Einheit in Verschiedenheit
Obwohl die Migranten aus den muslimischen Ländern schon seit Jahrzehnten nach Europa kommen, lebten Muslime dort lange Zeit fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit. Erst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 argumentieren viele Skeptiker, Islam und europäische Werte seien nicht miteinander vereinbar. Sie sehen im Islam eine nicht demokratiefähige Religion.
Gerade in diesem Zusammenhang könnte die bosnische Tradition des Islams für Europa interessant sein, sagt Armina Omerika, Islamwissenschaftlerin an der Uni Bochum und Teilnehmerin an der Deutschen Islamkonferenz.
Insbesondere in Bosnien-Herzegowina leben Muslime und Christen schon lange zusammen. Armina Omerika sagt, dass diese lange Erfahrung und Praxis der islamischen Religion in einem säkularisierten Umfeld und auch in einem säkularen Staat, vielen Muslimen fehlt, die aus arabischen Ländern nach Europa kommen.
Von dern Notwendigkeit eines "europäischen Islams"
Muslime als Mehrheitsvolk haben in Bosnien und Herzegowina zusammen mit katholischen und orthodoxen Christen, sowie mit sephardischen Juden eine über lange Zeit gut funktionierende Nachbarschaft gebildet und haben gemeinsam in einen Staat gelebt.
Das, zusammen mit der über 130 Jahre Erfahrung des Lebens in der christlich dominierten Österreichisch-Ungarischen K.u.K. Monarchie, habe den Islam in Bosnien wesentlich geprägt. Ausgerechnet die Österreicher waren auch diejenigen, die für eine weitere Besonderheit der bosnischen Tradition des Islam sorgten:
Sie gründeten die Islamische Gemeinschaft als eine Organisation der Muslime nach dem Vorbild der christlichen Kirchen und führten das Amt eines Reisu-l-ulema ein. Dieser Obermufti ist der oberste Vertreter der bosnischen Muslime. Und gerade diese Eigenschaften machen auch die Attraktivität der bosnischen Tradition des Islam für den Westen aus, sagt Omerika:
"Es ist diese Form von Institutionalisierung, die für viele Europäer etwas Bekanntes darstellt, weil sie damit Parallelen herstellen können zu den gängigsten Formen der religiösen Organisation in Form der kirchlichen Struktur."
Jahrhundertelange islamische Tradition
Die Frage sei aber, ob man so etwas wie einen "europäischen Islam" überhaupt braucht. Kerem Öktem, Dozent am Zentrum für Europa-Studien an der Universität Oxford, sagt, dass schon die Fragestellung falsch ist, da sie als Grundannahme von der Überzeugung ausgeht, "dass der Islam etwas Fremdes ist, etwas, was von außerhalb Europa kommt", und was deswegen "domestiziert, europäisiert, oder nationalisiert werden muss."
Das sei aber nicht der Fall, betont Öktem, denn Islam gibt es in Europa schon seit Jahrhunderten. Bosnien und Herzegowina ist ein Beispiel, aber da sind auch die Türkei, Albanien oder Bulgarien. Und sogar in Ländern Europas, in denen man das nicht erwarten würde, gibt es sehr lange Tradition des Zusammenlebens zwischen Islam und Christentum.
So etwa in Polen, erklärt Pater Adam Was, Dozent für Islamwissenschaft an der Katholischen Universität in Lublin: "Wir in Polen haben eine lange Erfahrung mit Muslimen, über 600 Jahre. Das sind die Tataren."
Es sei zwar zahlenmäßig eine kleine Gruppe, weniger als ein Prozent der Bevölkerung, aber ihre religiöse Identität haben sie trotzdem über die lange Zeit erhalten. Gleichzeitig haben auch in Polen die modernen Migrationsprozesse ihre Spuren hinterlassen, erklärt Was.
Und so ist eine neue muslimische Gemeinschaft in dem sehr katholisch geprägten Land gewachsen: Da sind die Studenten, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus den verschiedenen arabischen Ländern nach Polen gekommen sind. "Die meisten haben in Polen geheiratet, haben Familien gegründet, und so entstand eine zweite Gruppe", sagt Was weiter.
Auseinandersetzung mit religiöser Vielfalt
Ob Türken oder Algerier, ob Albaner, Bosniaken oder Pakistani und Iraner, es gibt in Europa viele muslimisch geprägte Gemeinschaften. Diese sprechen aber verschiedene Sprachen, haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe und auch ihre religiöse Traditionen sind sehr unterschiedlich. Kerem Öktem von der Universität Oxford betont, dass es daher weder möglich noch wünschenswert ist, für ganz Europa eine einheitliche Form des Islam zu etablieren. Denn "da gibt es Vielfalt, und mit dieser Vielfalt muss man sich auch auseinandersetzen".
Daher ist es nicht realistisch zu erwarten, dass eine der Traditionen des Islam, ob nun die bosnische oder eine andere, als Zukunftsmodell für alle Muslime in Europa übernommen wird.
Öktem jedenfalls ist davon überzeugt, dass es auch in Zukunft von Land zu Land unterschiedliche Modelle geben wird. Dieser Islam sollte dann aber doch einige gemeinsame spezifische Merkmale haben, glaubt Adam Was: Ein Islam europäischer Prägung sei in dem Sinne wünschenswert, wie sich etwa der Islam in Afrika vom Islam in Südasien unterscheide. Es gehe um die Kontextualisierung einer Religion, so Was. Die Formel laute daher: Einheit in Verschiedenheit.
"Der Islam im europäischen Kontext müsse die Demokratie, die Menschenrechte und die Religionsfreiheit achten", meint Pater Adam Wast.
Das bedeute aber auch, dass ein Prozess der Reinterpretation des Korans vonnöten ist, eine neue Exegese der heiligen Schrift.
Zoran Arbutina
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de