Erschließung neuer Wählergruppen?
"Eine kathedralenhafte Moschee in Marseille? Nein, die Antwort ist nein!" So heißt es in einem Flugblatt, das der rechtsextremistische Front National (FN) in den vergangenen Wochen in der südfranzösischen Stadt Marseille verteilt hat.
Angesichts des geplanten Baus einer "Großen Moschee" für die etwa 200.000 Muslime der Stadt warnt die Partei von Jean-Marie Le Pen vor dem zunehmenden Einfluss islamischer Organisationen. Mit dem Szenario einer "Überfremdung" des Landes geht der FN seit Jahrzehnten auf Stimmenfang.
Gerade in Marseille und Umgebung war er damit erfolgreich. Bei den Präsidentschaftswahlen im April 2002 erhielt Le Pen 23,34 Prozent der Stimmen. Auch trotz eines deutlichen Einbruchs bei den Wahlen im Mai gaben in Marseille immer noch über 13 Prozent der Wähler dem Algerien-Veteranen ihre Stimme.
Seit Beginn der 70er Jahre profiliert sich der Front National mit rassistischen Kampagnen. Oft genug waren Mitglieder der Partei verantwortlich für gewalttätige Übergriffe gegen Immigranten.
Acht Prozent der Migranten für Le Pen
Umso überraschender waren Berichte, in denen auf eine wachsende Unterstützung der Partei unter französischen Muslimen hingewiesen wurde.
Nach Schätzungen des französischen Innenministeriums, über die die Zeitung Le Canard Enchaîné im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen berichtete, waren etwa acht Prozent der aus dem Maghreb eingewanderten Franzosen bereit, den Kandidaten der extremen Rechten zu wählen.
In anderen Berichten war vom Zorn in den Vorstadtsiedlungen auf die alteingesessenen Parteien die Rede, der auch immer mehr Immigranten in die Arme Le Pens treibe.
Für Farid Smahi sind solche Berichte keine Überraschung. Smahi, dessen algerischer Vater im Zweiten Weltkrieg in der französischen Armee kämpfte, ist Mitglied des Politbüros des FN.
Seit Jahren wirbt er unter Muslimen und Immigranten für die Partei, die mit ihren nationalistischen Polemiken und Law-and-Order-Parolen bekannt geworden ist. Es seien vor allem Angehörige der muslimischen und maghrebinischen Mittelschicht, aber zunehmend auch Studenten, die sich für die Politik Le Pens interessierten, erklärt Smahi.
Helfen statt "Kärchern"
Ihnen sei bewusst, dass die etablierten Parteien trotz aller schönen Reden nichts dafür getan hätten, die Situation der Immigranten zu verbessern. Selbst gut ausgebildete Jugendliche aus Einwandererfamilien "schaffen es schließlich häufig nur zu einem Job am Tresen von McDonalds. Man hat die Jugendlichen in die Banlieues abgeschoben", urteilt Smahi.
Statt gleicher Chancen habe man "diesen Jugendlichen Stöcke zwischen die Beine geworfen - oder ihnen einen Besen in die Hand gedrückt."
Bereits im April hatte Le Pen bei einem überraschenden Wahlkampfauftritt in Argenteuil mit ähnlichen Aussagen um Sympathien geworben. In dem Pariser Vorort, der als sozialer Brennpunkt gilt, erklärte Le Pen seinen Zuhörern:
"Während bestimmte Leute wollen, dass man sie 'kärchert', um sie auszugrenzen, möchten wir ihnen helfen, um aus diesen Vorstadtghettos herauszukommen, in denen die französischen Politiker sie geparkt haben."
Gegen doppelte Staatsbürgerschaft
Smahi ist optimistisch, dass sich Einwanderer mit französischer Staatsangehörigkeit von solchen Versprechen angesprochen fühlen. Dem Leitmotiv der "préférence nationale", dem Vorrang der Franzosen, könnten sich schließlich auch viele Immigranten anschließen.
"Diejenigen, die uns nicht in die Suppe spucken und sich der Nation zugehörig fühlen, sind Franzosen", betont Smahi und fügt hinzu: "Die Jugendlichen haben die Nase voll, dass man sich um die 'Sans Papiers' kümmert, während sich die Situation in den Banlieues immer weiter verschlechtert."
Das parteinahe Forum "Arabisme et Francité", als dessen Präsident Smahi tätig ist, wendet sich daher entschieden gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. "Genauso wie man nur eine Mutter haben kann, hat man auch nur ein Vaterland", sagt Smahi.
Um Loyalitätskonflikte zu vermeiden, müssten sich Einwanderer entscheiden. Nicht Herkunft oder Religion, sondern das Bekenntnis zur laizistischen französischen Nation stehe dabei im Vordergrund.
Unterstützung für Saddam Hussein
Für Smahi gibt es daher keinen Widerspruch zwischen der Kampagne gegen das Moschee-Projekt in Marseille und dem Werben um muslimische Wähler. Als muslimischer Patriot halte er nichts davon, "wenn an jeder Bushaltestelle eine Moschee steht. Man sollte sich eher um Bildung und um die Gesundheitsversorgung kümmern".
Le Pen selbst brachte dieses Bemühen im Vorfeld der Wahlen durch Auftritte in arabischsprachigen Medien zur Geltung. In einem Interview mit dem arabischen Sender al-Arabiyya betonte er seine Ablehnung des Irak-Krieges und seine Kritik an der Iran-Politik Frankreichs.
Bereits in der Vergangenheit hatte sich Le Pen öffentlich für eine Unterstützung Saddam Husseins ausgesprochen. Der parteinahe Verein "SOS Enfants d'Irak", der Mitte der 90er Jahre von Jeanne-Marie Paschos, der Ehefrau Le Pens, gegründet wurde, gab dieser Unterstützung öffentlichkeitswirksam Ausdruck.
Mit einer solchen Positionierung in den verschiedenen Konflikten im Nahen Osten verbindet sich die Hoffung auf Zustimmung unter den muslimischen Wählern.
Weg vom Image der Ewig-Gestrigen
Zusammen mit dem Angebot, zumindest diejenigen Immigranten, welche ihre kulturellen und religiösen Eigenheiten zurückstellen, als französische Staatsbürger mit gleichen Rechten und Pflichten zu behandeln, verspricht sich die Partei eine Erschließung neuer Wählergruppen.
Dies ist zumindest die Hoffnung der "Modernisierer" innerhalb des FN, welche die Partei vom Image der Ewig-Gestrigen zu befreien suchen.
Trotz der vereinzelten Zustimmung, die Le Pen vor allem unter lang ansässigen Immigranten entgegen gebracht wurde, scheint die Strategie aber letztlich gescheitert.
Öffnung für Muslime in der Partei umstritten
Zu diesem Ergebnis kommt der Politologe Jean-Yves Camus vom Pariser Institut de Relations Internationales et Stratégiques (IRIS), der die rechtsextremistischen und islamistischen Organisationen in Frankreich seit Jahren verfolgt.
Im FN selbst sei die ideologische Öffnung der Partei für Muslime heftig umstritten. Auch gebe es kaum Hinweise dafür, dass die demonstrative Zuwendung unter muslimischen Wählern verfangen habe.
So hätten die muslimischen Kandidaten, die von der Partei bei den jüngsten Parlamentswahlen in Bezirken mit vielen muslimischen Wählern aufgestellt worden seien, deutlich weniger als zwei Prozent der Stimmen erhalten. Ähnlich niedrig schätzt Camus den Anteil der Stimmen der muslimischen Wähler bei den Präsidentschaftswahlen.
Ein Grund zur Entwarnung ist dies allerdings nicht. In der Öffentlichkeit könnte das Buhlen der Rechten um muslimische Wähler dazu beitragen, das Zerrbild einer Radikalisierung der französischen Muslime weiter zu verfestigen.
Keine "grün-braune Allianz"
Camus warnt davor, die Kampagne des FN könne den Eindruck bestärken, es gebe in Frankreich "eine rechtsradikale Form des Islamismus, die Le Pen unterstütze, weil er ein Antisemit sei und eine Vergangenheit als Holocaustleugner" habe.
"Manche Beobachter konnten damit ihre Behauptung untermauern, ein relevanter Teil der muslimischen Community werde zunehmend intolerant und antisemitisch und versuche sich mit anderen Extremisten zu verbünden. Kurz: Wenn es so etwas wie eine 'muslimische Stimme' für Le Pen gäbe, dann wäre dies ein Beleg für die Existenz eines 'Islam-Faschismus' und einer 'grün-braunen Allianz'. Dem ist aber nicht so."
Der Misserfolg der rechtsextremistischen Kandidaten in den Banlieues macht dies deutlich.
Smahi hingegen schätzt die Zukunft ganz anders ein. Er geht davon aus, dass die Mehrheit der französischen Patrioten künftig aus Einwandererfamilien stammen wird. Die Wahlergebnisse sprechen gegen ihn. Mehrheitsfähig ist dieser Patriotismus unter französischen Muslimen noch lange nicht.
Götz Nordbruch
© Qantara.de 2007
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