Keine Ausnahmen beim Folterverbot

In der öffentlichen Debatte über das Folterverbot wünscht sich der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Dr. Heiner Bielefeldt, eine breite gesellschaftliche Debatte über die Fortentwicklung der Rechtsstaatlichkeit in Zeiten verstärkter Terrorbedrohung.

Heiner Bielefeldt; Foto: &copy Deutsches Institut für Menschenrechte
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben bisher Flagge gezeigt und das absolute Folterverbot verteidigt, so Bielefeldt.

​​Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm hat sich in der Presse für die Verwendung von Informationen ausgesprochen, die möglicherweise unter Folter erlangt wurden. Wäre diese Einstellung eines hohen deutschen Staatsvertreters vor dem 11. September denkbar? Werden in Deutschland zusehends Menschenrechte den Sicherheitsinteressen geopfert?

Heiner Bielefeldt: In Deutschland findet seit einigen Jahren eine Grundsatzdebatte zum Thema Folter statt, die in dieser Weise vor den Terroranschlägen des 11. September 2001 wohl nicht denkbar gewesen wäre. Denn leider muss man feststellen, dass menschenrechtliche Grundprinzipien in manchen der Debattenbeiträge "ins Rutschen kommen" oder preisgegeben werden. Die zeigt sich zum Beispiel in gelegentlich vorgetragenen Vorschlägen, Ausnahmen vom Folterverbot zuzulassen, oder auch in Vorstößen, die darauf abzielen, Terrorismusverdächtige leichter abzuschieben – und zwar selbst in Länder, in denen ihnen Folter droht.

Seit etwa einem Jahr diskutiert man die Deutschland auch über die Nutzung von möglicherweise unter Folter preisgegebenen Informationen zu Zwecken der Gefahrenabwehr. Aus menschenrechtlicher Sicht ist dagegen klarzustellen, dass das Folterverbot ein absolutes Verbot ist: Es lässt keinerlei Ausnahmen zu, auch nicht im Notstandsfall. Eine Politik, die bei möglicherweise durch Folter zustande gekommenen Informationen, die Augen zudrückt, würde die Glaubwürdigkeit in der Bekämpfung der Folter unterminieren. Dies wäre menschenrechtlich nicht akzeptabel.

Wie bewerten Sie die Reaktion der Politiker und Bürger darauf? Existiert in Deutschland ein Bewusstsein für das Ausmaß der Gefährdung der Menschenrechte im eigenen Land?

Bielefeldt: Die öffentliche Diskussion über das Folterverbot haben zahlreiche Menschen mit Interesse verfolgt, und viele haben sich aktiv an ihr beteiligt. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und das Forum Menschenrechte (das ist die gemeinsame Plattform der in Deutschland aktiven nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisationen) haben klar Flagge gezeigt und das absolute Folterverbot verteidigt.

Darüber hinaus würde ich mir aber eine breite gesellschaftliche Debatte über die Bewahrung und Fortentwicklung der Rechtsstaatlichkeit in Zeiten verstärkter Terrorbedrohung wünschen. Viele Menschen, so mein Eindruck, haben sich zum Beispiel mit der Erosion des Datenschutzes längst achselzuckend abgefunden.

In einigen Bundesländern wurden Gesetze verabschiedet, die muslimischen Lehrerinnen das Tragen des Kopftuches an öffentlichen Schulen verbietet. Sie haben sich kritisch zu diesen Verboten geäußert. Warum?

Bielefeldt: Die Frage, ob eine Lehrerin im öffentlichen Schuldienst aus religiösen Gründen das Kopftuch tragen darf, ist kompliziert. Denn dabei stehen unterschiedliche menschenrechtliche Gesichtspunkte zur Debatte: die Religionsfreiheit der Lehrerin, aber auch die Religionsfreiheit von Schülerinnen und Schülern, das elterliche Erziehungsrecht und schließlich die Gleichberechtigung der Geschlechter. Ich habe mich dafür ausgesprochen, angemessene Einzelfalllösungen zu finden und von generellen Verboten Abstand zu nehmen.

Besonders problematisch finde ich solche landesgesetzlichen Regelungen, die das Kopftuch im öffentlichen Schuldienst verbieten, die Darstellung christlicher Symbole hingegen ausdrücklich gestatten. Dies ist eine klare Diskriminierung. Das Argument, es handele sich bei christlichen Symbolen wie dem Kreuz oder der Ordenstracht um allgemeine – also gleichsam religionsübergreifende – Kultur- und Bildungswerte, überzeugt mich nicht. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat spöttisch dazu vermerkt, dass nach dieser Logik Ordensgemeinschaften zu bloß folkloristischen Trachtenvereinen herabgestuft werden.

Nach Ihrer Meinung widerspricht der Begriff der "Leitkultur" dem Recht auf Religionsfreiheit. Wieweit darf die Mehrheitsgesellschaft gehen den Minderheiten ihre Vorstellung von Demokratie, Religion und Geschlechterverhältnis vorzuschreiben? Wo liegen die Grenzen für die Minderheiten auf eigene religiöse Identität?

Bielefeldt: Man sollte nicht allzu viel Pathos in die leidige Debatte um die "Leitkultur" investieren. Der umstrittene Begriff wird im Einzelnen sehr unterschiedlich verwendet. Neben engherzigen Vorstellungen einer "deutschen Leitkultur" finden sich einladender klingende Konzepte einer "gemeinsamen Leitkultur"; gelegentlich wird auch von der "christlichen Leitkultur" oder einer "europäischen Leitkultur" gesprochen. Mir gefällt der Begriff so oder so nicht. Zum einen ist er nicht präzise. Zum anderen erhält er im Sprachgebrauch häufig eine polemische Stoßrichtung gegen kulturellen Pluralismus.

Dass man ein gemeinsames normatives Fundament in der pluralistischen Gesellschaft benötigt, ist natürlich völlig richtig. Das Grundgesetz – und in ihm insbesondere die Menschenrechte – bilden dieses Fundament. Eine darüber hinausgehende Leitkultur brauchen wir nicht.

Interview: Mona Naggar

© Qantara.de 2006

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