagzeugs im Mix eines Songs. 

Zusammen mit den anderen Bandmitgliedern – Kawissan Mohamed (Gitarre und Gesang), Corey Wilhelm (Schlagzeug, Djembe, Kalebasse, Congas, Perkussion), Youba Dia (Bass), Mohamed Araki (Orgel), Adam Bentriq (Qarqaba) und Mhassa Walet Amoumenemm (Backgroundgesang) – verbindet er das Neue mit dem Alten in perfekter Harmonie. 

Charakteristisch für den "Wüstenblues“ der Tamasheq-Bands ist die fast tranceartige Qualität ihrer Lieder. Rhythmen, Stimmen und Gitarren verschmelzen und tragen den Zuhörer durch eine wogende Klanglandschaft, die an die Herkunft der Bands erinnert. 

Bombino und seine Band bewahren dieses Gefühl, verleihen ihm aber einen moderneren Sound, der sie nicht nur von anderen Bands unterscheidet, sondern die Musik auch einem jüngeren Publikum zugänglich macht, ohne an Qualität einzubüßen. Das Ergebnis ist eine kraftvolle, treibende Musik mit der gleichen, fast mystischen Wirkung, die man von anderen Bands aus dieser Region gewohnt ist. 

Musikalisch geht Bombino neue Wege beim "Wüstenblues". Textlich erinnert er die Tamasheq daran, wer sie sind und nach welchen Werten sie seit Jahrhunderten leben. Das ist heute wichtiger denn je, da viele vom Land vertrieben wurden und in die Städte ziehen mussten, wo sie sich von der Lebensweise früherer Generationen entfernt haben. Unzufriedene und entfremdete Menschen sind wie überall auf der Welt anfällig für einfache Antworten, wie sie Drogen und Kriminalität liefern. 

Der Eröffnungstitel des Albums, "Tazidert" (Geduld), ist eine gefühlvolle Erinnerung an die Tugend der Geduld: "Geduld ist richtig und Ungeduld ist falsch / Es ist besser, dein Herz zu öffnen, um deine Liebe dem zu offenbaren, den du liebst / Es tut der Seele nicht weh, wenn du deine Liebe dem erklärst, den du liebst / Geduld ist richtig und Ungeduld ist falsch“. 

Der Zusammenhang zwischen Liebesbezeugungen und Geduld mag zwar nicht offensichtlich sein, aber Bombino stellt klar, dass etwas Positives immer besser ist als die negativen Folgen von Ungeduld. Liebesbezeugungen bringen Glück in die Welt, während Ungeduld der Gemeinschaft schaden kann. 

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Behutsame Lebensweisheiten

In seinen Texten erteilt Bombino nicht nur behutsame Lebensweisheiten. Er drückt auch den kollektiven Schmerz aus, den sein Volk erleidet, wenn es ins Exil gezwungen und als Schuldiger dargestellt wird, obwohl es selbst verfolgt wird. 

In "Is Chilan“ (Zwei Tage) spricht er über den Schmerz des Exilierten und darüber, dass Menschen, die vor Ungerechtigkeit fliehen, manchmal in der gleichen Lage enden: "Erinnerungen an eine Zeit der Ungerechtigkeit, die Schuldgefühle in meiner Seele hinterließ / In der das sprachlose Opfer zum Täter wird / Da ihr keine Wahl hattet, meine Brüder, habt ihr hingenommen, unter diesen schmerzhaften Bedingungen zu leben / Ihr seid vor üblen Zuständen geflohen, nur um euch in der Ungerechtigkeit wiederzufinden.“ 

Um zu verstehen, wie wahr diese Worte sind, braucht man sich nur die Lage der meisten Flüchtlinge in der heutigen Welt vor Augen zu führen. Da Bombino selbst einige Zeit im Exil verbrachte, haben diese Worte aus seinem Mund einen besonderen Klang. Er singt sie zwar eher nüchtern, aber in Verbindung mit seiner mitreißenden Musik klingt die Botschaft des Liedes aufrichtig, kraftvoll und klar. 

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Einigkeit ist wichtig

2012 kam es in Mali zu einem Aufstand der Tamasheq unter Führung der "Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad“ (MNLA). Radikal-islamistische Gruppen, die eine zeitweilige Allianz mit der MNLA eingegangen waren, versuchten, Musik zu verbieten und Musiker zu verfolgen. Die Rebellion hinterließ tiefe Gräben in der Gemeinschaft der Tamasheq. 

Bombino weiß, dass die einzige Hoffnung für sein Volk in der Einigkeit liegt. So schreibt er in "Nik Sant Awanha“ (Meine Brüder, ich kenne unsere Lage): "Meine Brüder, ich kenne unsere Lage: die Gräben und das Exil, das uns verwirrt und uns daran hindert, uns zu organisieren / Wir sind weit davon entfernt, unsere Rechte und unsere Freiheit zu erlangen, alles, was ihr seht, ist eine Lüge / Die Wüste ist unser Land, unsere Kultur ist unsere Identität, nur in der Einigkeit können wir sie verteidigen“. 

Obwohl Bombino immer noch den Beinamen trägt, der ihm zu Beginn seiner musikalischen Laufbahn gegeben wurde, macht er nun schon seit über einem Jahrzehnt Musik und setzt sich für die Belange seines Volkes ein. Seine Musik ist nicht nur eine gelungene Verbindung von Altem und Neuem, seine Texte sind eine kraftvolle und aktuelle Erinnerung daran, dass sein Volk immer noch existiert und immer noch für seine Rechte kämpft. 

"Sahel" ist ein kraftvolles und hochaktuelles Album, das möglichst viele Menschen hören sollten. 

Richard Marcus 

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