Gegen Folter und sexistische Gewalt
Ein an sich harmloser Streit wurde dem 19-jährigen Ahmed Mahmoud Tammam aus Kairo zum Verhängnis; der aufgebrachte Nachbar wollte sich rächen und bat einen befreundeten Polizisten, den jungen Mann verhaften zu lassen. Vor den Augen seiner Schwester und seiner Eltern wurde der unbescholtene junge Mann von Polizisten mit brutaler Gewalt aus der Wohnung geschleift und auf eine nahe gelegene Polizeiwache gebracht.
Zwei Tage später war Ahmed Tammam tot. Im Polizeibericht stand "Selbsttötung während des Transports". Die Autopsie hingegen ergab schwere Hirnblutungen und Brandverletzungen durch Elektroschocks im Genitalbereich. Ahmed Mahmoud Tammam war durch Folter gestorben.
Die verantwortlichen Beamten versuchten mit Drohungen, die Familie von einer Anzeige abzuhalten. Doch der Vater ließ trotz der massiven Einschüchterungsversuche nicht locker. Er erstattete Anzeige und wandte sich schließlich an das Nadim-Zentrum für Folteropfer.
"Das war einer der Fälle, die mir besonders nahe gegangen sind", erzählt Magda Adly, die hauptberuflich als Narkoseärztin in einem staatlichen Krankenhaus arbeitet und sich bei "Nadim" ehrenamtlich gegen Folter und sexistische Gewalt engagiert.
"Wir haben der Familie geholfen, den Fall vor Gericht zu bringen. Immerhin, es gab einen Schuldspruch und ein Urteil." Der hauptverantwortliche Polizeibeamte kam jedoch mit einem Jahr Gefängnis davon. "Faktisch waren es neun Monate, und anschließend wurde er zum Abteilungsleiter befördert", ergänzt Suzanne Fayad, Leiterin der Klinik des Nadim-Zentrums.
Folter für viele eine Bagatelle
Rund 150 Folteropfer oder deren Angehörige erhielten im vergangenen Jahr beim Nadim-Zentrum Unterstützung. Die kleine Organisation, die mitten im lärmigen Zentrum von Kairo ein Beratungszentrum und eine eigene Klinik für psychologische und medizinische Behandlung unterhält, registrierte außerdem von Juni 2004 bis Juni 2005 insgesamt vierzig Todesfälle aufgrund von Folter.
Ob die Folter in Ägypten zugenommen hat, vermögen die MitarbeiterInnen von "Nadim" nicht zu sagen. "Was wir wissen ist, dass die Opfer und die Angehörigen heute eher bereit sind, Misshandlungen durch die Polizei anzuzeigen", erklärt Magda Adly.
"Das Tabu ist ein Stück weit gebrochen, und das ist nicht zuletzt ein Ergebnis unserer Arbeit. Aber es gibt in Ägypten immer noch zu viele Menschen, die Folter für eine Bagatelle halten, und die den Opfern unterstellen, irgendetwas müssten sie doch auf dem Kerbholz haben, sonst wären sie nicht so behandelt worden."
Liest man die Berichte ägyptischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen, wird deutlich: Folter ist in Ägyptens Polizeistationen an der Tagesordnung. Für Magda Adly ist sie Teil des diktatorischen Herrschaftssystems, das auf die Angst der Bürger vor der Staatsmacht baut:
"Wir haben es hier nicht mit Einzelfällen zu tun, oder mit Überschreitungen von besonders aggressiven Beamten", erklärt die Fünfzigjährige. "Von Assuan im Süden bis Alexandria im Norden – überall herrschen die gleichen Methoden und die gleiche Willkür."
Immer mehr Frauen werden Opfer
Frauen sind unter den Opfern noch in der Minderheit, aber ihre Zahl nimmt zu und sie werden besonders häufig mit sexualisierter Gewalt bedroht. "Folter hat immer eine sexuelle Komponente, auch Männer sind davon betroffen", erklärt Aida Saif Al Dawla, Professorin für Psychologie und Mitbegründerin von NADIM. "Aber Frauen werden oft gezielt aufgrund ihres Geschlechts erniedrigt."
Das Nadim-Zentrum arbeitet nicht nur direkt mit Folteropfern, sondern auch mit den Angehörigen politischer Gefangener. "In Ägypten sitzen tausende unter dem Verdacht des islamistischen Terrorismus in Haft", so Aida Saif Al Dawla, "manche wurden Anfang der neunziger Jahre als blutjunge Männer festgenommen, und haben immer noch keine Anklage gesehen."
Parallel zur Rehabilitation von Folteropfern hat NADIM in den vergangenen Jahre ein weiteres Arbeitsfeld entwickelt: die Hilfe für geschlagene oder sexuell missbrauchte Frauen und Mädchen. "Obwohl wir uns primär an Folteropfer gewandt haben, kamen von Anfang an viele weibliche Opfer sexistischer Gewalt zu uns", erzählt Aida Saif Ad-Dawla.
Eine Feldstudie, die NADIM daraufhin unternahm, wies nach, dass fast jede zweite verheiratete Frau in Ägypten mindestens einmal häusliche Gewalt erlitten hatte. Mittlerweile ist NADIM dabei, in verschiedenen Provinzen und Städten Ägyptens Beraterinnen zu häuslicher Gewalt zu schulen und hilft regionalen Fraueninitiativen, eigene Beratungszentren mit aufzubauen.
Außerdem hat das Nadim-Zentrum eine nationale Kampagne mit lanciert, um häusliche Gewalt in Ägypten unter Strafe zu stellen. "In Ägypten gibt es zwar den Tatbestand der Körperverletzung oder der Beleidigung", erklärt Magda Adly. "Aber wenn ein Mann seine Frau schlägt, kommen religiöse Gesetze zum Tragen. Und nach dem in Ägypten gültigen islamischen Gesetz darf ein Mann seine Frau notfalls auch durch Schläge 'disziplinieren'."
Vernetzung als Gegendruck
NADIM und ein Bündnis aus Frauen- und Menschenrechtsorganisationen fordert jetzt einen Gesetzentwurf, der auch die Gewalt gegen Ehefrauen unter Strafe stellen soll und der mehr Schutz für bedrohte Ehefrauen und ihre Kinder vorsieht.
Den ägyptischen Behörden ist das Nadim-Team wegen seines Einsatzes für politische Gefangene, seines Eintretens für demokratische Reformen und wegen seiner Lobby-Arbeit gegen patriarchale Gesetze ein Dorn im Auge.
Im Sommer 2004 konfiszierten mutmaßliche Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde bei einem überraschenden "Inspektionsbesuch" Patientenakten und drohten mit Schließung, weil das Zentrum angeblich nicht nur "medizinische" Ziele verfolgte.
NADIM versucht solchen Repressalien durch intensive regionale und internationale Vernetzung zu begegnen. In Ägypten selbst arbeitet NADIM eng mit dem Hisham-Mubarak-Zentrum für Menschenrechte zusammen und ist dabei, ein Anti-Folter-Komitee mit aufzubauen.
Die Organisation ist außerdem Teil des arabisch-nordafrikanischen Anti-Folter-Netzwerks "AMAN", hat beobachtenden Status bei den Vereinten Nationen und kooperiert eng mit internationalen Menschenrechtsorganisationen.
Martina Sabra
© Qantara.de 2005
Qantara.de
Internationale Konventionen
Klares Folterverbot
Wortreich versucht die US-Regierung die Folterungen im Irak zu verharmlosen. Dabei ist klar: Kein Staat darf einen Kriegsgefangenen oder eine Zivilperson physisch oder psychisch verletzen.