"Allen eine Stimme geben"
Herr Bahouth, im Imagefilm der Neuen deutschen Medienmacher heißt es: "Deutschland ist bunt geworden, nur die Medien nicht". Ihr Verein setzt sich für eine stärkere Präsenz von Migranten in den Medien ein. Warum ist das so wichtig?
Chadi Bahouth: Unsere Gesellschaft ist vielfältig geworden, ein Einwanderungsland. Deswegen ist es notwendig, dass wirklich alle unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, natürlich auch Menschen mit Migrationsgeschichte oder Behinderung, eine Stimme in den Medien und damit auch in der Gesellschaft haben – und zwar sowohl vor als auch hinter den Kulissen: um ihre Version der Geschichte erzählen zu können oder Stereotype aufzudecken. Unsere demokratische Gesellschaft lebt im Wesentlichen davon, was in den Medien berichtet wird. Und gerade Migranten haben oft das Gefühl, dass sie dort klischeehaft oder negativ dargestellt werden.
Die Neuen deutschen Medienmacher gründeten sich 2009 als Interessenvertretung für Medienschaffende mit Migrationshintergrund. Wer steht dahinter?
Bahouth: Vor einigen Jahren haben einige Kolleginnen und Kollegen festgestellt: "Ich habe einen schwierigen Stand in meiner Redaktion bei bestimmten Themen." Aus diesem Bedürfnis heraus – etwas zu verändern, die eigene Position zu stärken – ist die Idee entstanden, einen Verein zu gründen. Der Name Neue deutsche Medienmacher ist ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass wir uns als Teil dieser Gesellschaft begreifen. Wir sind Deutsche – mit ein bisschen "Extra", etwa die Bilingualität und das Verständnis für andere Kulturen. Wir arbeiten auf Deutsch, viele von uns sprechen besser Deutsch als ihre ursprüngliche Heimatsprache. Das ist eine wesentlich andere Qualität als in den ethnisch geprägten Vereinen unserer Elterngeneration.
Ihr Verein will Ansprechpartner für interkulturellen Journalismus sein. Wie fördern Sie Journalisten mit Migrationshintergrund?
Bahouth: Mit dem Bildungswerk Kreuzberg in Berlin haben wir im Jahr 2009 eine crossmediale, bikulturelle journalistische Ausbildung für Menschen mit Migrationsgeschichte gestartet. Ich selbst war im ersten Jahrgang dabei. Es ist ein intensives Studium, in dem man alle journalistischen Grundkenntnisse erwirbt und sehr praxisnah arbeitet. Außerdem macht der Verein klassische Lobbyarbeit und setzt sich dafür ein, dass mehr Positionen in den Medien mit Menschen mit Migrationshintergrund besetzt werden.
Aus gutem Grund: Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat eine Migrationsbiografie, doch nur jeder fünfzigste Journalist hat nichtdeutsche Wurzeln. Wie werden Journalisten mit Migrationshintergrund Ihrer Erfahrung nach in Redaktionen aufgenommen?
Bahouth: Ich glaube, dass in Großstädten die Herkunft meist keine Rolle spielt. In kleinen, lokalen Redaktionen sieht die Situation allerdings ganz anders aus. Vor einigen Jahren noch hatten 87 Prozent aller lokalen Printredaktionen keinen einzigen Mitarbeiter mit Migrationsgeschichte. Es kann dort auch heute noch für jemanden mit Migrationshintergrund viel schwieriger sein, eigene Meinungen und Perspektiven durchzusetzen, die in einer größeren Zeitung in Berlin, Hamburg oder München als selbstverständlich akzeptiert werden.
"Wir sind nicht die besseren Journalisten, aber auch nicht die schlechteren", heißt es auf Ihrer Website. Welchen "Mehrwert", welche Stärken haben Journalisten mit Migrationshintergrund?
Bahouth: Die Bilingualität ist sicherlich ein großer Vorteil, nicht nur sprachlich: Wer mit ausländischem Hintergrund in Deutschland aufgewachsen ist, wurde fast zwangsläufig für verschiedene Kulturen sensibilisiert. Das Verständnis für die Situation bestimmter Menschen, der Zugang zu bestimmten Communities ist einfacher. Ich denke, ein Mitarbeiter mit Migrationshintergrund bringt auch eine andere Perspektive auf ein Thema in die Redaktion ein.
Der Verein engagiert sich mit zahlreichen Veranstaltungen, Projekten und Initiativen für eine ausgewogene Berichterstattung und wendet sich gegen Diskriminierung und Hass im Netz. Eine Aufgabe, die – aufgrund der rasant zunehmenden Entwicklung – wie ein Kampf gegen Windmühlen erscheint.
Bahouth: Hass ist eine andere Form von Angst. Unsere Gesellschaft befindet sich in einem Umformungsprozess, das macht vielen Menschen Angst, und sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Dann kommt eine populistische Partei wie die Alternative für Deutschland und erklärt: "Die Flüchtlinge sind schuld." Dadurch verschärfen sich auch Zorn und Hetze in den sozialen Netzwerken. Deswegen beteiligt sich unser Verein aktiv an der "No Hate Speech"-Kampagne des Europarates. Wir wollen auch mit Humor insbesondere junge Leute und Medienschaffende für den Umgang mit Diskriminierungen in Online-Medien und sozialen Netzwerken sensibilisieren und ihnen zeigen, wie man sich wehren kann. Wir wollen ein Zeichen setzen gegen den Hass.
Das Gespräch führte Monika Stefanek.
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