Eine Miliz als Instrument der Konterrevolution
Die Hoffnung auf einen neuen Sudan und die Unsicherheit, ob der alte Sudan noch einmal zurückkehren wird, liegt in der Hauptstadt Khartum nur wenige Straßenzüge voneinander entfernt. Rund um das Militärhauptquartier haben Demonstranten seit Anfang April ihr Protestlager aufgeschlagen und fordern unermüdlich eine zivile Regierung, nachdem Langzeit-Diktator Omar al-Baschir gestürzt wurde und ein Übergangsmilitärrat die Geschicke des Landes übernahm.
Doch draußen vor den Barrikaden der Demonstranten geben bewaffnete Männer den Ton an. Fast an jeder Straßenecke in Khartum sind Pick-up-Trucks mit aufgepflanzten Maschinengewehren postiert. Manche tragen die Nummernschilder der regulären Armee, die meisten von ihnen gehören aber einer Miliz an, die sich "Rapid Support Force" (RSF) nennt.
Es sind diese Männer mit ihren Camouflage-Uniformen und Schnellfeuergewehren, die die Demonstranten am meisten beunruhigen, denn der RSF ist die Nachfolge-Miliz der berüchtigten arabischen Janjawid-Reitermilizen, die vor 16 Jahren in die internationalen Schlagzeilen gerieten, als sie mordend, brandschatzend und vergewaltigend durch die Dörfer der sudanesischen Provinz Darfur zogen und dort im Namen des Regimes von Al-Baschir Rebellen bekämpften.
Über eine Viertelmillion Menschen wurden in Darfur getötet, über zwei Millionen vertrieben. Heute könnte deren Nachfolge-Miliz RSF zum größten und gefährlichsten Gegner jener Aktivisten avancieren, die friedlich für einen zivilen demokratischen Sudan auf die Straße gehen.
RSF-Miliz als Schlüsselfigur im Machtpoker
"Im gegenwärtigen Machtpoker zwischen Militärs und Demonstranten um die Zukunft des Landes sind RSF-Milizen eine Schlüsselfigur bei den politischen Entscheidungsprozessen", glaubt der sudanesische Menschenrechtler Majid Maali, der die Milizen seit Jahren beobachtet. Auch der sudanesische Journalist Faisal Saleh bestätigt: "Heute ist die RSF-Miliz in Khartum stärker vertreten als die Armee."
In Khartum werden die Milizionäre jedenfalls als Fremdkörper wahrgenommen. "Sie kommen vom Land und nicht aus in urbanen Zentren. Sie kamen in die Hauptstadt und wurden zur Quelle von Spannungen", analysiert Saleh. Deren Anführer Muhammad Hamdan Dagolo, im Sudan eher unter dem Namen "Hemeti" bekannt, gilt als die graue Eminenz im gegenwärtig regierenden Militärrat, wo er offiziell die zweite Stelle einnimmt.
Manche glauben, dass Hemeti Milizführer und nicht der Chef des Rates, der Militärfunktionär Abdel Fatah Burhan dort den Ton angibt. "Hemeti ist möglicherweise das Mitglied des Militärrates mit dem größten Einfluss. Es wird keine Abkommen im Sudan geben, die er nicht mitunterzeichnet hat", ist sich der Journalist Saleh sicher.
Hemeti hat eine gewaltige Karriere hinter sich. Geboren in ärmlichen Verhältnissen, einst als Kamelhirte beschäftigt, fand er seine Profession als Krieger zunächst bei den berüchtigten Janjanwid-Milizen, deren Anführer er schließlich in Dafur wurde, und jetzt zum Chef des RSF avancierte. Abgesehen von seinem Versuch, immer ein möglichst großes Stücke vom Kuchen abzubekommen, scheint er jedoch über keine große politische Agenda zu verfügen.
"Dabei hat er immer guten Instinkt bewiesen. Zu Beginn des Aufstandes in Khartum gegen Al-Baschir weigerte er sich für den früheren sudanesischen Diktator den Aufstand niederzuschlagen und erhielt dafür Lob von den Demonstranten", blickt Saleh auf die Tage Anfang April zurück.
Der kurze Sommer der Solidarität
Die "Flitterwochen" zwischen den Demonstranten und der RSF-Miliz waren allerdings nur kurz. Als bewaffnete Männer am 15. Mai versuchten eine der Barrikaden zu räumen, schossen sie wild um sich. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt und die Demonstranten zeigten rasch mit dem Finger auf die Milizen. "Die RSF kam, um die Barrikaden zu räumen, sie schossen zunächst in die Luft, später dann wild um sich und auf die Demonstranten", erzählt Atef Baqr, im Gespräch mit Qantara.de, als er mit einer Schussverletzung im Krankenhaus lag.
Vor allem jene, die aus Darfur nach Khartum gereist waren, um am Protestlager teilzunehmen, haben die Zeiten der marodierenden Janjawid-Milizen nicht vergessen. "Wenn ich die RSF-Milizen jetzt in Khartum sehe, dann denke ich zurück an die Massaker zwischen 2003 und 2005 in Dafur, vor denen ich damals geflohen bin", sagt Idris Adam, einer der Darfur-Aktivisten, die sich in einem speziellen Protestzelt der Darfuris jeden Abend versammeln. "Der RSF ist ein Instrument des alten Regimes und sollte komplett aufgelöst werden. Ihre Präsenz in der Hauptstadt ist völlig unakzeptabel", meint auch die Dafur-Aktivistin Halima Ashak.
Doch der Menschenrechtler Maali warnt die politische Führung der Demonstranten davor, den RSF automatisch zu verteufeln. Dabei hat er eine einfache Rechnung aufgestellt. "Sie sind zwar stark, haben aber kein wirkliches politisches Programm für die Zukunft des Sudan. Wir können sie nicht besiegen. Also liegt die einzige Chance darin, den Dialog mit ihnen zu führen", argumentiert er.
Söldner der Golfstaaten
Die Stärke der Nachfolger der Janjawid-Milizen entspringt auch ihrem Einsatz im Jemenkrieg. Dort werden sie von den Emiraten und Saudi-Arabien als Söldner-Bodentruppen gegen die Huthi-Rebellen eingesetzt. Das hat ihnen viel Geld und damit noch mehr Macht im Sudan verschafft. Und dies macht die RSF-Milizen im Machtkampf im Sudan möglicherweise auch zu einem willfährigen Instrument der Golfautokraten, die keinerlei Interesse an einem demokratischen Experiment im Sudan haben.
Die Golfstaaten versuchen über viele Wege Einfluss zu nehmen, doch der RSF ist wohl ihr wichtigstes Instrument. Man kennt sie aus dem Krieg im Jemen, wo sie Waffen und Geld bekamen.
Die Beziehungen der Golfstaaten zum RSF sind stärker als zur sudanesischen Armee“, beschreibt der Journalist Saleh das Verhältnis. Welche Rolle Hemeti und seine Miliz in Zukunft im Machtkonflikt im Sudan einnehmen werden, hängt von Hemetis persönlichem Ehrgeiz und dem regionalen Einfluss auf ihn ab, meint Saleh. Dass Hemetis erste Auslandsreise in seiner neuen Position als Vizechef des sudanesischen Militärrates nach Saudi Arabien ging, wo er ausgerechnet den umstrittenen Kronprinzen Muhammed Ben Salman traf, lässt bei den Demonstranten in Khartum sämtliche Alarmglocken läuten.
Doch es gibt bei der Unterstützung der RSF-Milizen möglicherweise eine europäische Komponente. Im sogenannten Khartum-Prozess, versucht die EU den Grenzschutz gegen Migranten weiter südlich in Afrika auszulagern. Dabei sind auch Gelder in den Sudan geflossen.
Das doppelte Spiel der Europäischen Union
"Die EU sagt, dass dieses Geld dazu verwendet wird, um in jenen Teilen des Landes, die die Migranten aufhalten sollen, den Lebensstandard der Einwohner zu verbessern. Ein anderer Teil ging als technische Hilfe an den Sicherheitsapparat, um die die Grenze absichern", beschreibt der Journalist Saleh das EU-Engagement.
"Der EU-Botschafter in Khartum streitet zwar ab, das Finanzmittel direkt an den RSF geflossen sind. Doch wurde Geld zur Verbesserung des Grenzschutzes gezahlt; und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ein Teil davon an den RSF gegangen ist, denn diese Milizen operieren im Grenzgebiet zu Libyen und Tschad", schlussfolgert er.
Ob und wieviel EU-Gelder indirekt an den RSF geflossen sind, dafür gibt es keine Beweise. Aber was ihre Wahrnehmung angeht, glauben viele Sudanesen, dass hier Geld an die Milizen gezahlt wurde. "Die Milizen haben einen schlechten Ruf wegen ihrer massiven Menschenrechtsverletzungen in Darfur. Die Menschen sind daher verständlicherweise schockiert. Einerseits ruft die EU zum Respekt der Menschenrechte auf, anderseits finanziert sie diese Truppe wahrscheinlich mit, um Migranten zu stoppen", so die Ansicht des Menschenrechtler Maali.
Sollten tatsächlich EU-Gelder indirekt bei den RSF-Milizen angekommen sein, dann hätte Europa eine ziemlich explosive Mischung im Sudan mitfinanziert. Denn wenn die Demonstranten in Khartum sich mit ihrer Forderung nach einer zivilen Regierung nicht erfolgreich durchsetzen, läuft der Sudan Gefahr, von einem Militärstaat zu einem von Milizen geführten Staat zu mutieren.
Karim El-Gawhary
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