Strategie der Destabilisierung
Auslöser für den aktuellen Streit war ein angebliches Statement des qatarischen Emirs Tamim bin Hamad Al Thani auf der Webseite der staatlichen qatarischen Nachrichtenagentur am 24. Mai. Darin wurde der saudische Erzfeind Iran als eine große Macht für die Stabilisierung der Region bezeichnet, die Beziehungen Qatars zu Israel als gut und die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Hamas als die legitime Repräsentanz des palästinensischen Volkes beschrieben.
Qatar stellte klar, dass dieses Statement nicht echt sei und die Nachrichtenagentur Opfer eines Hackerangriffs geworden sei. Inzwischen war jedoch bereits eine mit scharfer Rhetorik geführte Medienkampagne saudischer und emiratischer Medien gegen Qatar angelaufen, in denen das Land für diese Positionen, die klar denen Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) widersprechen, massiv angegriffen wurde.
Trotz der Beteuerungen, dass es sich um einen Hackerangriff handelte, eskalierten Saudi-Arabien und die VAE ihre Angriffe jedoch weiter. Die Medienkampagne wurde fortgesetzt und der Zugang zu einigen qatarischen Medien (vor allem Al-Jazeera) in diesen Ländern gesperrt.
Inzwischen loderte der Streit weiter auf: Saudi-Arabien und die VAE haben vor Kurzem sämtliche Verkehrsverbindungen zu Qatar abgebrochen, diplomatisches Personal wird abgezogen und qatarische Staatsbürger wurden aufgefordert, die Länder innerhalb von zwei Wochen zu verlassen. Außerdem wird Qatar aus der gegen die Huthi-Rebellen gerichteten Militärallianz im Jemen ausgeschlossen.
Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung, als emiratische Medien einem zu den jetzigen qatarischen Herrschern in Opposition stehendem Mitglied der qatarischen Königsfamilie eine Plattform boten, sich kritisch über die jetzige Führung zu äußern. Der Oppositionelle kritisierte dabei die Politik des qatarischen Emirs scharf und sprach gar von Plänen, eine Oppositionspartei zu gründen.
Mehr als gewöhnliches Säbelrasseln
In die gleiche Richtung gingen die Äußerungen eines saudischen Lobbyisten in Washington: dieser erinnerte den qatarischen Emir auf Twitter in Bezug auf Qatars Beziehungen zum Iran daran, dass der gestürzte ägyptische Präsident und Muslimbruder Mohamed Mursi dasselbe getan hätte und nun im Gefängnis sitzt. Solche Maßnahmen gehen weit über das gewöhnliche Säbelrasseln hinaus und stellen wenig versteckte Drohungen für einen von außen geförderten Staatsstreich dar, sofern der qatarische Emir nicht auf die saudische und emiratische regionalpolitische Linie einschwenkt.
Hinter diesen Entwicklungen stehen vor allem zwei Faktoren. Zum einen existieren die Spannungen zwischen Qatar und den VAE schon seit 2011, als Qatar begonnen hat, die damals in der gesamten Region über Wahlen an die Macht strebende Muslimbruderschaft zu unterstützen. Sowohl die Führer der VAE als auch Saudi-Arabiens sahen die Bruderschaft hingegen als eine existentielle Bedrohung ihrer eigenen Herrschaft an.
Auch befürchteten beide eine Annäherung solcher Staaten (allen voran Ägypten) an Iran. Nach dem Sturz Mohamed Mursis im Juli 2013, der von den beiden Golfstaaten sehr begrüßt worden ist, geriet Qatar zunehmend unter Druck, seine mediale, finanzielle und materielle Unterstützung islamistischer Gruppen einzustellen. Als Qatar diesen Forderungen aus Sicht Saudi-Arabiens und der VAE nicht ausreichend nachkam, kam es 2014 schließlich zu einer diplomatischen Krise, die darin gipfelte, dass diese Staaten und das kleine Königreich Bahrain ihre Botschafter aus Qatar abzogen.
Die Krise wurde durch Zugeständnisse Qatars zwar beigelegt, doch zu einer grundlegenden Politikänderung Qatars kam es nicht. Insbesondere die Beziehungen mit den VAE blieben stark unterkühlt. Denn anders als der neue saudische König Salman bin Abdulaziz, der die Muslimbrüder nicht mehr als akute Bedrohung ansah und im Jemen sogar mit ihnen zusammenarbeitete, nimmt die Führung in Abu Dhabi, allen voran der Kronprinz Mohamed bin Zayed, bis heute ein kompromisslose Haltung gegenüber der Bruderschaft ein.
Beziehungen zum Iran als Dorn im Auge der Saudis
Für Saudi-Arabien ist vor allem die Beziehung Qatars zum Iran ein Dorn im Auge. Das Emirat unterhält ein gemeinsames Gasfeld mit dem Iran und ist schon allein deswegen auf pragmatische Beziehungen mit dem Iran angewiesen. In der jüngsten Anti-Qatar-Kampagne beschuldigten saudische Medien denn auch Emir Tamim, sich geheim mit dem iranischen General Qassem Soleimani, dem Kommandeur der iranischen Quds-Brigaden, in Bagdad getroffen zu haben.
Der zweite Erklärungsfaktor ist US-Präsident Donald Trump. Er gab den autokratischen Golfherrschern einen regelrechten Freibrief, künftig gegen "Terroristen" hart vorzugehen. Doch die Golfherrscher verstehen unter Terrorismus nicht nur Al-Qaida und den IS, sondern jede Form von gegen ihre Herrscherhäuser gerichtete Opposition und auch den Iran, da dieser in ihren Augen Terroristen unterstützt.
Vor diesem Hintergrund muss man auch die aktuell verschärfte Repressionswelle gegen Oppositionelle (islamistisch wie nicht-islamistisch) und kritische Medien in Bahrain und im verbündeten Ägypten sehen. Für deren Diktatoren ist klar, dass sie von Donald Trump keine Kritik befürchten müssen, wenn sie mit brutaler Gewalt gegen ihre Opposition unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung vorgehen und dabei Menschenrechte mit Füßen treten.
Auch gegen den Iran kann man nun wegen der Iran-kritischen Haltung der Trump Administration einen härteren Kurs fahren, was der stellvertretende saudische Kronprinz bereits klar gemacht hat, indem er sagte, dass man die Schlacht mit dem Iran nicht auf saudischem, sondern auf iranischem Boden führen werde. Was er damit genau meinte, bleibt zwar unklar, sollte dennoch Anlass zur Sorge bieten. Einige Analysten spekulieren bereits über mögliche saudische Mobilisierungsversuche von wahhabitischen Minderheiten innerhalb Irans gegen die Führung in Teheran.
Umfangreiche Lobbyarbeit der VAE gegen Qatar
Mit dieser neuen Rückendeckung durch Donald Trump können es sich Saudi Arabien und die VAE leisten, Qatar mit rauen Maßnahmen auf Linie zu bringen. Einiges spricht dafür, dass es sich wirklich um einen Hackerangriff auf die qatarische Nachrichtenagentur handelte. Denn ein solches Statement zu veröffentlichen war alles nur nicht im Interesse Qatars.
Hinzu kommt, dass Qatar Berichten zufolge die US-Bundespolizei FBI um Unterstützung bei der Aufklärung der Cyberattacke gebeten hat. Und der Angriff erfolgte nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt. Er kam auf dem Höhepunkt einer bereits länger andauernden Medienkampagne gegen den Golf-Staat in den USA. Im Zentrum steht dabei der US-amerikanische Think Tank "Foundation for Defense of Democracies", der vor allem mit pro-israelischen und anti-iranischen Positionen auffiel, und dessen Autoren eine ganze Reihe von qatar-kritischen Artikeln veröffentlichten und Qatar der Unterstützung von Terrorismus beschuldigten.
Bemerkenswert sind dabei geleakte Emails des Botschafters der VAE in Washington. Sie zeigen den regelmäßigen Austausch zwischen dem Botschafter und besagtem Think Tank. Die Emails verdeutlichen neben der umfangreichen Lobbyarbeit der VAE gegen Qatar auch, dass die VAE es sehr begrüßen würden, wenn die USA ihre große Militärbasis in Qatar schließen und in ein anderes Land verlegen würden.
Dadurch würde Qatar noch verwundbarer werden. Die Anti-Qatar-Kampagne ist diesem Ziel sicherlich dienlich. Darüber, wer hinter dem vermutlichen Hackerangriff steht, kann man bisher nur spekulieren. Für Saudi-Arabien und die VAE (und auch dem verbündeten Ägypten) bot er in jedem Fall einen willkommenen Anlass, den Druck auf den Golf-Staat drastisch zu erhöhen.
Deutschland und die EU sollten der Anti-Qatar-Politik Saudi-Arabiens und der VAE daher kritisch begegnen. Denn weder die breite Terrorismusdefinition der autokratischen Golfstaaten und ihrer Verbündeten, durch die gemäßigte Oppositionelle in einen Topf mit dschihadistischen Gruppen geworfen werden, noch die zunehmend aggressiver werdende Haltung gegenüber dem Iran tragen zur Stabilisierung der Region bei.
Matthias Sailer
© Qantara.de 2017
Matthias Sailer ist Promotionsstipendiat in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).